Nine O Five:Exzentrische Kombinationen im heißen Ofen

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Bei der Einrichtung gelingt dem "Nine O Five" der Spagat zwischen minimalistisch und gemütlich - nur die Akustik stört etwas. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Auswahl der Pizzen im "Nine O Five" macht neugierig - und überzeugt in vielen Fällen. Doch gemessen am Gewese um die Speisen ist noch Luft nach oben.

Von Tankred Tunke

Die Pizza ist ein Paradox. Mit keinem anderen Gericht - abgesehen von Burgern - ist Deutschland so flächendeckend versorgt, da unterscheidet sich München nicht von Karlsruhe oder Kiel. Und trotzdem eröffnet ständig in der Stadt eine neue Pizzeria. Im Grunde geht es ja nur um ein erwärmtes belegtes Brot, einst erfunden als Seemannsproviant. Eine genial schlichte Mahlzeit, die immer zu funktionieren scheint, ob dünn und knusprig oder dick und weich (eine Glaubensfrage), ob als fiese Tiefkühlversion oder als Gourmetvariante, mit wilden Hefen und handgeschöpfter Bio-Burrata. Kein anderes Gericht scheint besser ausgelotet, und trotzdem rufen ständig neue Gastronomen, sie hätten, nun ja, das Pizzarad neu erfunden.

Aktuelles Beispiel ist die Pizzeria "Nine O Five" in Schwabing. Mit dem Namen ist es kompliziert. Er bezieht sich auf die ideale Backtemperatur von "original neapolitanischer" Pizza, die knapp eine Minute bei 485 Grad Celsius in den Ofen kommt. Das Konzept stammt von der Kölner Szene-Pizzeria "485". Doch der Düsseldorfer Partner, von dem die Münchner Filiale die Rechte hält, trennte sich von den Kölnern und rechnete die 485 Grad für einen neuen Namen in Fahrenheit um: 905. Das Teigrezept dagegen blieb gleich. Bei Nine O Five schwört man auf Sauerteig (mit geringem Hefeanteil), der 72 Stunden ruht. Sowie auf italienische Pizzaioli und einen Elektroofen aus Neapel, "den ersten seiner Art", nun denn.

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Zum Konzept gehört auch eine - vor allem für eine Pizzeria - sehr ungewöhnliche Weinkarte mit mehr als 500 Positionen, darunter Naturweine, Große Gewächse, Champagner. Wir werfen allerdings nur einen anerkennenden Blick hinein, der Wein ist heute gar nicht unser Thema.

Doch auch an der Pizza hier könnte etwas dran sein, zumindest gemessen am Andrang. Reservieren ist ratsam, bei beiden Besuchen ist im Nine O Five jeder Tisch belegt, im Eingang drängen sich Menschen, die auf freie Plätze oder ihre Pizza-to-go warten. Dem Lokal gelingt der Spagat zwischen minimalistisch und gemütlich: Holztische zu schwarzen Metallregalen und Hartschalenstühlen, die Küche ist offen, eine Wand mit Weinkisten-Brettern verkleidet, das Licht warm. Nur die Akustik stört. Wo Gäste sich selbst über schmalste Tische hinweg anschreien müssen, sollte der Wirt über Schallschlucker nachdenken. Jetzt im Sommer gibt es Erlösung: Draußen an der Herzogstraße sitzt man gut.

Der Service ist ausgesprochen freundlich und schnell. Der Duktus der Speisekarte macht keinen Hehl aus dem Stolz über die schicken Zutaten, von der Kalamata-Olive über den "Edelsalatmix" bis zum zertifizierten Parmaschinken. Einen Überblick bietet die Antipasti-Platte "Wollust" (14,50 Euro): Parmesan-Sticks, Büffelmozzarella, Saftschinken, Fenchelsalami, Bresaola, Parmaschinken, Südtiroler Speck, dazu Pizzabrot und eine aromatische Oliventapenade - die Qualität überzeugt.

Doch ließe sich mit solchen Zutaten an mancher Stelle sorgfältiger arbeiten. Das Black-Angus-Carpaccio (elf Euro) entpuppt sich als luftgetrocknet. Kein Problem, aber wieso schreibt man dann nicht einfach Bresaola drüber? Leider ist der feine Schinken dann weder dem süßen Balsamico-Dressing noch den schweren Röstaromen des Parmesanchips gewachsen. Es hat ja durchaus einen Sinn, dass man Carpaccio wie Bresaola anderswo mit geriebenem Parmesan, Zitrone und Spitzenöl serviert. Ebenfalls zu süß und leider viel zu fad ist das Apfeldressing des ansonsten guten "Garten-Eden-Salats" mit Walnuss und Kirschtomaten (klein: 6,50). Hier passt der Parmesan-Cracker dann übrigens auch gut.

Die Auswahl der Pizza macht tatsächlich neugierig. Exzentrische Kombinationen wie "Holy Guacamole" (Avocado-Basilikum-Creme, Rucola, Kreuzkümmel, Olive, Tomate und Süßkartoffelchips für zwölf Euro) oder "Rocky Balboa's Speckbirne" (Provolone, Birne, Südtiroler Speck, Rucola, karamellisierte Walnüsse, 14 Euro) klingen nicht nur spannend, sondern funktionieren auch auf dem Teller wunderbar. Manchmal ruht man sich aber auch hier auf den klingenden Zutaten aus. Bei "Mr. Burns" (Tomate, Fior di Latte Mozzarella, kalabrische Nduja-Salami, Rote Zwiebel, Peperoni, 13 Euro) mag die Schärfe Programm sein, man könnte sie aber besser integrieren, als Selbstzweck ist sie langweilig.

Beim Frühsommer-Special "Spargel-Twins" (15 Euro) gehen grüne und weiße Spargelstücke, Saftschinken, eine Riesenportion Ricotta-Creme und Büffelmozzarella eine viel zu schwere Allianz mit dem geschmacklich eigentlich guten Pizzateig ein. Der Gaumen lechzt, nach irgendeinem Akzent, nach Schärfe, Säure, egal. Man hätte doch Wein statt Bier bestellen sollen!

Das Zutaten-Gerangel auf den Pizzen hier liegt auch daran, dass ein breiter Rand nicht belegt ist. Durch die enorme Hitze im Ofen geht er wulstig auf und wirft einige unschöne Brandblasen. "Leopardenmuster" nennt die Küche das hier, das sei gewollt und die Pizza eher "teigig". Derweil drängt der Belag in die Mitte und überfordert den dünnen Boden bisweilen sehr.

Das alles ist kein Unglück, aber schönreden muss man es auch nicht. Wer einmal in einer der neuen (und nicht unbedingt teuren) Spitzenpizzerien in Italien gegessen hat, weiß: Es hat sich qualitativ zuletzt viel getan, vor allem beim Teig, den mancher Pizzaiolo heute in verschiedenen Knusprigkeitsstufen anbietet. Und schwer im Magen liegt da nichts. Für das Nine O Five heißt das: Die Pizza geht völlig in Ordnung, vor allem gemessen am Gewese ist aber noch Luft nach oben.

© SZ vom 27.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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