Theater:Die Zukunft ist noch jung

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Die Bilder und Ideen der Fridays for Future-Demonstrationen hat Daniela Kranz ins Theater übertragen bei ihrer Inszenierung: "Ist mein Mikro an?" (Foto: Adrienne Meister)

Wer im Residenztheater mehr als nur zuschauen will, der trifft auf Daniela Kranz. Sie leitet das "Resi für alle" und hat ein Händchen dafür, mit Jugendlichen tolle Theaterabende zu erfinden. Dies zeigt sich gerade wieder in ihrer Produktion "Ist mein Mikro an?"

Von Yvonne Poppek, München

Von oben schreit sie ihre Wut herunter. "Ich hasse euch wirklich. Ihr habt diese Welt versaut. Für uns. Für immer." Sie ruft ihren Zorn von der Galerie herab, unter ihr, auf der Bühne, bewegt sich im Halbdunkeln eine Gruppe Jugendlicher, leise und mechanisch. Als wären sie zwar nicht tatenlos, aber doch entkräftet. Alles bleibt beim Alten, die Welt steuert auf die Klimakatastrophe zu, doch die entscheidenden Leute machen: nichts. Die Worte, die die Teenagerin da herabschleudert, sind zwar andere als jene von Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel. Doch deren Rede, deren Wut sind hier die Blaupause. Die Wirklichkeit, wie jeder sie auf den Fridays for Future-Demos erleben kann, ist eindrucksvoll präsent im Marstall. Trotzdem steckt der Abend nicht im Appellativen fest, er ist durchlässig hin zur Lebenswelt und zum Selbstverständnis dieser jungen Generation.

"Ist mein Mikro an?" heißt die Inszenierung, die vergangene Woche Premiere hatte. Es ist eine Produktion, an der sich junge Menschen mit und ohne Theatererfahrung beteiligen können. Regie führte Daniela Kranz, auf die man generell im Residenztheater trifft, wenn man an einem der partizipativen Projekte teilnimmt. Kranz leitet den Bereich "Resi für alle". Dort laufen so unterschiedliche Dinge zusammen wie Aufführungen für Schulen, die Theater-Klubs für den Nachwuchs oder Menschen über 60, Theaterführungen und eben auch Inszenierungen mit Jugendlichen. Kranz ist seit der Spielzeit 2019/20 dafür zuständig, aufgrund der Pandemie hatten es ihre Projekte, die ja auf Austausch basieren, in den vergangenen zwei Jahren schwer. Trotzdem: Was von ihr am Residenztheater bislang zu sehen war, ist eine spannende, kluge Auseinandersetzung mit Themen und Menschen.

Daniela Kranz leitet am Residenztheater den Bereich "Resi für alle". (Foto: Sandra Then)

Trifft man Daniela Kranz, spürt man sofort ihre zupackende Energie. Sie geht völlig ohne Scheu auf andere zu, aber zugleich weiß sie auch, wo es lang geht. "Ich liebe es zu kommunizieren", sagt sie. Das ist natürlich eine gute Voraussetzung für ihre Aufgabe, allerdings kommt bei ihr noch etwas hinzu: Sie kann ihre künstlerischen Ideen auch mit Laien umsetzen. Das hat sie mit ihrem Kinderstück "Ronja Räubertochter" gezeigt, ein fantasiereiches Bilderabenteuer, teils mit nicht-professionellen Darstellern besetzt, das im November 2019 Premiere hatte und immer noch auf dem Spielplan steht. Ebenso ist das in ihrer großartigen Umsetzung von Lena Goreliks Roman "Mehr Schwarz als Lila" zu sehen, eine Produktion mit Jugendlichen, die seit Mai 2021 im Marstall läuft. Allerdings nicht mehr lange, die Darstellenden werden älter, entwickeln Zukunftspläne. "Die flattern in die Welt hinaus", sagt Kranz.

In "Mehr Schwarz als Lila", in deren Zentrum drei Jugendliche stehen, ihre seltsam intensive Beziehung zu einem Lehrer und ein Kuss in Auschwitz, hatte Kranz die Darsteller aus dem Jugendklub in der Mitte spielen lassen. Links und rechts sitzen die Zuschauer an Schultischen. Schultische setzt sie auch sehr variabel auf der Spielfläche ein, sie sind quasi Abstandshalter. Ein "Corona-Konzept" nennt Kranz ihre Idee. Allein: Die Inszenierung ist so stimmig, auch vom Spiel her, dass man dies kaum glauben will.

Die Wahl, den Roman von Gorelik auf die Bühne zu bringen, war keine zufällige. Gorelik ist Münchnerin - das war Kranz wichtig. Sie konnte sich mit ihr austauschen, aber vor allem konnten dies auch die Jugendlichen. Und: Kranz fühlt sich der Gegenwartsliteratur verbunden, schon sehr lange in ihrer Laufbahn. 1968 wurde sie in Bielefeld geboren und studierte Regie am Salzburger Mozarteum. Ihre erste Station führte sie als Regieassistentin nach München, dort landete sie 1993 am Residenztheater, bevor sie 1996 die Stadt Richtung Berlin verließ, um frei zu arbeiten. An den Kammerspielen inszenierte sie 2004 "Mein junges idiotisches Herz" von Anja Hilling. "Da entstand mein Interesse an Gegenwartsliteratur", sagt sie. Über die Jahre entwickelte sie eine "Expertise".

Kranz arbeitete unter anderem am Schauspielhaus Wien und am Theater Basel, Stationen, die sie mit Andreas Beck, dem Intendanten des Residenztheaters teilt, der sie immer wieder engagiert hat, jetzt eben fest an seinem Haus. Partizipative Projekte entwickelte sie schon in Basel. "Ich erfinde meine Arbeit alle paar Jahre neu", sagt sie. In München gefällt ihr die Konzentration auf das Residenztheater. "Es ist ein guter Gedanke, alles, was man tut, in ein Haus zu investieren." Dabei war es zu Beginn ihrer Laufbahn nicht gang und gäbe, dass Frauen Regie führen. "Es gab nicht so viele Vorbilder", erinnert sie sich. Andrea Breth fällt ihr ein, viel folgt da nicht.

Das Thema Klimawandel brennt der Jugend unter den Nägeln

Nun ist das zum Glück anders. Kranz kann selbst junge Menschen für das Theater inspirieren. Dafür hat sie sich neuerlich einen aktuellen Theatertext ausgesucht, Jordan Tannahills "Ist mein Mikro an?", der von Greta Thunbergs Reden geprägt ist. Das Thema Klimawandel brennt der Jugend unter den Nägeln. Im Theater können sie sich auch künstlerisch damit auseinandersetzen.

Kranz hätte es sich mit diesem Abend leichter machen können. Das weiß sie auch selbst. 17 Jugendliche hat sie im Sommer für ihre Produktion "Ist mein Mikro an?" gecastet. Die Jüngsten sind um die 15, die Ältesten knapp über 18. Sie hätte auch nur mit einer Handvoll arbeiten können, einer kleineren Gruppe. Im Text gibt es keine Rollenzuschreibungen. "Für dieses Projekt fand ich es irgendwie richtig", sagt sie. Von den mehr als 100 Heranwachsenden, die dem Aufruf des Residenztheaters folgten, beim Casting mitzumachen, fand sie viele interessant. "Auch in ihrer Zusammenstellung", sagt Kranz. Und da ihr aufgefallen ist, dass weltweit junge Frauen stark engagiert sind, hat sie auf ein weibliches Ensemble gesetzt.

Es leuchtet absolut ein, warum das so ist und es so viele sein mussten. Es sind alles sehr unterschiedliche, schillernde Persönlichkeiten, die da auf der Marstall-Bühne stehen. Sie verkörpern einen jungen, hippen, politischen Zeitgeist. Sie sind keine randständigen Ökos, sondern gestylte Jugendliche, die sich mit Instagram und Clubs genauso auskennen wie mit den Problemen der Gegenwart. Es reichen wenige Mittel, um das zu zeigen: Elektro-Beats, Handys, kreischende Lebensfreude. Und eben eine starke Gruppe junger Darstellerinnen. Kranz wechselt von stillen Monologen zu choreografierten, teils chorischen Gruppenszenen. Geschickt macht sie damit sowohl einzelne Geschichten als auch die Kraft der Masse sichtbar, zeigt, dass keine abstrakte Größe vom Klimawandeln betroffen ist, sondern ein sehr greifbares Wir. Kranz hat hingehört, was den Text und was diejenigen, die ihn spielen, bewegt. Dafür hat sie Bilder gefunden, die sie wie kleine Lebenswirklichkeitsausschnitte aneinanderreiht. Kunst kann die Dinge von ihrer Alltäglichkeit befreien, um sie anders begreifbar zu machen. Das ist diesem Abend gelungen.

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