Weihnachten:Die Gefahren des Resterampen-Baums

Lesezeit: 2 min

Ein häufiges Objekt für Spekulanten: Christbäume. (Foto: Catherina Hess)

Wer lange mit dem Christbaumkauf wartet, weil er auf einen extremen Rabatt spekuliert, riskiert einen versauten Weihnachtsabend. Besonders Weitsichtige feiern das Fest deshalb einen Monat später.

Glosse von Wolfgang Görl

Der 24. Dezember ist traditionell der Tag der Menschen mit eisernen Nerven. Zu dieser unheimlichen Spezies zählen die Last-minute-Shopper, die kurz bevor die Geschäfte schließen, ihre Weihnachtsgeschenke kaufen, und dazu zählen die Optimisten, die mittags in München in den Zug steigen und der Illusion anhängen, sie wären rechtzeitig zur abendlichen Bescherung bei den Lieben in Bayerischen Wald. Am kaltblütigsten aber sind die Christbaumzocker, deren Stunde schlägt, wenn der Baumverkäufer seinen Stand abbaut. Sie spekulieren darauf, dass noch zwei, drei Bäume übrig sind, für die der Händler einen extremen Rabatt gewährt oder sie gleich herschenkt, weil er die Ladenhüter nicht zurück in den Wald schleppen will.

Die Christbaumzockerei ist brandgefährlich, und niemand sollte sich darauf einlassen, der nicht mit hochriskanten Finanzprodukten vertraut ist. Wer an der Börse auf falsche Papiere setzt, verliert nur sein Vermögen; der Baumspekulant hingegen läuft Gefahr, dass sein ganzer Weihnachtsabend versaut ist und die Frau die Scheidung einreicht.

Einkaufswelt V-Markt
:Wo Weihnachten direkt in die Eingeweide pfeift

Schon 1992 hat der Film "Langer Samstag" einer speziellen Kombination ein Denkmal gesetzt: dem Großeinkauf vor Heiligabend im V-Markt an der Balanstraße. Ein Ortsbesuch.

Reportage von Bernhard Hiergeist

Es ist nämlich keineswegs gesagt, dass der Resterampen-Baum so beschaffen ist, dass er Gnade vor den Augen der Familie findet. Oft ist er krumm wie die Geschäfte mit CO₂-Zertifikaten, manchmal fehlt auch die Spitze, und die Äste ragen kreuz und quer aus dem morschen Stamm, der einknicken würde, sobald man nur eine Christbaumkugel aufhängt. Wer mit so einem Baum nach Hause kommt, kann jegliche Hoffnung auf friedliche Weihnachten begraben. Auch der Hinweis auf 3,99 Euro Preisnachlass wird nichts daran ändern, dass der Käufer der Baumruine den Heiligen Abend in einer Absturzkneipe verbringen muss - zusammen mit anderen gescheiterten Christbaumzockern.

Es kann aber auch sein, dass am 24. Dezember gar kein Baum mehr aufzutreiben ist oder dass es nur noch eine einzige Nordmanntanne gibt, die dann so begehrt ist wie die Schätze des Grünen Gewölbes in Dresden. Wer beim Wettbieten mit vielen verzweifelten, zu jeglichen Unkosten bereiten Familienvätern mithalten will, sollte einen hohen vierstelligen Betrag in der Tasche haben.

Angesichts solcher Exzesse ist es erfreulich, dass es auch Münchner gibt, die dem Zwang zum Christbaum mit Gelassenheit und finanziellem Weitblick begegnen. Sie feiern Weihnachten einen Monat später, am 24. Januar. Zu dieser Zeit liegen Tausende ausgemusterte Nordmanntannen auf den Gehsteigen herum, man braucht sich nur zu bedienen. Wenn man Glück hat, hängt noch Lametta dran, was jede Menge Arbeit erspart. Überhaupt ist im Januar die Chance, weiße Weihnachten zu feiern, viel größer als im Dezember, wenn es immer peinlich ist, bei Biergartenwetter "Leise rieselt der Schnee" zu singen. Die Januar-Feierer sind übrigens leicht zu erkennen: Sie sehen am 24. Dezember ganz entspannt, ja geradezu selig aus, so als hätten sie ein himmlisches Fest vor sich.

© SZ vom 24.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusPatissière
:Im siebten Himmel

Aus Apfelmus, Preiselbeeren und Sahne zaubert Spitzenpatissière Beate Wöllstein ein Weihnachtsdessert - die Engelsspeise. Ein Besuch.

Von Jennifer Sandmeyer und Stephan Rumpf (Fotos)

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: