Kohleausstieg:SPD und CSU setzen sich über Bürgerentscheid hinweg

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Der Steinkohleblock des Kraftwerks wird abgeschaltet - allerdings erst 2028. (Foto: Robert Haas)
  • In einem Bürgerentscheid hatten die Münchner den Ausstieg aus der Steinkohle für 2022 beschlossen.
  • Der Wirtschaftsausschuss hat nun mit einer Mehrheit von CSU und SPD beschlossen, dass der Steinkohleblock im Heizkraftwerk Nord erst 2028 abgeschaltet werden soll.
  • Die Missachtung des Bürgervotums begründet die Stadtspitze mit rechtlichen Bedenken.

Von Heiner Effern, München

Der Bürgerentscheid zum Ausstieg der Stadt aus der Steinkohle bis Ende 2022 ist Geschichte. Der Stadtrat hat den Beschluss der Münchner offiziell für technisch und rechtlich nicht umsetzbar erklärt. Da die Bindefrist eines Bürgerentscheids nach einem Jahr abläuft, ist die Entscheidung nicht angreifbar. Stattdessen verabschiedete der verantwortliche Wirtschaftsausschuss mit der Mehrheit von CSU und SPD ein deutlich weniger ambitioniertes Kohle-Minderungsprogramm. Bis zum Jahr 2028, dem nun vorgesehenen Laufzeitende des Steinkohleblocks im Heizkraftwerk Nord, soll der Ausstoß von Kohlenstoffdioxid (CO₂) insgesamt um 4,3 Millionen Tonnen reduziert werden.

Die Stadtwerke München (SWM) als Betreiber des Kraftwerks halten diese Vorgabe für machbar, sagte Geschäftsführer Florian Bieberbach nach der Sitzung. Derzeit werden als Richtzahl 750 000 Tonnen Steinkohle pro Jahr verbrannt. Mit den Vorgaben der Stadt müsste der Verbrauch bis 2028 durchschnittlich um etwa 200 000 Tonnen jährlich sinken. Wie die SWM ihr Budget an Abgasen nutzen, steht ihnen frei. Trotzdem würden sie "einen Haufen Geld" verlieren, sagte Bieberbach, etwa 200 Millionen Euro. Doch eine solche politische Abwägung sei "völlig in Ordnung".

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Die drohenden Verluste waren in der Diskussion ohnehin in den Hintergrund gerückt. Letztlich entscheidend für das Kippen des Bürgerentscheids waren rechtliche Argumente. Es gilt als sicher, dass die Bundesnetzagentur das Kraftwerk für systemrelevant erklären wird. Das heißt, dass zur Sicherheit der Versorgung mit Strom das Kraftwerk nur stillgelegt werden darf, wenn gleichzeitig ein neues mit der entsprechenden Leistung errichtet wird. Der Neubau eines Gaskraftwerks am Standort im Norden war an der politischen Ablehnung der Gemeinde Unterföhring gescheitert. Die Stilllegung ist nun auf 2028 verschoben; bis zu diesem Zeitpunkt soll eine neue Nord-Süd-Trasse für Strom die Systemrelevanz des Kraftwerks aufheben.

Im Stadtrat kam es dennoch zu einem Schlagabtausch zwischen den Organisatoren des Bürgerentscheids und dem Regierungsbündnis aus SPD und CSU. Aus Sicht von ÖDP, Grünen und Linke hätten die Stadt und damit auch die SWM dem Bürgerentscheid viel besser gerecht werden können, wenn sie nur gewollt hätten. Die Stadtspitze habe dem Thema nie große Bedeutung beigemessen und damit den Bürgerwillen missachtet, wie ÖDP-Stadtrat Tobias Ruff sagte. Das machte er auch an der Sitzung des Ausschusses fest, die SPD-Fraktionschef Alexander Reissl in Vertretung leitete. "Es ist kein Bürgermeister da, der Referent schläft zuerst ein, und dann geht er raus", rief er zornig in Richtung des gerade leeren Stuhls von Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU). In die gleiche Richtung schimpfte Grünen-Fraktionsvize Dominik Krause. Es sei "frustrierend und harter Tobak", dass das Wirtschaftsreferat sich weigere, die nötigen Grundlagen für solch einen wichtigen Beschluss in einer Vorlage zu liefern.

Die Stadtwerke selbst hatten im Vorfeld eingeräumt, dass rein auf die Stromproduktion bezogen nahezu ein Nullbetrieb im Kohleblock möglich gewesen wäre. Mit einer Bereitschaft zum Hochfahren bei Notlagen wäre die Systemrelevanz ausreichend berücksichtigt. Dieses Szenario war in der Beschlussvorlage jedoch nicht aufgeführt. Denn aus Sicht des Referats und auch der Stadtwerke wäre die Versorgung der Münchner mit Fernwärme nur durch einen aktiven Steinkohleblock zu 100 Prozent gesichert. Dafür gibt es eine Berechnung beim Ausfall eines anderen Kraftwerks bei hohen Minus-Temperaturen. "Da haben wir ein Defizit", sagte SWM-Chef Bieberbach. Sein technischer Geschäftsführer Helge-Uve Braun erläuterte, warum ein ruhender, aber funktionsfähiger Steinkohleblock dieses nicht schließen kann: Er benötige zum Hochfahren auf die volle Heizleistung eine Woche. "Das nützt uns als Reserve nichts." Bis 2028 könne diese Lücke mit erneuerbaren Energien, vor allem Geothermie, geschlossen werden.

ÖDP-Mann Ruff kritisierte, dass die Verwaltung trotz des Stadtratsbeschlusses nicht die Zahlen zu allen Kraftwerken und deren Kapazitäten liefere, die für solche Rechnungen nötig wären. Er sehe das Defizit deshalb nicht als belegt an, auch weil er selbst zu einem anderen Ergebnis komme. SWM-Chef Bieberbach wurde emotional, als seinem Unternehmen von der Linken Untätigkeit in den eineinhalb Jahren seit dem Bürgerentscheid vorgeworfen wurde. Wer das behaupte, "der lebt in einer anderen Welt". Keine der geprüften Alternativen inklusive verschiedener Neubauten sei politisch, technisch und rechtlich umsetzbar gewesen. Die SWM würden international als Vorreiter bei der Energiewende honoriert. "Nur hier von manchen nicht."

"Wir nehmen das Bürgerbegehren sehr ernst", wehrte sich auch SPD-Stadträtin Simone Burger. Ihre Partei wolle mehr Kohlendioxid einsparen als geplant. In einem Änderungsantrag hatten SPD und CSU die von der Verwaltung erarbeiten Vorgaben verschärft. Statt 2025 müssen die SWM schon drei Jahre früher mit dem Reduzieren der Steinkohle beginnen. Das CO₂-Budget sei fast das Dreifache geringer als in der Vorlage, sagte Burger. CSU-Stadtrat Sebastian Schall sagte, da der Bürgerentscheid nicht umsetzbar sei, "müssen wir das ganze neu bewerkstelligen und alle Interessen berücksichtigen".

© SZ vom 17.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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