Stadtpolitik:Münchens Linke hat eine neue Spitze

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"Statt Milliarden in Rüstung zu investieren, muss der Sozialstaat gestärkt und Vermögen gerechter verteilt werden", sagt Stefan Jagel, der neue Linken-Chef in München. (Foto: Florian Peljak)

Fraktionschef Stefan Jagel ist nach dem Rückzug von Nicole Gohlke zum Kreisvorsitzenden gewählt worden. Wer ist der Mann - und mit welchen Themen will er die Linke in die Kommunalwahl führen?

Von Heiner Effern

Um zu verstehen, wie die Linke im Jahr 2024 in München tickt, lohnt sich der Blick auf ein vier Jahre altes Foto. Einen Monat vor der damals anstehenden Kommunalwahl warb die Partei mit einer Aktion für eine Tram-Offensive. Um das verkehrspolitische Thema nicht ganz so trocken rüberzubringen, hatten die Mitglieder gebastelt: kleine Tramwaggons zum Überhängen. Damit bildeten die Prominenteren unter den Linken einen Zug: Brigitte Wolf, amtierende Stadträtin, fuhr mit, dahinter Nicole Gohlke, Kreisvorsitzende. Ganz vorne lenkte den Zug aber ein Mann, einer, den damals nicht einmal eingefleischte Politikbeobachter einordnen konnten: Stefan Jagel, gelernter Krankenpfleger, Gewerkschaftssekretär.

Seit diesem Samstag hat der unbekannte Trambahnfahrer von damals das Steuer bei der Münchner Linken endgültig übernommen. Auf einem Parteitag im Kolpinghaus gleich hinter dem Stachus wählten ihn die Mitglieder mit 90 Prozent zum Co-Kreisvorsitzenden. Jagel wird nun mit der im Amt bestätigten Marina Dietweger auch die Geschicke der Partei in München lenken. Den Fraktionsvorsitz im Stadtrat hatte er bereits nach seinem Einzug im Jahr 2020 übernommen. "Angesichts der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich und dem Spiel der Populisten mit den Ängsten der Menschen ist es an der Zeit, mit sozialen Ideen zu kontern. Statt Milliarden in Rüstung zu investieren, muss der Sozialstaat gestärkt und Vermögen gerechter verteilt werden", teilte Jagel nach seiner Wahl auf Instagram mit. In München wolle er vor allem für bezahlbaren Wohnraum kämpfen.

Der 1984 in Traunstein im Chiemgau geborene Jagel musste für seinen Aufstieg an die Spitze der Münchner Linken allerdings niemanden herausfordern. Die bisherige zweite Co-Vorsitzende, die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke, übergibt das Amt im Konsens. "Ich habe es jetzt lange genug gemacht, knapp sieben Jahre. Ich will gerne selbstbestimmt was anderes machen", sagte sie vor dem Parteitag.

In diesen sieben Jahren hat sie mehr als genug für eine Kreischefin erlebt: die Hochphase der Linken, in München ebenso wahrnehmbar, wenn auch nicht so stark wie in anderen Teilen der Republik. Mit dem Volksbegehren gegen den Pflegenotstand und Kampagnen für günstige Mieten und gegen das neue Polizeiaufgabengesetz konnte die Linke überproportional viele Menschen erreichen. "Die Hochphase konnten wir nicht halten", sagte Gohlke selbstkritisch.

Der Streit um Sahra Wagenknecht hat viel Kraft gekostet

Der Grund dafür hat aus ihrer und auch aus Sicht des neuen Vorsitzenden Jagel einen Namen: Sahra Wagenknecht. Der jahrelange interne Machtkampf, der im vergangenen Herbst mit der Spaltung endete, habe die Partei "zermürbt", sagte Gohlke. Die eigenen Mitglieder und auch die Wählerinnen und Wähler seien schwer verunsichert worden. Etwa 150 Menschen sind in der Zeit aus der Linken ausgetreten, auch viele junge Aktivisten. Etwa 700 Mitglieder zählt die Partei noch in München, seit der Abspaltung des Wagenknecht-Flügels ist die Tendenz wieder steigend. "Die Trennung und die Klarheit jetzt hat gut getan", sagt Gohlke.

Eine spürbare Konkurrenz durch das neue Bündnis Sahra Wagenknecht ist bisher in München nicht zu erkennen. Öffentlich ist es in der Stadt nicht wirklich wahrzunehmen. Eine Anfrage an deren Bundeszentrale nach einer Parteistruktur oder Ansprechpartnern blieb tagelang unbeantwortet. Eine Spaltung in der Stadt ist auch für die bisherige Kreisvorsitzende Gohlke nicht zu erkennen. "Wir sind in München noch vergleichsweise gut weggekommen, mit guten Kommunalpolitikern im Stadtrat und den Bezirksausschüssen. Der Aufbau passt."

Die Wahlergebnisse der Linken in München bewegen sich nach zum Teil herben Verlusten seit Jahren aber konstant unter fünf Prozent. Bei der Stadtratswahl 2020 erreichte sie 3,3 Prozent der Stimmen, bei der Bundestagswahl 2021 kam sie auf 4,1 Prozent der Zweitstimmen. Noch weiter nach unten ging es bei der Landtagswahl mit zwei Prozent der Gesamtstimmen. Nun liegt es an den Vorsitzenden Dietweger und Jagel, wieder neuen Schwung aufzubauen.

Wenn es jemand in München gelingen kann, dann wohl Jagel. Zur Überraschung zumindest der meisten Menschen außerhalb der Linken übernahm im Sommer 2020 nicht die arrivierte und über die Parteigrenzen hinaus anerkannte Stadträtin Brigitte Wolf die Leitung der Fraktion, die mit Marie Burneleit von "Die Partei" gebildet wurde, sondern der Neuling. In kürzester Zeit knüpfte er ein Netz an Kontakten, arbeitete sich in Themen ein und löste strategisch geschickt mehr politische Bewegung aus, als man es so einer kleinen Gruppierung zutrauen konnte.

Sein Draht zu den Gewerkschaften ist gut

Er habe die Linke in den vergangenen vier Jahren als Fraktionschef "als Kümmerer-Partei" etablieren wollen, sagte Jagel vor seiner Wahl zum Kreisvorsitzenden. Die Schwerpunkte sind dabei klar gesetzt: Kampf gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck, Mieten, Gesundheit. Bei diesen Themen kann er auch auf die Gewerkschaften zählen, zu denen er aufgrund seines Berufs einen weitgehenden Zugang besitzt. Bei den Heizungskosten mit Fernwärme, Nebenkosten bei städtischen Wohnungen, Gesundheitsversorgung in den Stadtvierteln oder Sanierung der städtischen Kliniken mischt er kräftig mit, vor und hinter den Kulissen.

Dabei hat er die Umverteilung des Wohlstands von oben nach unten immer fest im Blick, aber auch keinerlei Berührungsängste mit anderen Parteien, je nachdem, ob es seinen Zielen nützt. Man sieht ihn nach Stadtratssitzungen mit der CSU-Kommunalreferentin Kristina Frank vor dem Rathaus stehen, ins Gespräch vertieft. Bei ihr im Haus liegt der Ankauf von Gebäuden, deren Mieter von Gentrifizierung bedroht sind. Vor dem Sitzungssaal trifft man ihn schon mal, wenn er mit Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek diskutiert und auch lacht. Zum linken Flügel der Grünen wirken die Kontakte fast freundschaftlich.

Die Linke will die Stadtpolitik bis zur Kommunalwahl immer wieder mit ihren Themen auf Trab halten. Kürzlich hat Jagel seine Art der Politik so erklärt: In Anlehnung an Sozialpädagogen, die nicht im Büro auf ihre Klienten warten, sondern hinausgehen und diese zu Hause besuchen, wolle er "eine aufsuchende Kommunalpolitik" umsetzen. In Wahlkampfzeiten praktizieren diese viele Parteien, nennen das Klinkenputzen oder Haustürwahlkampf, während der Legislatur dürfte das eher selten vorkommen.

Jagel und seine Mitstreiter waren kürzlich unterwegs, haben einfach mal geklingelt und nach explodierenden Nachzahlungen bei den Nebenkosten gefragt, und sind eigenen Angaben auf große Resonanz gestoßen. Ein weiterer Nadelstich bei den Sozialdemokraten und Grünen, deren enttäuschte Wähler Jagel in den kommenden beiden Jahren bis zur Kommunalwahl einsammeln will.

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