SZ-Adventskalender für ukrainische Geflüchtete:"Ich muss stark sein für meine Familie"

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Große Anteilnahme fand eine krebskranke Mutter, die mit ihren zwei kleinen Kindern und ihrer Schwiegermutter aus Charkiw geflohen ist. (Foto: Robert Haas/Robert Haas)

Anastasiia Z. ist mit ihren Kindern vor dem russischen Bombardement ihrer Heimatstadt Charkiw geflohen. Die 36-Jährige hat eine schwere Krebserkrankung - und setzt ihre Chemotherapie nun in München fort. Der SZ-Adventskalender will ihr mit Spenden helfen.

Von Sven Loerzer

Zlata malt, und das ist tröstlich. Ein dicker, blauer Pinselstrich deutet die Umrisse eines Autos an, schwarze Kreise mit einem Kreuz stehen für die Räder. Vier stilisierte Sitze, ein Lenkrad. Zwei blaue Wolken, eine gelbe Sonne setzt die Achtjährige über das Auto, das ein wenig aussieht, wie ein gutmütiger Walfisch. Manchmal aber kippen ihre Gefühle von einem Moment auf den anderen. Dann kniet sie sich in eine Ecke, kauert sich ganz klein zusammen, mit dem Gesicht zur Wand, zieht den Anorak wie einen Schutzschild über Rücken und Kopf.

Zlata, ein zierliches Mädchen mit Pferdeschwanzfrisur, malt viele Autos, wohl auch, weil sich dann ihr kleiner Bruder freut. Zakher, der im Mai drei Jahre alt wird, liebt Autos. Aber seine Spielzeugautos, nach denen er fragt, sind unerreichbar weit weg. In dem Auto, das Zlata wieder und wieder malt, verbrachten die beiden Kinder 47 Stunden einer angsterfüllten, quälend langen Flucht aus ihrer Heimatstadt Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, im Nordosten des Landes, nicht weit entfernt von der russischen Grenze.

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Die Mutter der beiden, Anastasiia Z., 36, weiß nicht, ob das Haus, das sie am 24. Februar überstürzt verlassen haben, überhaupt noch steht. Das Bombardement der russischen Truppen traf Charkiw, eine Universitätsstadt von der Größe Münchens, schon zu Beginn von Putins Überfall auf die Ukraine mit voller Wucht.

Nun vergeht kein Tag, an dem die Kinder nicht fragen, wann der Papa kommt, nach dem sich alle sehnen. Die gemeinsame Flucht vor dem Krieg endete vor der slowakischen Grenze. Dort wurde der Vater aufgehalten, durfte nicht mit seiner Familie nach München ausreisen, als Mann im wehrfähigen Alter. Obwohl ein Arzt dem Mann bescheinigt hat, dass seine Frau wegen ihrer schweren Krebserkrankung und der Chemotherapie unbedingt seine Begleitung und seinen Beistand braucht, musste er in der Ukraine bleiben.

An den Tag, bevor die Invasion begann, kann sich Anastasiia Z. gut erinnern. Sie war in Kiew in der Klinik, wo sie seit Dezember wegen Krebs behandelt wurde. Sechs Chemotherapiezyklen sollte sie erhalten, der Operationstermin war schon für den Sommer angesetzt. Es ging ihr schlecht, deshalb hatte sie ihr Mann die gut sechs Stunden nach Kiew in die Klinik gefahren.

Am 23. Februar war ihr Zustand nicht besser, aber da war noch etwas anderes. "Ich hatte ein schlechtes Bauchgefühl", umschreibt Anastasiia Z. das, was sie so beunruhigte. Irgendwie habe ihr eine Art "mütterlicher Instinkt" gesagt, dass sie noch am gleichen Tag zurückfahren müsse nach Charkiw, zu ihren Kindern, um die sich während ihrer Abwesenheit ihre Schwiegermutter kümmerte.

Die Ärzte wollten Anastasiia Z. eigentlich noch nicht gehen lassen, weil sich ihr Zustand nicht gebessert hatte. Aber sie setzte sich durch, und so kehrten sie und ihr Mann in der Nacht nach Charkiw zurück. Am Morgen wachten sie von den ersten Explosionen auf, die Fenster wackelten, der Angriff auf die Ukraine hatte begonnen.

"Die Kinder standen unter Schock, sie haben ständig geweint."

Die Entscheidung, dass die Eltern ihre Kinder und sich selbst erst einmal in Sicherheit bringen, fiel schnell. Anastasiia Z. nahm ihren Rucksack mit den Medikamenten und den Krankenunterlagen, der noch unausgepackt in der Wohnung stand. Es musste schnell gehen, sie raffte etwas Kleidung zusammen, ihr Mann leerte den Kühlschrank. Sie weiß noch, dass sie ihre Kamera, die im Flur lag und ein Geschenk ihres Mannes war, sah und doch liegen ließ. "Man kann nicht mehr klar denken." Dann setzten sie sich wieder ins Auto.

Kaum hatten sie Charkiw verlassen, rückten schon russische Panzer an, erzählt die Mutter. Die Hauptstraßen nach Westen, Richtung Polen, waren verstopft, deshalb versuchten sie, über Nebenstrecken voranzukommen. "Die Kinder standen unter Schock, sie haben ständig geweint." 47 Stunden war die Familie ohne Pause im Auto unterwegs, "wir wussten nicht, wo der nächste Angriff bevorsteht".

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Anastasiia Z. litt unter den Nebenwirkungen der Chemotherapie. Weil ihre Haare ausgefallen sind, trägt sie längst eine Mütze. Auf der Fahrt bekam sie immer wieder Nasenbluten, Schwindelanfälle und Durchfall, "wir mussten öfter anhalten".

In der Hektik des Aufbruchs hatten sie Unterwäsche für ihren kleinen Sohn vergessen und behalfen sich mit Plastiktüten. Als sie nach fast zwei Tagen im Auto Lwiw in der Nähe der polnischen Grenze erreichten, versorgten Ehrenamtliche die Familie mit Essen und Kleidung für den Kleinen. Auch einige, aber nicht mehr alle Medikamente, die Anastasiia Z. ausgegangen waren, konnten die Helfer auftreiben.

Ein erster Versuch, nach Rumänien auszureisen, scheiterte. Ein Arzt bescheinigte dem Ehemann, dass er als Betreuungsperson seiner Frau gebraucht wird. Damit konnten sie immerhin zwei Kontrollzonen auf dem Weg zur Slowakei passieren, doch der dritte Posten stoppte den Vater. "Die Kinder weinten, sie wollten ihren Papa nicht zurücklassen." Ein hilfsbereiter Mann namens Martin aus Chemnitz fuhr die Geflüchteten nach München, wo sie dann dank entfernter Kontakte vorübergehend Aufnahme bei den Eltern einer Stadträtin fanden.

Der SZ-Adventskalender ermöglicht dringend nötige Anschaffungen der ersten Zeit

Die München Klinik übernahm im Rahmen der Nothilfe die dringend benötigte Fortsetzung der Chemotherapie, obwohl die krebskranke Frau nicht krankenversichert ist. Jetzt hat sich auch eine Wohnung für die kleine Familie gefunden. Bis sie die angekündigten staatlichen Hilfen zum Lebensunterhalt bekommt, will der SZ-Adventskalender mit Geldspenden helfen, die wichtigsten Dinge zu beschaffen: Kleidung, Schuhe, Hausrat, Spielzeug für die Kinder, einen Roller für den Sohn, ein Rad für die Tochter. "Für die beiden war das alles eine große Belastung", sagt die Mutter, ihr bereiten die bei den Kindern plötzlich auftretenden extremen Stimmungsschwankungen zwischen Lachen und Weinen Sorgen.

Charkiw, die Heimatstadt von Anastasiia Z., liegt nach russischen Angriffen in Trümmern. Hier ein Blick auf einen Kinderspielplatz vor einem beschossenen Wohnhaus. (Foto: Andrew Marienko/dpa)

Ihre Tochter, die bis Kriegsbeginn die zweite Klasse besuchte, stelle viele Fragen, die Mutter versucht dann zu erklären, "dass der russische Präsident unser Land angegriffen hat". Ihre Kinder sollen keine Hassgefühle gegenüber Russen entwickeln, es seien nicht die Russen, bekräftigt sie, es sei Putin, der Krieg führt. Charkiw sei die größte russischsprachige Stadt in der Ukraine, sagt Anastasiia Z., die als Tochter ukrainisch-russischer Eltern beide Sprachen fließend spricht, nie sei sie angefeindet worden, wenn sie Russisch sprach. Enge Beziehungen zwischen Russen und Ukrainern gibt es über Landesgrenzen hinweg: Anastasiias Mutter ist nach dem Tod ihres Mannes zur Schwester nach Russland gezogen.

"Ich muss stark sein für meine Familie."

Der Vater der Kinder hat sich im Herbst des vergangenen Jahres Geld geliehen, um den Partner, mit dem er eine Motorradwerkstatt betrieb, auszuzahlen. Anastasiia Z. hat bis zur Krebsdiagnose freiberuflich als Journalistin gearbeitet. Sorgen macht sie sich weniger um die Zukunft als vielmehr um die Gegenwart.

Da ist die Angst, dass ihre Therapie unterbrochen werden muss und das bange Warten auf ihren Mann. Und die Erinnerung: "Wir waren glücklich in Charkiw, es war eine sehr kinderfreundliche Stadt, mit Zoo und Botanischem Garten. Wie lange wird es dauern, bis man das alles wieder herstellt?" In der Nacht findet sie kaum Schlaf: "Früher hatten wir ein Leben, wo wir wussten, wo es hingeht, jetzt herrscht nur noch Unklarheit."

Anastasiia Z. erlaubt sich nicht zu weinen, "ich glaube an den Frieden und daran, dass Gott mir und meinem Land hilft. Dafür bete ich jeden Tag." Sie sei sehr dankbar, "dass ich so viele hilfsbereite Menschen gefunden habe". Das gibt ihr Kraft. Kraft, die sie im Kampf gegen Krebs und Kriegsfolgen dringend braucht: "Ich muss stark sein für meine Familie."

Hilfe für Ukraine

Der "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung" bietet Menschen, die in Not sind, Unterstützung - in diesen Tagen gerade denjenigen, die vor dem Krieg aus der Ukraine fliehen. Überwiegend sind es Frauen und Kinder, die ihre Heimat verlassen, aber auch alte Menschen. Sie konnten oft nicht einmal das Allernötigste auf die Flucht mitnehmen. Es fehlt an Hygieneartikeln, aber auch an Kleidung.

Bis die Geflüchteten, die sich registrieren lassen, staatliche Unterstützung erhalten, dauert es. Der SZ-Adventskalender hilft aus, wo es am notwendigsten ist, etwa bei der Beschaffung von Decken und Wärmflaschen und stellt Einkaufsgutscheine für den ersten alltäglichen Bedarf bereit, die in den Notunterkünften ausgegeben werden. Über die Einzelfallhilfe erhalten kranke und alte Geflüchtete zusätzliche Unterstützung, wie etwa medizinische Hilfsmittel. Unterstützung gibt es auch bei der nötigen Schulausstattung für Kinder.

Wer helfen möchte, spendet unter Angabe des Verwendungszwecks Ukraine an:

"Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V."

Stadtsparkasse München

IBAN: DE86 7015 0000 0000 6007 00

BIC: SSKMDEMMXXX

Jede Spende wird ohne Abzug dem guten Zweck zugeführt, alle Sach- und Verwaltungskosten trägt der Süddeutsche Verlag. Ein Überblick, welche Möglichkeiten sonst bestehen, Kriegsopfern Hilfe zukommen zu lassen, findet sich unter:

www.sz.de/ukrainehilfe

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