Münchner Filmkunstwochen:Lichtspiele für die Nachbarschaft

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Aus der Zeit gefallen und renovierungsbedürftig, aber immer noch ein Ort mit besonderer Atmosphäre: das Studio Isabella in Schwabing. (Foto: Jörg Koch)

Das Studio Isabella blickt zurück auf 100 Jahre Geschichte. In Zeiten veränderter Sehgewohnheiten aber ist die Zukunft des kleinen Kinos ungewiss. Und das hat auch mit dem Programm zu tun.

Von Josef Grübl

Manchmal geschehen in München Dinge, die nichts miteinander zu tun haben und trotzdem in einer Beziehung zueinanderstehen: Da findet an diesem Mittwoch in der Maxvorstadt ein Straßenfest statt, gleichzeitig startet der neue Film eines spanischen Meisterregisseurs, während die Leute in den Straßencafés sitzen und Latte Macchiato trinken oder in ihren Eigentumswohnungen Netflix-Serien schauen. All das ist auf das Jubiläum eines Programmkinos zurückzuführen. Aber der Reihe nach: Am 12. Juli 1919 eröffnete im Erdgeschoss eines Wohnhauses an der Ecke Isabellastraße/Neureutherstraße ein kleines Kino. Zum Auftakt liefen zwei Filme namens "Papa Krause" und "Der Liebe Macht, des Rechtes Sieg"; beide hinterließen wenig Eindruck und sind heute vergessen.

Auch die Isabella-Lichtspiele, so der Name des Kinos, spielten in der aufstrebenden Filmmetropole München eine eher untergeordnete Rolle. Denn in jenen Jahren wurden überall in der Stadt Kinos gebaut: Als der prächtigste galt der 1926 in der Sonnenstraße eröffnete Phoebus-Palast mit 2175 Plätzen. Damit war er mehr als zehnmal so groß wie das Isabella, in dem gerade einmal 200 Zuschauer Platz fanden. Beide Häuser wurden im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt; doch während das Schicksal des Kino-Kolosses besiegelt war, wurde das kleine Lichtspieltheater in der Maxvorstadt wieder aufgebaut.

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Es folgten mehrere Betreiberwechsel, in den Sechzigerjahren übernahm Fritz Falter, der als Filmpionier galt: Er betrieb mit seinem Schwabinger Occam-Studio ein Programmkino, noch bevor die Leute diesen Begriff überhaupt kannten. 1970 starb das Occam den Münchner Kinotod (drastische Mieterhöhungen sind keine Erfindungen der Jetztzeit), also konzentrierte sich Falter auf sein anderes Haus, das er fortan "Studio im Isabella" nannte. Seinen größten Hit feierte er mit dem US-Film "Harold und Maude", der zwei Jahre lang lief. Den Abstieg konnte die Generationen übergreifende Liebesgeschichte nicht aufhalten: Mit den Kinocentern (den Vorläufern der Multiplexe) wurden neue Konzepte erprobt, Ein-Saal-Häuser wie das Isabella hatten es zunehmend schwerer.

Falter ging, die Betriebsleitung übernahm ein junger Mann, der frisch von der Filmhochschule kam: Der aus einer Schauspielerfamilie stammende Louis Anschütz hatte ein Germanistikstudium absolviert, anschließend studierte er an der HFF. Eigentlich wollte er Filmemacher werden: "Damals habe ich an ein paar kleineren Sachen gearbeitet, insgesamt lief es aber eher schleppend an", erzählt er. Aber er konnte gut organisieren, über einen Freund kam er zum Isabella. Das war der Beginn einer Münchner Kinokarriere: Er gründete eine Gesellschaft mit dem klingenden Namen "Gut Licht, gut Ton und volle Kassen" und übernahm im Laufe der Jahre auch das Türkendolch, das Neue Rottmann, das Neue Arena und das Filmcasino am Odeonsplatz.

Der Kinobetreiber hadert mit dem Programm

Doch die Stadt und das Freizeitverhalten ihrer Bürger veränderten sich - und damit auch die Kinolandschaft. Das Türkendolch musste im Jahr 2001 einer Boutique weichen, für das Filmcasino kam 2010 das Aus - heute ist dort ein Club eingezogen. Louis Anschütz ärgert sich immer noch darüber, das Filmcasino lag ihm besonders am Herzen. Damals hätten nicht alle Beteiligten mit offenen Karten gespielt, sagt er. Von all seinen Kinos ist ihm nur noch das Studio Isabella geblieben - und auch da weiß er nicht, wie lange er es noch halten kann. Die Zeiten für Kinobetreiber sind hart, vielleicht so hart wie nie: Neben dem Filmcasino mussten in den letzten Jahren auch Traditionshäuser wie das Atlantis, Tivoli oder Eldorado aufgeben, erst vor kurzem gingen im Gabriel nach 112 Jahren die Lichter aus. Und demnächst folgen die Kinos Münchner Freiheit.

Jeder Kinotod hat verschiedene Gründe, die Begehrlichkeiten des Immobilienmarktes spielen aber fast immer eine Rolle. Auch seine Nachbarschaft habe sich verändert, sagt Anschütz, die Menschen in ihren teuren Eigentumswohnungen wüssten oft gar nicht, dass es ein Filmtheater in ihrer Nähe gebe. Und selbst wenn sie es wüssten, würde das nicht viel ändern: Die Streaming-Konkurrenz von Netflix oder Amazon ist groß, das junge Publikum nur noch schwer zu erreichen, auch der Klimawandel macht der Branche zu schaffen. Die Menschen würden im Sommer halt lieber in Cafés sitzen und Latte Macchiato trinken, sagt er.

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Das Studio Isabella ist aus der Zeit gefallen, es hat zwar nach wie vor seine Fans, die die besondere Atmosphäre schätzen - trotzdem müsste renoviert werden. Doch die Besucherzahlen gehen zurück, die Einnahmen demzufolge auch. Er könnte sich keine Renovierung leisten, sagt der Kinobetreiber. Auch mit dem Programmangebot hadert er. Es würden zwar immer mehr Filme anlaufen, sagt er, von denen aber die allermeisten sang- und klanglos untergehen.

Also würden viele Kinos dasselbe spielen, selbst Multiplexe zeigen mittlerweile Filmkunst, Events und Originalversionen: "Es ist schwer geworden, sich zu profilieren." Das Isabella ist bekannt für seine Reihe "Cine Español", jeden Mittwoch werden Filme aus Spanien oder Lateinamerika gezeigt, im Original mit Untertiteln. Ansonsten gleiche sein Programm oft dem der anderen Filmkunsthäuser in der Stadt, erzählt er. Aber jetzt steht erst einmal das Fest zum 100. Geburtstag an: Anschütz feiert zum Auftakt der diesjährigen Münchner Filmkunstwochen.

Am Mittwoch, 24. Juli, findet von 17 bis 22 Uhr ein Straßenfest statt, es gibt etwas zu essen und trinken, am selben Abend läuft im Kinosaal mit "Leid und Herrlichkeit" die neue Regiearbeit von Pedro Almodóvar. Der Film des Spaniers startet zwar tags darauf in mehreren Münchner Kinos, Louis Anschütz widmet ihm aber eine kleine Retrospektive mit früheren Meisterwerken wie "Volver" oder "Zerrissene Umarmungen". Daneben stehen Stummfilme wie der 1919 entstandene Klassiker "Das Cabinet des Dr. Caligari" oder Isabella-Favoriten wie "Harold und Maude" auf seinem Filmkunstwochen-Programm. Wie immer haben die Filme nichts miteinander zu tun, trotzdem stehen sie in enger Beziehung zueinander - was an einem 100 Jahre alten Kino liegt.

© SZ vom 23.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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