SZ-Adventskalender:Miete? Einfach im Haushalt helfen

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Die etwas andere WG: Sozialwissenschaftsstudent Andy Vogel wohnt im Haus von Klaus Serbin. (Foto: Catherina Hess)

Der Altersunterschied ist für Andy Vogel und Klaus Serbin kein Problem. Beim Projekt "Wohnen für Hilfe" leben Studierende bei Senioren. Damit das funktioniert, gibt es eine klare Regel - theoretisch.

Von Lisa Miethke

Als seine Frau starb, lebte Klaus Serbin plötzlich allein in seinem Haus. Danach fehlte dem 81-Jährigen nicht nur die Gesellschaft. Da war auch der große Garten, den jemand pflegen musste: Rasen mähen, Laub rechen, die Bäume stutzen, allein war das mit seinem Rücken kaum möglich. Er wünschte sich Hilfe. Nur von wem? Die Antwort auf seine Frage fand Klaus Serbin bei Andy Vogel, Sozialwissenschaftsstudent an der Hochschule München im neunten Semester. Seit Mai 2019 wohnen die beiden zusammen in einer Art Mehr-Generationen-WG in Planegg.

"Wir passen eigentlich super zusammen", sagt Klaus Serbin, weiße Haare, gestreifter Pulli. "Aber er hat eine seltsame Diätmethode. Er isst kein Frühstück." Serbin verzieht das Gesicht, Andy lacht. Bei einem Besuch zu Hause sitzen sie gemeinsam am Wohnzimmertisch. Es ist ein Mittwoch, das ist wichtig zu betonen, denn sonntags hätten sie auf keinen Fall Zeit für ein Gespräch gehabt. "Wir gehen da immer im Wald spazieren, was ich cool finde, weil ich ein Naturmensch bin", sagt Andy Vogel. Danach gibt es Kuchen, zum Abschluss des Tages kocht Klaus Serbin. Französische, mal mittelöstliche oder auch europäische Küche. Die Einflüsse sammelte der Senior auf früheren Reisen.

Die Grundregel bei "Wohnen gegen Hilfe" lautet: Pro Quadratmeter an Wohnfläche hilft der Studierende eine Stunde pro Woche aus. Aber so eng sehen das die beiden nicht. (Foto: Catherina Hess)

Zusammen fanden er und Andy Vogel über das Projekt "Wohnen für Hilfe", ein Angebot des Seniorentreffs Neuhausen und des Studentenwerks. Studierende kommen dabei bei Senioren unter, die noch ein freies Zimmer haben, und zahlen keine Miete. Nur einen kleinen Beitrag zu den Nebenkosten müssen sie selbst übernehmen. Im Gegenzug helfen die Studierenden und inzwischen auch Auszubildende oder junge Berufstätige ihren Vermietern bei alltäglichen Aufgaben: Neben Gartenarbeit kann das Kochen, Einkaufen, Hilfe im Haushalt oder die Begleitung zu einem Arzttermin sein. Die Grundregel: Pro Quadratmeter an Wohnfläche hilft der Studierende eine Stunde pro Monat aus.

Klaus Serbin wohnt in einem großzügigen, zweistöckigen Haus mit Terrasse und Garten. "Gebaut 1969. Es ist ein echtes Familienhaus", sagt Serbin. Früher hätten hier auch noch seine drei Kinder gewohnt. Nun aber darf Andy Vogel im unteren Stockwerk mehr als drei Zimmer für sich selbst nutzen. Die Grundregel nehmen Andy Vogel und Klaus Serbin nicht ganz so genau: "Mir geht es einfach darum, dass ich einen Vertrauensmenschen im Haus habe, mit dem ich mich unterhalten kann und der andere Interessen mitbringt", sagt Klaus Serbin. Aber sie haben auch gemeinsame Interessen: Am liebsten tauschen sie sich über Technik aus. Das heißt, Andy zeigt ihm, wie der Computer angeht. Dafür erklärt Klaus Serbin dem Studenten dann schon mal die Technik hinter Glasfaserkabeln. Früher ist Klaus Serbin Techniker gewesen, in Deutschland habe er geholfen, mit einer Messtechnik das Kabelfernsehen einzurichten.

Andy Vogel macht Gartenarbeit und hilft im Haushalt. "Mir geht es einfach darum, dass ich einen Vertrauensmenschen im Haus habe, mit dem ich mich unterhalten kann und der andere Interessen mitbringt", sagt sein Vermieter Klaus Serbin. (Foto: Catherina Hess)

Für Andy ist das Projekt des Seniorentreffs Neuhausen sehr wichtig. Denn: "In jeder Stadt, ob jetzt München oder Berlin, ist der Wohnraum knapp oder halt nicht bezahlbar", sagt er. Eigentlich kommt er aus Norddeutschland, in München wohnte er zuvor bereits in zwei anderen Partnerschaften. Als Student muss er Geld sparen. Doch im Mittelpunkt des Projekts "Wohnen für Hilfe" stehen mehr als nur günstiger Wohnraum einerseits und Alltagshilfe für die Älteren andererseits: "Es ist ein solidarisches Miteinander zwischen den Generationen", sagt Brigitte Tauer. "Vielen geht es darum, dass sie nicht allein sind in der Wohnung oder im Haus. Dass sie wissen, da ist jemand, wenn es ihnen nicht so gut geht."

Brigitte Tauer ist eine von drei Mitarbeitenden, die sich um die Wohnvermittlung zwischen Senioren und Studierenden kümmert. Das Projekt gibt es bereits seit 1996. Mehr als 80 Wohnpaare leben derzeit in der Stadt München und in den benachbarten Landkreisen. Aber wie bringt man Jung und Alt zusammen? "Das Hauptkriterium ist, dass das Paar gut zueinander passt und der Student gerne die Hilfsleistungen macht, die der Senior erwartet", sagt Brigitte Tauer. Sie betont aber, dass darunter keine pflegerischen Tätigkeiten fallen.

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Zunächst füllen beide Parteien einen Fragebogen über sich selbst aus. Studierende geben an, welche Aufgaben sie bereit sind zu erledigen. Dann werden sie zu einem Gespräch in den Seniorentreff eingeladen. Die Senioren rufen an, wenn sie das Bedürfnis nach einem Mitbewohner haben, dann kommen Mitarbeitende des Seniorentreffs bei ihnen zu Hause vorbei. "Wir schauen natürlich, wie es dort aussieht und ob der Weg zur Universität oder der Ausbildungsstätte nicht zu weit weg ist", sagt Brigitte Tauer.

Besonders während der vergangenen zwei Jahre der Pandemie bemerkte Brigitte Tauer, wie wichtig das Projekt "Wohnen für Hilfe" sei. Viele der Senioren berichteten ihr, sie seien dankbar, in dieser Zeit jemanden zum Reden zu haben. Und die jungen Leute seien froh über einen Anschluss. "Das ist ja oft wie ein Familienanschluss. Gerade wenn sie von weit her kommen", sagt Brigitte Tauer. Problematisch sei aber, dass sie bisher zu wenig Senioren auf das Projekt aufmerksam machen können. Mehr Geld in Öffentlichkeitsarbeit zu investieren, Kurse für die Studierenden anzubieten, wie Erste Hilfe oder solche über Depression im Alter, das sei ihr Ziel. Aber die finanziellen Mittel sind knapp.

Hört man Klaus Serbin und Andy Vogel zu, wenn sie über ihre bisherige gemeinsame Zeit sprechen, klingt das tatsächlich weniger nach einer Zweckgemeinschaft als nach Familie. Oder einer alten Freundschaft: Sie sticheln sich gegenseitig. Lachen und rollen die Augen. Dann erzählen sie, wie sie einmal an einem lauen Sommerabend rausgingen, um einen Kometen zu beobachten. Oder von dem Tag, als sie ins Kino wollten und die Karten ausverkauft waren. Ach, und da war ja noch ein privates Tango-Konzert von zwei Musikern des Symphonieorchesters. Der Altersunterschied zwischen ihnen? Kein Problem. Zu erzählen haben sie sich viel.

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