Der frühere "Superminister" packt zwei Plastikplakate und hält sie links und rechts an die Metallstange. Zwischen die Zähne geklemmt hat er lange weiße Kabelbinder, von denen er dann einen mit der einen Hand durch die Ösen schiebt, während er mit der anderen seine Plakate an die Stange quetscht. Ein kurzes Ziehen, ein Ratsch, als er den Kabelbinder festzurrt. Der zweite folgt mit geübten Griffen, Ludwig Spaenle, 57, schiebt die nun ordentlich fixierten Plakate am Verkehrsschild nach oben und ist zufrieden. Gleich in dreifacher Ausführung blickt er nun am Odeonsplatz potenziellen Wählern entgegen, oben auf den Plakaten von zwei Seiten und unten live.
Der Spaenle, lange Zeit eines der wichtigsten Mitglieder im Kabinett, immerhin noch Bezirkschef der CSU in München, als Plakatierer auf der Straße? Alltag, sagt der Mann, dem sein Partei- und früher auch persönlicher Freund Markus Söder nicht nur das "Super", sondern auch den Minister genommen hat. Vier bis sechs Stunden sei er täglich auf der Straße. Fast immer, wenn er sich selbst an Verkehrszeichen festhängt, errege das Aufmerksamkeit. "Die Leute sehen und erkennen mich, sprechen mich darauf an und wir kommen ins Gespräch." Diesen Effekt nutze er für seine persönliche Art des Straßenwahlkampfs, die Prominenz wirke da noch.
Spaenle weiß, dass er gerade diesmal jede Stimme brauchen wird. Die CSU ist in den Umfragen unter 40 Prozent gerauscht, seine Karriere hat durch den Rauswurf aus dem Kabinett einen Tiefschlag erfahren und der Stimmkreis Schwabing ist einer der schwierigen für die CSU. Nur wenn er das Direktmandat holt, kann er in Bayern weiter mitmischen. "Wenn ich verliere, ist meine landespolitische Laufbahn nach 24 Jahren beendet", sagt er. Und der Posten als Münchner CSU-Chef in Gefahr.
Also fährt er mit seinem privaten Minibus, über dessen Rückscheibe er mit Paketklebeband ein Plakat von sich befestigt hat, durch die Straßen des Lehels, der Maxvorstadt und Schwabings, vorbei an den Pinakotheken und den Universitäten bis hinaus nach Freimann. Im Rückraum sieht das Fahrzeug so sehr nach Wahlkampf aus, dass ein professioneller Bühnengestalter es nicht besser hätte einrichten können. Metallständer, kleine Plakate, große Plakate, Kleister, Werkzeug, Kabelbinder. "Bayern verpflichtet" steht bei manchen drauf. Die Botschaft: Hier arbeitet ein Staatsdiener, der keinen vergisst. Einer, der sich hemdsärmelig um jeden kümmert. Egal ob Opernbesucher oder Feuerwehrmann.
Für Isabell Zacharias zählt jede Stimme
Alles oder nichts heißt es aber auch für Isabell Zacharias, 53, von der SPD. Sie wird von ihrer Partei ähnlich nach unten gezogen, hat aber immerhin Chancen, über die Liste in den Landtag einzuziehen. Aber dafür müsste sie fast alle Münchner SPD-Kandidaten hinter sich lassen. Jede Stimme zählt. Zacharias gehört zu den Leistungsträgern ihrer Fraktion, in ihren zehn Parlamentsjahren ist sie zu einer wichtigen Stimme in der Hochschulpolitik geworden. Kein Wunder also, dass sie an einem Freitagnachmittag in den Semesterferien vor dem Haupteingang der Ludwig-Maximilians-Universität steht - und trotzdem an die 100 Leute kommen. Sie alle protestieren gegen befristete Arbeitsverträge.
In manchen Studiengängen würden 90 Prozent des Personals unter diesen miesen Bedingungen arbeiten, sagt Zacharias. "Das ist absurd." So sieht das auch ihr prominenter Wahlkampfhelfer an diesem Nachmittag: Kevin Kühnert, Chef der Jusos im Bund. Viele nette Worte über Zacharias sagt er, die er sofort wieder für die SPD in den Landtag schicken würde. Auch wenn dieser Job auf fünf Jahre befristet sei. Dort will die SPD-Frau sich auch um die Probleme "von uns Alleinerziehenden" kümmern, wie sie sagt. Die hohen Mieten, die schwierige Betreuungssituation, all das bekämen Alleinerziehende besonders hart zu spüren. Deshalb gelte: "Wer das Herz an der richtigen Stelle hat, der trägt es links." Und wählt links. Ihren Besuchern hängt sie flugs ein Wiesn-Herz an die richtige Stelle.
Als wäre das Überlebens-Duell Spaenle gegen Zacharias noch nicht spannend genug, drängt im Stimmkreis 108 auch noch einer in den Landtag, der für sich wohl ein grünes Herz beanspruchen würde: Christian Hierneis, 54, tritt hier erstmals für die Grünen an, als Nachfolger der langjährigen Fraktionschefin Margarete Bause, die inzwischen im Bundestag sitzt. Wenn Spaenle und Zacharias hofften, dass ihre Mission damit leichter würde, könnten sie sich getäuscht haben. Die Grünen erfahren gerade bayernweit Rückenwind und Hierneis ist ein anderer Typ als die gewandte, aber eher kühle Bause, die zuletzt auf Platz drei in Schwabing gelandet war.
Er raucht schon mal eine Zigarette, wenn er zum Wahlkampf-Spaziergang an die Isar einlädt, um über die Vorteile des ökologisch einwandfreien Wasserkraftwerks an der Praterinsel zu referieren und über die Zukunft des Flusses. "Durch die Renaturierung stürmt alles dahin, weil es so schön ist", sagt Hierneis. Eine klare Trennung sei nötig: Bereiche fürs Feiern und Orte, an denen die Natur Vorrang genießt. "Im Augenblick ist an der Isar Chaos."
Wie der Konkurrent Spaenle, so spielt auch Hierneis Doppelpass mit sich selbst. Nicht als Ex-Minister und Plakatierer, sondern als Kandidat und Kreischef des Bund Naturschutz in München. Keine schlechte Ausgangssituation, findet er. Geht es nach den Auguren und ihren Prognose-Algorithmen, ist es sogar eine sehr gute. Dort leuchtet der Stimmkreis Schwabing relativ konstant grün. Viel gibt Hierneis nicht darauf, "ich mache mein Ding". Wie das aussieht, wenn es um das Wachstum und die teuren Mieten geht? Grünflächen schützen und nicht jedes Unternehmen nach München locken, sagt Hierneis.
Der Grüne versucht, eigene Akzente zu setzen. Was ihm nicht schwerfallen dürfte, weil die Konkurrenz bisher vor allem die Politikfelder Bildung, Wissenschaft und Kunst bearbeitet hat. Das gilt auch für einen, der wiederum mit seiner Präsenz im bürgerlichen Milieu das knappe Ergebnis entscheidend beeinflussen könnte: Für die FDP tritt der frühere Wissenschafts- und Kunstminister Wolfgang Heubisch, 72, an.
Zwar betont er, wie sehr sich sein Programm von Spaenle unterscheide, doch schaden könnte dem CSU-Mann ein Thema, bei dem die beiden einer Meinung sind: der geplante Bau einer Tramlinie durch den Englischen Garten. Ihr Schwabinger Klientel, um das sie ringen, will keine ratternden Züge vor der Haustüre, die dann durch den Park fahren. Heubisch und Spaenle sind auch dagegen, aber der CSU-Mann hat von seiner Partei in Sachen Glaubwürdigkeit einen Leberhaken verpasst gekommen. Gegen seinen Willen tolerierten die Ministerpräsidenten Horst Seehofer und Markus Söder sowie 20 von 24 CSU-Stadträte die Pläne der Stadt. "Da steht er total isoliert da", sagt Heubisch.
Spaenle weiß natürlich, dass er auch diesen Rucksack mitträgt in einem so intensiven Wahlkampf, wie er ihn noch nicht erlebt hat. Also wird er weiter seine eigenen Porträts anbringen und die Leute taxieren. "Ich merke sofort, ob mich jemand erkennt, mag oder nicht mag." Von Umfragen wolle er sich nicht nervös machen lassen, sein Gefühl sage ihm, dass die Stimmung im Juli noch viel schlechter war. Einen "richtigen Widerwillen" habe er gegen die CSU gespürt. Gibt es die Angst vor dem Finale, einer Niederlage? Solche Gedanken müsse er ausblenden, sagt Spaenle. "Das würde mich selbst schwächen."