Münchner Stadtrat:Dieter Reiter muss sich trauen

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Reiter als Oberbürgermeister, Schmid als Zweiter Bürgermeister und Nallinger als Dritte Bürgermeisterin. Vielleicht ist das die Lösung? (Foto: Collage Alper Özer)

Die Münchner SPD sollte die unklaren Machtverhältnisse im Stadtrat als Chance sehen. Auch wenn das für den neuen Oberbürgermeister Dieter Reiter bedeuten würde, dass er mit der CSU zusammenarbeiten muss.

Von Peter Fahrenholz

Wer die Wahl hätte zwischen einem wackligen Hocker mit instabilen Beinen und einem bequemen Sessel, wüsste wahrscheinlich genau, wo er Platz nehmen würde. In München dagegen wurde nach der Kommunalwahl bislang noch nicht einmal erwogen, ob nicht doch der Sessel in Frage kommen könnte. Stattdessen werden an den Hocker ständig neue Beine an- und wieder abgeschraubt, ohne dass er dadurch standfester würde; mit der ÖDP ist am Freitag ein weiteres Bein abhandengekommen.

Rot-Grün möchte sich eine neue sechsjährige Regierungszeit sichern - mit einem rot-grün-rosa-irgendwer-Bündnis, das als einzige Alternative zu einer großen Koalition ausgegeben wird. Doch stimmt das überhaupt? Legen die unklaren Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat nicht ganz andere Handlungsoptionen nahe?

Das Wahlergebnis hat nicht nur Unübersichtlichkeit produziert, sondern auch einige Botschaften. Die erste ist: Die Mehrheit der Münchner möchte weiter von einem SPD-Oberbürgermeister regiert werden und nicht von einem von der CSU. Zugleich ist das bisherige rot-grüne Bündnis abgewählt worden, es hat keine Mehrheit mehr.

Die Grünen und die CSU sind dagegen gestärkt worden

Die SPD ist als Partei gerupft worden und hat allen Grund, die Verluste selbstkritisch aufzuarbeiten. Die Grünen und die CSU sind dagegen gestärkt worden. Gleichzeitig sind eine Reihe von Klein- und Kleinstgruppierungen in den Stadtrat gewählt worden, was so interpretiert werden kann, dass viele Wähler die starre Frontstellung aufbrechen wollten. Auch die geringe Wahlbeteiligung müsste den Politikern zeigen: Weiter so ist die schlechteste Option.

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:Doch keine Koalition mit der Linken

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In Wirklichkeit bieten die unklaren Mehrheitsverhältnisse der Stadtpolitik eine ganz andere Chance: aus dem starren Korsett einer festen Koalition auszubrechen und den Stadtrat wieder zu dem zu machen, was er nach der Gemeindeordnung sein sollte: zu einem Kollegialorgan, in dem alle verantwortlichen Kräfte nach der jeweils besten Lösung suchen.

Wäre das eine Revolution für München? Mitnichten! Es wäre die Rückkehr zu Verhältnissen, mit denen die Stadt jahrzehntelang gut gefahren ist. Denn sogar in Zeiten absoluter Mehrheiten war es Usus, auch andere an der Macht zu beteiligen. Als Hans-Jochen Vogel 1960 nicht nur mit einem grandiosen Ergebnis zum Oberbürgermeister gewählt wurde, sondern auch die SPD die absolute Mehrheit gewann, hat er nicht etwa "durchregiert", sondern klug gehandelt.

Er hat die Zusammenarbeit mit der CSU fortgesetzt, die den Zweiten Bürgermeister stellen durfte. Eine festgefügte große Koalition ist das dennoch nicht gewesen. "Das Ergebnis war keineswegs eine Koalition mit Regierungsprogramm und Kabinettsbildung. Das hätte schon der Gemeindeordnung widersprochen", heißt es in Vogels Erinnerungen dazu.

Es ist nicht ohne Pikanterie, dass jetzt ausgerechnet Peter Gauweiler der Wortführer einer Neuauflage der Zusammenarbeit von SPD und CSU ist. Denn es war die CSU der Gauweiler-Jahre, die mit ihrem raubeinigen Kurs den Konsens aufgekündigt hat und sich letztlich selber aus der Verantwortung katapultiert hat. Aber aus dem wilden Gauweiler ist ja längst der milde Gauweiler geworden.

Die CSU wieder in die Verantwortung für die Stadtpolitik einzubinden, wäre der erste Schritt in eine neue Zeit. Auch weil sich dann das Verhältnis zur Staatsregierung deutlich entspannen könnte, auf die die Stadt oft angewiesen ist. Ein schwarz-roter Pakt seligen Angedenkens, wie er Gauweiler vorschwebt, wird allerdings der politischen Lage nach der Wahl nicht gerecht.

Die Grünen sind längst ein wichtiger Machtfaktor geworden, die Unterstützung ihrer Anhänger hat Dieter Reiter überhaupt erst zum OB-Amt verholfen. Eine Stadtregierung ohne Grüne verbietet sich deshalb, sie würde auch nicht den Wählerwillen widerspiegeln.

SPD, CSU, und Grüne müssten das Kraftzentrum der künftigen Stadtpolitik sein

Was dann? Das Wahlergebnis zeigt: CSU und Grüne sind gestärkt worden, die SPD stellt trotz Verlusten weiterhin den Oberbürgermeister, der auf Grund des bayerischen Kommunalwahlrechts eine der stärksten Figuren ist, die es auf der politischen Bühne überhaupt gibt. Diese drei Parteien - SPD, CSU, und Grüne - müssten das Kraftzentrum der künftigen Stadtpolitik sein und versuchen, sich auf vernünftige Kompromisse zu einigen.

Unmöglich ist das nicht, alle drei liegen in vielen wichtigen Fragen nicht so weit auseinander, als dass eine Einigung nicht denkbar wäre. Der Wahlkampf war ja auch deshalb so langweilig, weil es keine großen Kontroversen gab. Mehr bezahlbare Wohnungen, einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, eine gute Kinderbetreuung und funktionierende Schulen - das wollen alle.

Nach der Kommunalwahl
:Rot-grün-rosa Koalition auf Partnersuche

Die kleinen Parteien im Münchner Rathaus machen dem neuen Oberbürgermeister Reiter das Leben schwer. Statt sich als willige Koalitionspartner anzubieten, schließen sie lieber untereinander Bündnisse. Die SPD könnte deshalb trotz ihres Sieges bei der OB-Wahl in eine Juniorrolle rutschen.

Von Dominik Hutter

Wer bei den vielen Kandidatendebatten zwischen Dieter Reiter, Josef Schmid und Sabine Nallinger nur die Äußerungen ohne Namensnennung nachgelesen hätte, hätte in vielen Punkten nicht gewusst, von wem sie stammten. Und wenn es mal nicht klappt, weil CSU und Rot-Grün zu weit auseinanderliegen, wäre das nicht weiter tragisch. Es gibt dann immer noch genügend Kleine, mit deren Hilfe Mehrheiten bei Einzelfragen gefunden werden können.

Weil aber in der Politik die schönen Augen des Anderen allein für eine Kooperation nicht reichen, braucht es auch eine stabile Plattform an der Spitze, in der sich jeder wiederfinden kann. Es müsste also ein erstes Personalpaket geschnürt werden, das dem Geist einer parteiübergreifenden Zusammenarbeit, die vom Oberbürgermeister gesteuert wird, entspricht.

Die Lösung dafür liegt eigentlich nahe: Der Stadtrat wählt in seiner ersten Sitzung Schmid zum Zweiten und Nallinger zur Dritten Bürgermeisterin. Und dann fängt er an, die Probleme der Stadt zu lösen - gemeinsam.

© SZ vom 12.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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