Wintervögel in München:Dchää-dchää!

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Das häufige Auftreten der Eichelhäher ist in diesem Winter bundesweit zu beobachten. (Foto: Georg Wendt/ dpa)
  • Viele Freiwillige haben zwischen 10. und 12. Januar an der Zählung der Wintervögel teilgenommen, zu der der Landesbund für Vogelschutz in Bayern jedes Jahr aufruft.
  • In München wurde die Kohlmeise mit Abstand am häufigsten gesichtet.
  • Die endgültigen Zahlen für München stehen noch aus, doch Ornithologin Sophia Engel rechnet damit, dass die Zahl der gesichteten Vögel in diesem Jahr rückläufig ist.

Von Thomas Anlauf

Ein sonst eher seltener Wintergast in München fühlt sich derzeit offenbar deutlich wohler als in seinem eigentlichen Winterquartier. Bei der Zählung der Wintervögel, zu der der Landesbund für Vogelschutz (LBV) in Bayern jeden Januar aufruft, beobachteten die vielen freiwilligen Zähler im Raum München zahlreiche Exemplare der bunten Rabenvögel. So beobachtete jeder fünfte Münchner Vogelbeobachter während einer einstündigen Zählung zwischen 10. und 12. Januar einen Eichelhäher im Stadtgebiet. Im Landkreis München war es sogar jeder vierte. Das häufige Auftreten der Sperlingsvögel ist übrigens in diesem Winter bundesweit zu beobachten. Nach Auskunft des LBV-Kreisverbands München wurden zuletzt so viele Eichelhäher im Jahr 1978 gesichtet.

Der Grund für das Phänomen war ein sogenanntes Eichelmastjahr 2018 in den skandinavischen und baltischen Brutgebieten des Eichelhähers. Deshalb habe es dort "ein reiches Nahrungsangebot und sehr gute Überlebenschancen im darauffolgenden Winter" gegeben, sagt die Münchner Ornithologin und stellvertretende LBV-Geschäftsführerin Sophia Engel. Die Folge: In den Brutgebieten wuchs die Population der Eichelhäher rasch an. Für die vielen Vögel reichte in diesem Jahr deren Lieblingsspeise nicht aus, weshalb zahlreiche Eichelhäher nach Süden gezogen sind. Und dort halten sie sich gerne in wärmeren und nahrungsreicheren Städten wie München auf.

Doch Ornithologin Engel hat bei der Auswertung der diesjährigen Vogelzählung auch eine andere Beobachtung gemacht - und die hängt wohl mit dem Klimawandel zusammen. Viele der sonst üblichen Wintergäste aus dem Norden wie Erlenzeisige, Seidenschwänze, Bergfinken und Wacholderdrosseln seien in diesem Januar nur sporadisch in München aufgetaucht. Umgekehrt blieben viele Zugvögel wie Star, Hausrotschwanz und Mönchsgrasmücke, die sonst die Winter in wärmeren Gegenden verbringen, im Raum München. "Beides hängt mit dem milden Winter zusammen, der den Vögeln ein Überleben im Brutgebiet erlaubt und ihnen den anstrengenden und gefährlichen Zug ins Winterquartier erspart", sagt Engel.

Mit weitem Abstand wurde in München während der Zählung die Kohlmeise gesichtet, die in fast jedem Garten gleich mit mehreren Exemplaren auftauchte und im Vergleich zum Vorjahr deutlich häufiger in der Stadt zu beobachten ist. Doch auch schon im Januar 2018 war der kleine Vogel mit der gelben Unterseite und dem schwarzen Bauchstreifen der mit 8300 Sichtungen der häufigste Vertreter der Wintervögel in München.

Die Rabenkrähen ziehen im Frühjahr wieder zurück in die Brutgebiete im Baltikum, in Polen oder Skandinavien. (Foto: Horst Jegen/ imagebroker / mauritius images)

Auf Platz zwei folgt bereits die Rabenkrähe, die im Winter oft auch in Schwärmen auftritt. Sie tauchte in diesem Winter besonders häufig bei der Zählung auf. Die Rabenkrähe habe in den vergangenen Jahrzehnten "in besonderem Maße die Vorzüge der Stadt zum Überwintern für sich entdeckt", sagt Sophia Engel. Sie würden hier von den im Vergleich zum Umland milden Temperaturen und dem großen Nahrungsangebot in München profitieren. Krähen sind Allesfresser und bedienen sich auch an menschlichen Abfällen. Im Frühjahr ziehen die Rabenkrähen dann zurück in die Brutgebiete im Baltikum, in Polen oder Skandinavien.

Leicht rückläufig ist die Zahl der Amseln in München, trotzdem kamen sie in der Liste der am häufigsten gesichteten Vögel noch auf Platz drei, im Landkreis München war es sogar der zweite Rang. Das Ergebnis der Zählung war mit Spannung erwartet worden, weil es in den vergangenen beiden Sommern teils großflächige Ausbrüche des Usutu-Virus gab, für den die Amseln besonders anfällig und dem schon zahlreiche Schwarzdrosseln zum Opfer gefallen sind. Auch die Dürre in den vergangenen zwei Jahren dürfte die Amseln bedroht haben, da sich während einer Trockenperiode die Regenwürmer in tiefere Bodenschichten zurückziehen und für Amseln dann meist unerreichbar sind.

Zwar stehen die endgültigen Zahlen für München noch aus, weil Einsendeschluss für die größte deutsche Citizen-Science-Aktion erst am vergangenen Montag war. Doch Sophia Engel rechnet damit, dass die Zahl der gesichteten Vögel in diesem Jahr rückläufig ist. Da die Stadt so stark verdichtet und versiegelt ist, dürfte München wie schon in den vergangenen Jahren die Großstadt in Deutschland sein, in der es die wenigsten Vogelsichtungen pro Beobachter gibt. Trotzdem beteiligen sich Jahr für Jahr mehr Menschen an der bundesweiten Vogelzählung, die der LBV Bayern gemeinsam mit dem Naturschutzbund (Nabu) organisiert.

Die vielen Teilnehmer auch in München und dem Landkreis seien ein Hinweis darauf, "dass das Interesse an Natur und Naturschutz wächst. Vielleicht entdecken auch mehr Menschen für sich, wie schön es sein kann, mal genau hinzuschauen und die Vielfalt in der Natur zu beobachten", sagt die Münchner Ornithologin Sophia Engel.

© SZ vom 21.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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