SZ-Adventskalender:Ein sicherer Ort, weit entfernt von der Heimat

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Die Wände in den Räumlichkeiten in der Franziskanerstraße 14 sind geschmückt mit den Kunstwerken von geflüchteten Kindern und Jugendlichen. Hier arbeitet die Psychotherapeutin Jewgenija Korman. (Foto: Robert Haas)

Im Mental Health Center Ukraine finden Menschen, die aufgrund des dortigen Krieges geflohen sind, psychosoziale Hilfe in ihrer Muttersprache. Ein einzigartiges Projekt in Deutschland - aber es fehlt Geld.

Von Rashidah Hassen

Da steht ein Haus aus weißer Pappe, hüfthoch. Auf einer Wand ist in kleinen kyrillischen Buchstaben geschrieben: "Bitte dreimal klopfen". Jewgenija Korman ist Psychotherapeutin in Ausbildung und arbeitet mit geflüchteten Kindern aus der Ukraine. "Mit den Häusern haben sie einen Ort nach ihren eigenen Regeln gestaltet." Eine Erfahrung, für die sonst wenig Raum bleibt: selbst bestimmen, was passiert und wer hereinkommen darf.

Das Mental Health Center Ukraine (MHCU) von Refugio München bietet psychosoziale Erste Hilfe für Menschen, die aufgrund des Krieges geflohen sind. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Kurzzeitinterventionen. In bis zu fünf Einzel- oder bis zu acht Gruppenterminen werden akute Themen angesprochen und Strategien vermittelt, wie man damit umgehen kann.

"Oft sprechen wir über den Umgang mit Nachrichten. Manche haben Push-Benachrichtigungen und Alarme auf dem Handy aktiviert, um die Familie in der Ukraine zu warnen, wenn wieder Bomben fallen. Man muss sich die Frage stellen: Was ist ein gutes Maß, damit ich selbst nicht erkranke?" Der Umgang mit häufigen Triggern wie dem Geräusch von Flugzeugen gehört ebenfalls dazu sowie die Aufklärung über psychische Erkrankungen.

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Dort, wo die Worte für Gefühle fehlen, helfen Farbe und Papier. Die Wände in den Räumlichkeiten in der Franziskanerstraße 14 sind geschmückt mit den Kunstwerken von Kindern und Jugendlichen. Auf einem der Bilder ist ein Haus mit einem Hund zu sehen, der zurückgelassen werden musste. Mit der Zeit werden die Kinder offener, lachen mehr, halten auch länger Augenkontakt. "Manche fragen: 'Können wir schon morgen wiederkommen?', obwohl erst in einer Woche wieder die Gruppe stattfindet", erzählt Jewgenija Korman.

Ein einzigartiges Projekt in Deutschland: Jeder Fall wird sowohl von einer Sozialarbeiterin als auch therapeutisch betreut. Die Fragen überschneiden sich oft - gerade, wenn es um Kinder und Jugendliche geht. "Da ist die Kommunikation mit allen Stellen wichtig: mit der Schule, dem Jugendamt, mit gesetzlichen Betreuenden. Nur so können wir die beste Unterstützung für das Kind bieten."

Für die Kinder ist es wichtig, diesen Raum zu haben

Was sich außerdem bewährt hat: Während die Kinder in einer Gruppe sind, können die Eltern sich im Raum nebenan austauschen. Auch für die Kinder ist es wichtig, diesen Raum zu haben. "Ein Kind hat mir einmal gesagt: 'Hier kann ich einfach sprechen oder meine Meinung sagen, ohne jemanden zu belasten'", sagt Jewgenija Korman. Vor allem das Thema Verlust spielt eine große Rolle. "Zum Beispiel, wenn ein Elternteil an der Front verstorben ist."

Viele von ihnen sind über Online-Unterricht auch an die Schule in der Heimat angebunden. Das bedeutet, der Kontakt zu Klassenkameraden bleibt erhalten. Es bedeutet aber auch mehr Druck - von deutschen und ukrainischen Lehrern wie von den Eltern, in beiden Systemen gut zu sein. "Dieser Druck von allen Seiten erschwert die Integration und führt schneller zu Erkrankungen. Wir helfen ihnen dabei, einen guten Mittelweg finden."

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Das Leben mit der Unsicherheit ist immer wieder Thema. "Jeder Tag, an dem der Krieg weitergeht, ist einer zu viel." Vor allem für Teenager stellen sich große Zukunftsfragen. Viele hatten vor, in der Ukraine zu studieren. Und jetzt? "Als Therapeutin kann ich ohnehin keine Antwort darauf geben und sagen, was jemand machen soll", betont Jewgenija Korman. "Aber wir können überlegen und uns die Optionen genauer anschauen. Wie wäre es, das eine oder das andere zu machen? Wie fühlt sich das an? Was tauchen da für Bilder auf?"

Das zehnköpfige Team unter der Leitung von Pädagogin Andrea Gebhardt und der Ärztin Camilla Ulivi besteht aus Psychologinnen, einer Sozialarbeiterin, einer Psychiaterin sowie Peer-Beraterinnen . Die Zusammenarbeit aus verschiedenen Disziplinen zeichnet das MHCU aus.

Jewgenija Korman begleitet das Projekt auch wissenschaftlich. "Wir erheben unter anderem Daten zur Zufriedenheit und wie sich die Leistungsfähigkeit verändert." Hier zeigt sich, dass das Konzept anschlägt.

Sowohl ukrainische als auch russische Mitarbeiterinnen und Kulturmittlerinnen helfen, das Angebot auch in der Muttersprache der Klientinnen und Klienten anzubieten. Diese schätzen das, denn fehlende Deutschkenntnisse sind oft eine Barriere, um von psychosozialer Unterstützung zu profitieren. Teilweise können die Personen sich auf Deutsch noch nicht gut genug ausdrücken, und auf ihrer Muttersprache meistens nur mit Personen reden, die ebenfalls belastet sind.

420 Personen wurden in den vergangenen eineinhalb Jahren betreut

Forschungsergebnisse zeigen außerdem, dass eine psychotherapeutische Behandlung in der Muttersprache besser wirkt, selbst bei guten Kenntnissen der Zweitsprache. Eine große Rolle spielen hierbei auch Kulturmittler, die nicht nur die Übersetzung, sondern auch den Subtext kennen. Zum Beispiel ist im Deutschen "Ja" und "Nein" umgangssprachlich, in anderen Sprach- und Kulturkreisen ist es zum Teil hinter anderen Formulierungen versteckt. Aber diese Hilfe ist nicht billig. Es fehlt Geld, um Kulturmittler zu engagieren, die dafür sorgen, dass alle Projekte in der Muttersprache angeboten werden können. Auch das Angebot der kunsttherapeutischen Gruppe kann über Spenden weiter finanziert werden, etwa für Materialien wie Pappe. Damit die Kinder wieder Häuser bauen können.

Von Mai 2022 bis September 2023 wurden bereits über 420 Personen betreut. "Dass wir so schnell nach Kriegsbeginn aktiv werden konnten, liegt an vielen Spenden", sagt Korman. "Wir hatten Glück, dass es eine große Solidarität gab."

Die Anfragen übersteigen aber die Kapazitäten. "Wir hatten uns vorgenommen, jedem nach ein bis zwei Wochen einen Platz anzubieten." Mittlerweile sind es mindestens vier Wochen Wartezeit, die vergehen, bis jemand die Angebote in Anspruch nehmen kann. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen steigt der Bedarf. Jewgenija Korman und das Team des Mental Heath Center Ukraine würden dem gerne entgegenkommen. "Aber wir sind schon froh, wenn wir den derzeitigen Anmeldungen für das nächste Jahr weiter gerecht werden können."

Im Flur zeigen die Bilder, was in den Köpfen der Kinder vorgeht, ihre Hoffnungen und Ängste. Ein Bild zeigt den Kosmos und viele Sterne, ein anderes zeigt ein buntes Haus mit grauen Flugzeugen am Himmel.

So können Sie spenden: "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V." Stadtsparkasse München IBAN: DE86 7015 0000 0000 6007 00 BIC: SSKMDEMMXXX

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