Sophie Scholl wäre diesen Sonntag 100 Jahre alt geworden. So gerne würde man hören, was sie zu den jungen Leuten von heute, zur aktuellen Politik, zur Pandemie sagen würde. Doch Sophie Scholl wurde zum Tode verurteilt und am 22. Februar 1943 mit nur 21 Jahren hingerichtet. 100 junge Menschen stehen an diesem Sonntagvormittag vor den Propyläen auf dem Königsplatz. Sie symbolisieren 100 Jahre Sophie Scholl, von denen die junge Frau so viele nicht gelebt hat.
In schwarzen Hosen und roten T-Shirts formen Schülerinnen und Schüler sowie Studierende aus München und anderen Teilen Bayerns ein lebendes Denkmal. Sie tanzen mal elegisch zu melancholischen Klavierklängen, mal rhythmisch zu elektronischen Beats und halten hundert Mal das berühmte Scholl-Porträt in die Luft, auf dem eine Haarspange sie so mädchenhaft wirken lässt. Sie rezitieren sie aus ihren Briefen und den Flugblättern, die Scholl und ihren Mitstreitern der Weißen Rose zum Verhängnis wurden. Sie habe das Wasser geliebt, erfährt man, die Natur und Fritz Hartnagel. Sie war eine junge Frau, die lebenshungrig war und nicht begreifen konnte, dass Menschen durch andere Menschen in Gefahr gebracht wurden.
Diese Performance, angestoßen und einstudiert von Farina Simbeck und Thomas Ritter, solle zum Nachdenken über Sophie Scholl anregen, sagt Hildegard Kronawitter zur Begrüßung an die 200 Zuschauer, die zur Performance zugelassen sind. Seit vielen Jahren setzt sich die Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung für die Erinnerung an sie ein und ihr "widerständiges Handeln, das von Mut, Standhaftigkeit und persönlicher Verantwortung geprägt war", wie Kronawitter erklärt.
Sie spricht an diesem Vormittag auch für Schirmherr Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der sich entschuldigen lässt. In seinen Worten spannt er den Bogen zur heutigen Jugend und den Fragen, die sich junge Menschen wohl zu allen Zeiten stellten: "Wie will ich leben? Was ist mir wichtig?" Die lebendige Erinnerung an Sophie Scholl bedeute, dass wir für die Wahrhaftigkeit eintreten - im Gegensatz zu jenen, die mit Lügen und Halbwahrheiten spalten und Ängste schüren, betont Reiter.
Auch am Friedhof am Perlacher Forst wurde der Widerstandskämpferin gedacht. Dort legte Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) für die Stadt München einen Kranz an Sophie Scholls Grabstätte nieder. "Es ist unsere Aufgabe und die der uns nachfolgenden Generationen, das Gedenken an die ,Weiße Rose' und an Sophie Scholl aufrechtzuerhalten", sagte Habenschaden. Bereits am Freitag erinnerte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an Scholl - mit einem Kranz und einem Kniefall in der Ludwig-Maximilians-Universität.
Aus Anlass des Geburtstages wird nun auch der Weiße-Rose-Saal im Münchner Justizpalast neu gestaltet. Ein erster Prozess unter Nazi-Richter Roland Freisler im Schwurgerichtssaal des Münchner Justizpalastes endete mit Todesurteilen gegen Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst. Im späteren zweiten Prozess, den Freisler im früheren Saal 216 (heute: Saal 153, Weiße-Rose-Saal) gegen 14 weitere Angeklagte der Widerstandsgruppe Weiße Rose führte, sprach er Todesurteile gegen Professor Kurt Huber, Alexander Schmorell und Willi Graf.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung hieß es, Nazi-Richter Roland Freisler habe vom Weiße-Rose-Saal aus Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst in den Tod geschickt. Das ist nicht richtig: Diese Todesurteile wurden am 22. Februar 1943 im ehemaligen Schwurgerichtssaal des Münchner Justizpalastes gesprochen. Der Weiße-Rose-Saal hingegen, der frühere Saal 216 (heute: 253), war Schauplatz des zweiten Prozesses am 19. April 1943 gegen 14 weitere Angeklagte der Widerstandsgruppe Weiße Rose.