Öffentlicher Nahverkehr:Tödlicher S-Bahn-Unfall von Schäftlarn: Anklage gegen Lokführer

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Bei dem Unglück am 14. Februar 2022 kam ein Mensch ums Leben, 51 wurden verletzt. (Foto: Uwe Lein/dpa)

Zweimal wird eine zu schnelle S-Bahn zwangsgestoppt, zweimal hebt der Lokführer die Bremsung offenbar auf und kollidiert schließlich mit einem anderen Zug. Ein Jahr dauerten die Ermittlungen zu dem Unfall, bei dem ein Mensch ums Leben kam. Nun kommt der Fall wohl vor Gericht.

Von Andreas Schubert

Der Valentinstag 2022 endete für Dutzende Menschen fatal. Am 14. Februar stießen am Nachmittag auf der eingleisigen Strecke bei Schäftlarn zwei Züge der S-Bahn-Linie S 7 frontal zusammen. Die beiden Bahnen waren mit etwa 120 Fahrgästen besetzt. Bei der Kollision kam der 24 Jahre alte Mustafa M. ums Leben. Dutzende Menschen wurden verletzt, 18 mussten ins Krankenhaus, darunter sechs Schwerverletzte.

Jetzt hat die Staatsanwaltschaft gegen einen der Lokführer Anklage erhoben. Dem damals 54-Jährigen wird fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung in 51 Fällen und vorsätzliche Gefährdung des Bahnverkehrs vorgeworfen. Das teilte die Staatsanwaltschaft München I am Donnerstag mit.

Dem Unglück soll gleich eine ganze Reihe von Verfehlungen des nun Angeklagten vorangegangen sein, wie umfangreiche Ermittlungen und ein Gutachten ergeben haben. Weil der Fall so komplex ist, hat das Gutachten des auf Bahnunfälle spezialisierten Sachverständigen mehr als ein Jahr in Anspruch genommen.

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Die Staatsanwaltschaft geht nun von folgendem Sachverhalt aus, der aber vor Gericht noch zu beweisen ist: Gegen 16.24 Uhr sei der Angeschuldigte als Lokführer mit einer S-Bahn der Linie 7 von Wolfratshausen in Richtung München gefahren. Eine weitere S-Bahn fuhr auf derselben Strecke in entgegenkommender Richtung.

Bei der Anfahrt auf den Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn soll der Angeschuldigte zu schnell unterwegs gewesen sein, weshalb der Zug zwangsweise abgebremst wurde. Über diese Zwangsbremsung durch die sogenannte Punktuelle Zugbeeinflussung (PZB) soll sich der Lokführer pflichtwidrig hinweggesetzt und die Fahrt zum Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn fortgesetzt haben. Dies ist über eine Freitaste möglich, er hätte aber den Fahrdienstleiter informieren müssen.

Dann, bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof, sei der Angeschuldigte ebenfalls pflichtwidrig an einem Halt zeigenden Ausfahrsignal vorbeifahren, woraufhin der Zug erneut durch die PZB automatisch bis zum Stillstand abgebremst wurde. Obwohl der Angeschuldigte nach dieser Zwangsbremsung einen schriftlichen Befehl des Fahrdienstleiters für die Weiterfahrt hätte einholen müssen, sei er weitergefahren und habe den Zug auf eine Geschwindigkeit von etwa 67 Kilometer pro Stunde beschleunigt.

Der Aufprall war so massiv, dass Wagen von den Gleisen geschleudert wurden

Die S7, die auf der eingleisigen Trasse in Richtung Wolfratshausen unterwegs war, wurde ebenfalls zwangsweise bis zum Stillstand abgebremst. Als der Angeschuldigte diesen stehenden Zug gesehen habe, habe er zwar eine Schnellbremsung eingeleitet, dennoch kam es gegen 16.35 Uhr zur Kollision.

Feuerwehr und Zeugen beschrieben den Unfall später so: Der damals 21 Jahre alte Lokführer der noch stehenden S-Bahn habe noch gehupt. Als es zum Aufprall kam, war dieser so massiv, dass sich die Triebwagen ineinander verkeilten und sie von den Gleisen geschleudert wurden. Dabei verschoben sich auch die Schienen. Im Zug, der aus Wolfratshausen kam, wurden der Lokführerstand und die Sitze im vorderen Waggon nach hinten gedrückt, die rechte Seitenwand wurde aufgeschlitzt. Der Zug wurde weit über die Böschung geschoben, stürzte aber nicht ab. Fensterscheiben zersprangen. Personen wurden herumgeschleudert. Mustafa M., der im Wagen ganz vorne saß, wurde eingequetscht - mit tödlicher Folge. Die beiden Lokführer, die ebenfalls eingequetscht wurden, kamen mit schweren Verletzungen davon.

Die beiden kaputten Züge wurden sechs Tage nach dem schweren Unfall abtransportiert, die Strecke war so stark beschädigt, dass sie 16 Tage lang gesperrt bleiben musste. Der Sachschaden wird auf sieben Millionen Euro geschätzt. Schon kurz nach der Kollision kam der Verdacht auf, der 54-jährige Lokführer könnte ein Signal missachtet haben. Dieser Verdacht hat sich nun erhärtet. Warum der mutmaßliche Unfallfahrer die Signale missachtete, dazu äußert sich die Staatsanwaltschaft bislang nicht. Die Termine möglicher Verhandlungen vor Gericht stehen bislang noch nicht fest.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, der Fall komme nun vor Gericht. Dies geschieht aber erst, wenn die Anklage vom Gericht zugelassen wird.

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