Kultur und Kommerz:München hat jetzt einen Supermarkt für Kunst

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  • In München haben zwei Geschäfte eröffnet, die Kunst zu bodenständigen Preisen anbieten.
  • Dadurch können sich auch Menschen Gemälde, Fotografien oder Skulpturen leisten, die nicht in edle Galerien gehen würden.
  • Andererseits wird Kunst durch das Konzept zur Ware. "Ich muss das Gefühl haben, dass es sich verkaufen lässt", sagt Veranstalter Raiko Schwalbe.

Von Pia Ratzesberger

Raiko Schwalbe nimmt sein Walky Talky mit, es knackt in der Leitung. "Ich mache erst noch das Gespräch fertig und dann komme ich rüber", spricht Schwalbe hinein. Dann geht er los durch die Gänge. Irgendetwas ist immer, heute zum Beispiel ist in einem der Büros eine Neonröhre ausgefallen. Besser gesagt: In einem der Ateliers, die früher einmal Büros waren.

Schwalbe ist kein Unbekannter in der Stadt. Wenn er durch die Alte Akademie geht, grüßen ihn die Gäste, er organisiert die Kunstmesse Stroke und auch die Artmuc. Jetzt hat er in der größten Einkaufsstraße der Stadt ein Kunstkaufhaus eröffnet, in der Alten Akademie, und nur ein paar Straßen weiter hat zur gleichen Zeit ein Kunstsupermarkt aufgemacht, im Rosental. Bilder, die sonst in Galerien zu sehen sind, werden jetzt neben Urban Outfitters verkauft. Oder neben dem Reformhaus.

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Die Konzepte in der Alten Akademie und im Rosental unterscheiden sich voneinander, zwei Dinge aber haben sie gemeinsam: Sie verkaufen nur für ein paar Wochen und vor allem für wenig Geld. Die Preise auf der Munich Art House in der Alten Akademie beginnen bei 50 Euro, im Kunstsupermarkt im Rosental bei 59 Euro. Und es ist kein Zufall, dass sich die beiden Projekte gerade jetzt einen Platz in der Innenstadt gesucht haben - in den Wochen vor Weihnachten, wenn so viele Menschen an den Kassen stehen wie sonst nie.

Man kann das aus zwei Perspektiven betrachten: Die eine ist, dass auch Kunst dann nur noch eine Ware ist, ein weiteres Produkt unter Tausenden von Produkten. Die andere ist, dass sich so mehr Menschen Kunst leisten können - und mehr Menschen Kunst erleben, die vielleicht nie in eine Galerie gehen würden. Schwalbe glaubt an die zweite These. Er stört sich aber auch nicht an der ersten.

Der Unternehmer ist 41 Jahre alt, trägt Turnschuhe und einen Schal zur Schlaufe geschlungen. Gerade steht er vor Gemälden aus Harz. Die Künstlerin verkaufe ihre Bilder sonst vor allem auf Instagram, sagt Schwalbe. "Wir haben hier nicht den Anspruch, dass alles Konzeptkunst ist." Ihn nervt die immer wieder aufkommende Frage, ob Kunst auch Kommerz sein dürfe. Ein Künstler wolle von seiner Kunst leben, also müsse er Bilder verkaufen - also sei Kunst immer irgendwie Kommerz.

In den Gängen seiner Ausstellungen sind die unterschiedlichsten Arbeiten zu sehen, Skulpturen und Zeichnungen, Fotografien und Ölgemälde. Im Gegensatz zu seinen anderen Kunstmessen gab es diesmal keine Jury. Die Künstlerinnen und Künstler haben sich beworben und Schwalbe hat entschieden. "Ich muss das Gefühl haben, dass es sich verkaufen lässt." Darum geht es in diesen zwei Wochen im Munich Art House. Darum geht es aber auch auf anderen Kunstmessen und bei Auktionen, bei denen Werke immer wieder verrückte Preise erzielen. Vor eineinhalb Wochen zum Beispiel wurde das "Abstrakte Bild" von Gerhard Richter bei Sotheby's in New York für etwa 32 Millionen Dollar versteigert, etwa 28 Millionen Euro.

In der Alten Akademie ist man von solchen Summen weit entfernt, ein paar Tausend Euro aber werden manchmal schon verlangt. Eine junge Künstlerin zum Beispiel verkauft ihr Bild aus Ölfarben für 5800 Euro, sie wolle schließlich auch von der Arbeit leben. Nur einen Gang weiter stellt Veronika Krobs aus, die sonst eher auf klassischen Kunstmessen unterwegs ist. Diesmal hat sie ein Bild über einen Kabelschacht gehängt. "Ich finde das aber gerade gut, dass nicht alles tippi toppi ist." Wie die meisten Künstler ist sie selbst vor Ort, um ihre Bilder zu zeigen, mit Interessierten zu sprechen.

Die Ausstellung verbindet Künstler und Käufer, ohne Galeristen. Schwalbe sagt: "Die Künstler müssen heute auch immer mehr lernen, dass sie sich selbst verkaufen." Veronika Krobs weiß das, sie hat Twitter, Instagram, eine Webseite sowieso. Aber sie sagt auch: "Das kostet enorm viel Zeit. Dabei möchte ich doch lieber malen als mir zu überlegen, welche Hashtags die richtigen sind." Bei einem Foto aus der Akademie hat sie sich unter anderem für #kunstkaufen und #instaartist entschieden.

Die Idee kommt aus dem hessischen Marburg, dort leben die Gründer

Unter dem Hashtag #kunstsupermarkt wiederum findet man den Laden, der im Rosental vor eineinhalb Wochen eröffnet hat. Die zweite Anlaufstelle für Kunst in der Innenstadt, die nicht teuer sein soll. Dort hängt ein Bild eng neben dem anderen, in großen Boxen kann man durch die verschiedenen Formate blättern, deren Preise feststehen: 59 Euro, 110 Euro, 220 Euro, 330 Euro. Nur die seltenen, sehr großen Leinwände kosten auch mal mehr. Die Initiatorin des Kunstsupermarktes steht gerade an der Kasse, sie hat selbst im vergangenen Jahr in Wien auf einem Kunstsupermarkt eingekauft und bot an, sich um einen in München zu kümmern. "Wir planen, das auch nächstes Jahr wieder zu machen", sagt Heidi Bauer. Vorausgesetzt sie findet wieder einen Laden - das alte Münchner Problem. In den 20 Jahren, in denen immer wieder Kunstsupermärkte in anderen Städten eröffneten, fand noch kein einziges Mal einer in München statt.

Die Idee kommt aus dem hessischen Marburg, dort leben die Gründer. Abgesehen von einem festen Laden auf Sylt, eröffnen sie stets in der Vorweihnachtszeit in verschiedenen Städten ihre Dependancen. Jeder der Künstler muss mindestens 40 Kunstwerke abgeben, um in einem Laden mit dabei zu sein, 88 Künstler sind es diesmal in München. Die könnten von dem Geld leben, sagt die Mitgründerin Julia Loytved am Telefon. "Da macht es aber schon auch die Masse."

© SZ vom 27.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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