Einkaufswelt V-Markt:Wo Weihnachten direkt in die Eingeweide pfeift

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Im V-Markt an der Balanstraße werden die letzten Dinge fürs Fest besorgt, vom Champagner über Geschenkpapier bis zum Schokoweihnachtsmann. (Foto: Sebastian Gabriel)

Schon 1992 hat der Film "Langer Samstag" einer speziellen Kombination ein Denkmal gesetzt: dem Großeinkauf vor Heiligabend im V-Markt an der Balanstraße. Ein Ortsbesuch.

Reportage von Bernhard Hiergeist

Es ist schon nach sechs im Keller des V-Markts an der Balanstraße, doch die Mitarbeiterin wirkt noch immer motiviert. Sie hängt Regalbretter um, sortiert Lichterketten neu ein. Zufrieden betrachtet sie ihr Werk, "kann man so machen, oder?", fragt sie die Kollegin. Zwei Schritte weiter hält ein weißhaariger Mann mit grünem Filzhut seiner Frau zwei Packungen vors Gesicht: "Die 100er oder die 20er? Welche magst haben?" "Ich sag jetzt gar nix mehr", sagt die Frau. Eine andere Kundin sucht nach schwarzen Christbaumkugeln, eine Frau im Daunenmantel sagt zu sich: "Zefix no amoi. Wo geht's denn hier raus?"

Weihnachten ist ein Fest der Ruhe und Besinnlichkeit. Das schon. Aber davor kommen die Weihnachtseinkäufe. Es braucht Geschenke und vor allem: Lebensmittel für die Feiertage. Man steht mit Tausenden anderen im Einkaufswagen-Stau, stößt aneinander, läuft um die Wette um die letzte Weihnachtsgans, braucht auf den letzten Drücker Batterien, Spiritus, Sonnenblumenöl. Auch Stress ist ein Weihnachtsgefühl, vielleicht sogar das am weitesten verbreitete.

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Der Regisseur Hanns Christian Müller hat dem Weihnachtsstress 1992 ein besonderes Denkmal gesetzt: mit dem Film "Langer Samstag". Der erzählt die Geschichte der Tankstellenpächterin Susi Herzog (Gisela Schneeberger). Herzog ist eine resolute, aber herzliche Frau mit bayerischer No-Bullshit-Attitüde. Ihre Mutter terrorisiert sie am Telefon, ihr gewalttätiger Ex-Mann stellt ihr nach. Und dann wird ihr am 23. Dezember auch noch der Pachtvertrag gekündigt, vom dubiosen Chef des benachbarten Großmarkts (Dieter Pfaff). Nun muss sich Herzog durch das Weihnachts-Chaos kämpfen, um den Marktleiter zur Rede zu stellen - und nebenher auch noch ihre Weihnachtseinkäufe (Zitronat und Mandelöl) erledigen.

Eine schier unlösbare Aufgabe. Ihre einzige Hilfe im Kampf gegen Anzugträger, Sekretärinnen und einen verdrehten, ehemaligen Stasi-Spion als Kaufhausdetektiv ist der Punk Anton (Tote-Hosen-Sänger Campino), ein Tunichtgut, der zu Beginn nur seine Punkrock-Musik im Sinn hat ("Das muss direkt in die Eingeweide pfeifen!"). Gemeinsam decken sie dann eine groß angelegte Supermarkt-Verschwörung auf. Auch Ottfried Fischer, Axel Milberg und Jochen Busse sind dabei. Der damalige Zweite Münchner Bürgermeister, Christian Ude, spielt einen Polizisten, der für seine Frau noch einen Hornhauthobel besorgen muss, eine solche Idee muss man ja auch erst einmal haben.

Gedreht wurde das alles auf dem V-Markt-Gelände an der Balanstraße. Zeit also für einen Besuch dort, wo Weihnachten direkt in die Eingeweide pfeift: im "Konsumtempel" (Zitat Campino), zur Haupteinkaufszeit am letzten Samstag vor Weihnachten. Der V-Markt ist ein Markt, wie es heute nur noch wenige gibt, vor allem nicht in der Stadt. Es gibt hier alles, von der Plätzchenform über Toastbrot bis zum Bürostuhl. Man kann sich verlieren in den um die zehn Meter hohen Hallen. Der Parkplatz zwischen Einkaufsmarkt, Baumarkt und Tankstelle ist mit Hunderten Autos voll besetzt. Ein grauhaariges Pärchen in Daunenjacken trägt einen Christbaum über die Zebrastreifen, durch das Tor im Zaun, hinaus in die Stadt.

Vor 27 Jahren wurde im V-Markt der Film "Langer Samstag" gedreht, mit Gisela Schneeberger, Campino, Dieter Pfaff, Christian Ude und Jürgen Hart (von rechts). (Foto: imago)

In den fast 30 Jahren seit Erscheinen des Films hat sich einiges getan. Einen Glühweinstand gibt es nicht mehr, lohnt sich nicht. Stattdessen eine Dönerbude und ein paar Schritte weiter einen Hendl-Stand. Die Steckerlfisch-Bude hat Happy Hour. In der Tankstelle gibt es keine Hamburger und keine Musik mehr, kein Bier und schon gar keinen Kosaken-Kaffee. Nur eine kleine Kammer mit zwei Kühlschränken und Kassenschalter. Der Liter Super (damals: 1,338 Mark) kostet heute 1,408 Euro. Und heute darf der Einzelhandel nicht nur an einem Samstag im Monat länger geöffnet bleiben. Heute ist jeder Samstag Langer Samstag. Nur eines scheint gleich geblieben zu sein: "Ich hab' immer noch denselben Schrank im Büro", sagt Marktleiter Peter Hofmeister, ein freundlicher großer Mann im Anzug.

Am Samstag arbeiten in zwei Schichten etwa 200 Menschen im V-Markt. Auch Hofmeister ist ständig unterwegs, er hat wenig Zeit. Darum nur kurz: Er hat Anfang der Neunzigerjahre schon hier gearbeitet. Natürlich habe sich das Weihnachtsgeschäft verändert, sagt er, viele Geschenke wie Elektrogeräte würden heute online gekauft. Aber nach wie vor sei der Dezember der umsatzstärkste Monat des Jahres, mit besonderem Andrang an Freitagen und Samstagen. Getoppt wird das nur noch vom 23. Dezember, wenn etwa 10 000 zahlende Kunden erwartet werden. Ein paar Last-Minute-Geschenke würden noch gekauft, aber an sich "ist Non-Food vorbei", sagt Hofmeister. "Jetzt geht's bei den meisten nur noch ums Essen."

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Und ums Trinken. "Du hast doch noch den Schampanninger daheim, oder?", fragt eine Frau ihren Begleiter. "Ja, aber der ist schon älter", lautet die Antwort.

Ein Mann spricht laut ins Handy: "Den Fürsten haben's reduziert, aber nur mäßig."

Hunderte Einkäufer schieben sich durch die Gänge, immer dabei: der Einkaufszettel, der bei manchen auch Plakatgröße haben kann. Beim Obst und Gemüse stauen sich die Einkaufswagen. Eine Stimme aus einem Lautsprecher preist "Granatäpfel aus Griechenland an". "Brauchen wir noch Suppengrün?", fragt eine Frau ihren Begleiter. Sie eilt davon, er schaut ihr hinterher, will auch irgendwohin, besinnt sich dann, wie ein Computer, bei dem man auf Reset gedrückt hat, und bleibt einfach stehen. "Haushalt, bitte 46", ertönt es aus dem Lautsprecher.

Die Zeit für Panikkäufe ist angebrochen. Noch schnell einein Präsentkorb? (Foto: Sebastian Gabriel)

Lieber nicht bewegen. Wer sich auf den Weg macht, kann davon abkommen und sich zwischen Gängen und Produkten verlieren. Es ist alles zu groß und von allem zu viel da. Nicht selten fühlt man sich wie Gisela Schneeberger im Film, die ihren Imbiss mal für eine Minute abschließt, um sich einem privaten Heulkrampf hinzugeben. 20 oder 30 Sekunden, dann klopft ja schon wieder Kundschaft.

Der Verkäufer an der Fischtheke erklärt einer Kundin, wie die Gräten verlaufen. Auch der Mann mit dem Filzhut ist da und tauscht sich übers Angeln aus. "Geräucherter Karpfen ist das Beste, was es gibt", sagt der Verkäufer. Aber der Andrang beim Fleisch ist natürlich größer.

Vor dem Ausgang piepsen ein Dutzend Registrierkassen im Akkord. Und trotz des Andrangs kommt ein merkwürdig friedliches Gefühl auf. Vielleicht weil der Weihnachtseinkauf so transparent ist, weil jeder hört, was die anderen umtreibt, oder mit einem Blick in den Einkaufswagen des anderen erkennt: Gans und Knödel. Das wird noch anstrengend. Schampanninger und Cassis. Da bekommt wohl jemand Gäste. Weil jeder den anderen in seinem Anliegen erkennt, und wenn es nur Zitronat und Mandelöl sind, ist es einfacher, empathisch zu sein.

"Dann hamma's, oder?", fragt der Mann mit dem Filzhut und nimmt seinen Gehstock aus dem Einkaufswagen. Ein Langer Samstag geht zu Ende.

© SZ vom 23.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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