SZ-Adventskalender:Farbkleckse gegen die Tristesse

Lesezeit: 4 min

Mark ist sehr an Kultur und Kunst interessiert. "Was ich nach meinem Studium erreichen möchte, ist Museen für Menschen zugänglich zu machen, die nicht so einfach den Zugang dazu haben", sagt er. (Foto: Catherina Hess)

Mark war sieben, als seine Eltern sich trennten - von da an musste er sich allein um seine psychisch kranke Mutter kümmern. Jetzt hat er kaum Geld, lebt in einem Studentenwohnheim und wünscht sich ein weniger karges Zimmer.

Von Eva Pramschüfer

Das erste Mal bemerkte Mark (Name von der Redaktion geändert), 22, dass etwas mit seiner Mutter nicht in Ordnung war, als er fünf Jahre alt war. Denn seine Mutter hörte Stimmen: aus den Decken, dem Waschbecken, den Leitungen. "Als Kind kannte ich es nicht anders. Aber irgendwann wurde mir klar: Mit meiner Mama stimmt etwas nicht."

Seine Eltern waren eine Zeit lang glücklich - daran erinnert sich Mark, der vor der weißen Wand seines Wohnheims sitzt. Ein Schokoladen-Adventskalender hängt im Hintergrund, ansonsten ist die Wand leer. Er spricht ruhig über seine Vergangenheit, eloquent über die Geschehnisse, und vor allem: ohne Vorwurf in der Stimme.

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Noch bevor Mark in die Schule kam, trennte sich Marks Mutter von ihrem Mann - aufgrund seiner manischen Depression und Alkoholsucht. Aber mit der Trennung kehrten auch die psychischen Probleme seiner Mutter zurück. Mark erinnert sich, wie seine Mutter nach der Trennung zu ihm sagte: "Wenn Papa jetzt weg ist, bist du der Mann im Haus" - zu diesem Zeitpunkt war Mark sieben Jahre alt.

Als Mark fünfzehn Jahre alt war, war es ausgerechnet seine Mutter, die ihm den entscheidenden Hinweis dafür gab, worunter sie litt. "Wir haben uns gestritten, als sie plötzlich sagte: 'Ich bin doch nicht schizophren'." Danach habe er "Schizophrenie" gegoogelt. "Ich wusste jetzt, dass es dafür einen Namen gibt. Es ist eine Erkrankung, nicht sie selbst."

Sein ganzes Leben verbrachte er in Abhängigkeit zu seiner Mutter. "Wenn es ihr schlecht ging, ging es auch mir schlecht." Als Mark 17 Jahre alt war und sein Abitur schrieb, spitzte sich die Lage zu. Seine Mutter baute zu dieser Zeit einen Wahn gegen die Nachbarschaft auf: Sie dachte, dass sie dort nicht mehr sicher war - und wollte die Wohnung kündigen. Es wurde deutlich: Seine Mutter musste in Behandlung. Doch so einfach ging das nicht. "Ich habe in dieser Zeit mit ganz München telefoniert: Mit dem Gesundheitsamt, der Polizei, mit Schulpsychologen, mit Psychiatern, mit der Hausverwaltung. Ich habe ihnen gesagt: Wenn meine Mama zu Ihnen kommt, bitte lassen Sie sie nicht unsere Wohnung kündigen, sie ist krank."

Schließlich wurde Marks Mutter handgreiflich, griff seine Großmutter an. "An dem Tag, an dem die Einweisung stattgefunden hat, war ich am Ende meiner Kräfte." Kurz vor Weihnachten nahm die Polizei Marks Mutter mit. "Das war schon sehr dramatisch. Ich weiß auch bis heute nicht, ob ihr bewusst ist, dass ich damals der Polizei die Wohnung aufgesperrt habe."

Marks Mutter kam in die Klinik und bekam Medikamente verabreicht - doch dadurch wurden ihre Probleme nur bedingt besser. Als sie die Klinik verlassen durfte, fiel sie in eine tiefe Depression. Mark musste sich weiterhin intensiv um sie kümmern. "Das war dann der Punkt, wo ich nicht mehr konnte." Mark verschob sein Abitur und merkte: Er musste ausziehen. Was nun begann, war ein jahrelanger Kampf um eine eigene Wohnung.

"Es ist immer so einfach zu sagen: 'Du musst da raus', aber die Umsetzung war extrem schwierig." Ein Auszug ist mit kaum vorhandenen finanziellen Mitteln und ohne Rückhalt der Familie weitestgehend unmöglich: Mark hatte kein geregeltes Einkommen, Mittel für eine Mietkaution oder für den Umzug selbst. Er wandte sich an die "Pädagogische Hilfen für junge Erwachsene" - eine Auffangstelle, die Jugendlichen in der Übergangsphase von 18 bis 21 in Not hilft. Als er ihnen dort seine Situation schilderte, gaben sie ihm Angebote für eine therapeutische Wohngemeinschaft. "Das hätte aber bedeutet, dass ich mit anderen psychisch kranken, jungen Erwachsenen zusammengewohnt hätte. Was ich wollte, war, von so einem Umfeld wegzukommen."

Mark erfuhr kein Verständnis für seinen Wunsch, aus diesem Teufelskreis auszubrechen - und fiel durch viele Hilfesysteme durch. Zum Beispiel beim Jobcenter, weil er studierte und deshalb dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stand. Schließlich erhielt er einen Platz in einem Studierendenwohnheim, die keine Bürgschaft und eine Kaution forderten, die er sich leisten kann. Mit Stiftungsmitteln konnte er den Auszug stemmen - und hatte so den ersten Schritt in eine selbstbestimmte Zukunft geschafft. Er begann ein Studium in Sozialer Arbeit mit Schwerpunkt Medienkultur und Bildung, um später einmal anderen Menschen helfen zu können. Seine Situation stabilisierte sich, doch seine finanziellen Sorgen blieben. Lange arbeitete er in prekären Arbeitsverhältnissen, die er aus Geldnot nicht verlassen konnte.

Schließlich hat er einen neuen Job als Hilfskraft beim Versand gefunden. Viel verdient er dort nicht - und die Belastung, neben seinem Studium und Job für seine Mutter zu sorgen, ist geblieben. "Für meine Mama da zu sein, ist mehr, als nur einkaufen zu gehen oder mal schnell Wäsche zu waschen. Natürlich könnte ich auch sagen, ich ziehe mich weiter zurück - aber sie ist immer noch meine Mutter." Zu seinem Vater hatte Mark wenig Kontakt - etwas, was er im Nachhinein bereut, denn sein Vater verstarb im vergangenen Jahr.

Was Mark sich wünscht? Sein Wohnheimzimmer gemütlicher machen. Ein Teppich, ein Bild oder einen großen Kochtopf, weil er nur einen kleinen besitze. Ein Fahrrad, mit dem er zur Arbeit fahren kann, oder einen neuen Laptop für sein Studium - denn sein jetziger stürzt immer wieder ab.

Mark ist sehr an Kultur und Kunst interessiert, würde gern mehr Geld zur Verfügung haben, um ins Museum und in Ausstellungen zu gehen. "Was ich nach meinem Studium erreichen möchte, ist Museen für Menschen zugänglich zu machen, die nicht so einfach den Zugang dazu haben." Er möchte Kultur den Menschen näherbringen, die sie nicht durch ihr Elternhaus mitbekommen haben oder nicht die finanziellen Mittel besitzen, sie zu erkunden. Er findet, dass jeder Kunst genießen können sollte. "Mir hat Kunst immer sehr viel Kraft gegeben. Vor allem, verschiedene Emotionen in der Kunst zu finden, die man auch bei sich selbst finden kann."

So können Sie spenden: "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V." Stadtsparkasse München IBAN: DE86 7015 0000 0000 6007 00 BIC: SSKMDEMMXXX

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