Corona-Krise:"Haushaltstechnisch brennt der Baum"

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Trotz klammer Kassen will die grün-rote Rathauskoalition kräftig investieren: in bezahlbares Wohnen und den Klimaschutz. Das kann nicht jeder nachvollziehen.

Von Heiner Effern und Anna Hoben, München

Ein Budget von 100 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich will die grün-rote Rathauskoalition in den kommenden fünf Jahren in "bezahlbares Wohnen und Leben in München" investieren - und zwar jedes Jahr. Diese Überraschung hielten die Regierungspartner in der letzten Vollversammlung des Stadtrats vor der Sommerpause parat. Auch für den Klimaschutz sollen künftig jedes Jahr 100 Millionen Euro zusätzlich ausgegeben werden. In beiden Bereichen will die Koalition in der aktuellen Amtsperiode also eine Milliarde Euro zusätzlich investieren - angesichts der wohl größten Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg eine bemerkenswerte Summe.

Das kann nicht jeder nachvollziehen, und so entlädt sich am Nachmittag die Stimmung in einem veritablen politischen Sommergewitter. Es geht um den städtischen Haushaltsplan, Eckdatenbeschluss für 2022. Dabei werden die Ausgaben und Investitionen schon einmal grob festgezurrt. Punkt für Punkt hält Hans Theiss (CSU) der grün-roten Rathauskoalition vor, was sie aus Sicht der größten Oppositionsfraktion verkehrt macht. "Haushaltstechnisch brennt der Baum", sagt er, "aber statt die benötigten Einsparungen zu liefern, wird noch mal klientelpolitisch Geld rausgehauen". Überbreite Radwege könnten sie bauen - und zum Schluss sparten sie an den falschen Stellen, "bei den Kranken und den Kindern". Den Vorwurf der sozialen Kälte weist SPD-Fraktionschefin Anne Hübner scharf zurück. Die Aussagen seien falsch und machten sie sprachlos. "Das ist unseriöseste Oppositionspolitik." Die CSU bringe in der historischen Finanzkrise selber keinen einzigen Sparvorschlag ein, kontert sie. "Es ist ein Gewinn für diese Stadt, dass Sie genau da sitzen, wo Sie sitzen: auf der Oppositionsbank." Kämmerer Christoph Frey hatte zuvor deutlich gemacht, wie sich die Krise gestaltet. Er rechnet für das kommende Jahr mit einem Minus von 476 Millionen Euro im laufenden Verwaltungshaushalt. Dabei hatte er den Referaten bereits weitere Wünsche gestrichen, die sogar zu einem Minus von 718 Millionen Euro geführt hätten. Trotzdem sei das noch weit weg von der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde. Die Referate sollen deshalb nächstes Jahr 200 Millionen Euro einsparen, 150 Millionen bei den Sachmitteln und 50 Millionen beim Personal. Bei Fortbildungen, Dienstreisen und beim Fahrtkostenzuschuss soll gespart werden. Etwa 1000 Stellen könnten 2022 nicht nachbesetzt werden, erläuterte Personalreferent Alexander Dietrich, das sei "schmerzlich". Bei der Konsolidierung gehe man "an den Rand des Verträglichen", sagte Kämmerer Frey. Auch die Bürger werden die Krise zu spüren bekommen: Die Stadt soll 50 Millionen Euro mehr einnehmen, etwa durch Parkgebühren und erhöhte Eintrittsgelder.

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Man werde trotz der Krise "nicht aufhören, Politik zu machen und Schwerpunkte zu setzen", hatte der finanzpolitische Sprecher der SPD, Christian Köning, die zusätzlichen Budgets für Klimaschutz und bezahlbares Wohnen begründet. Damit sollten auch die Folgen der Pandemie gemildert werden, so Grünen-Fraktionschef Florian Roth. Jörg Hoffmann (FDP) fühlte sich da an eine Szene aus " Monaco Franze" erinnert: Wie die Frau von Soettingen sich bei ihrer Haushälterin beschwert, dass die auf dem Markt so viel Geld ausgibt, jene entgegnet, sie brauche aber nochmals 1000 Mark mehr. So wie die Frau von Soettingen davor die Augen verschließt, dass sie sich eigentlich in ihrer Lage keine Haushälterin leisten kann, so verhalte sich die Koalition beim Geldausgeben. "So funktioniert das einfach nicht. Ich glaube, ihr habt alle den Schuss noch nicht gehört."

Brigitte Wolf (Linke) plädierte dafür, angesichts der schlechten Haushaltslage die Gewerbesteuer zu erhöhen. Teurere Parkgebühren seien "schön und gut, aber die werden uns nicht retten". Dem widersprach Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD): Es sei angesichts der Krise der falsche Zeitpunkt, die Gewerbesteuer zu erhöhen. Sonja Haider (ÖDP) begrüßte die Einführung des Klimaschutz-Budgets. Bei der Energie- und Verkehrswende werde aber noch nicht genug umgesetzt, bisher gebe es vor allem "viele Ankündigungen".

Über die Milliarde für günstigere Mieten und für die Klimawende hinaus wollen Grüne und SPD auch in die Verkehrswende kräftig investieren. Sie beauftragten das Wirtschaftsreferat, zusammen mit den Stadtwerken einen umfangreichen Ausbauplan für die Tram aufzulegen und mit Zahlen zu hinterlegen. Insgesamt soll das Paket etwa 350 Millionen Euro kosten. Davon könnten etwa 150 Millionen Euro an der Stadt hängen bleiben. Die Mittel sollen für die neue Tram-Westtangente und die neue Tram-Nordtangente durch den Englischen Garten bereitgestellt werden sowie für die Verlängerung der Linie 16/17 zur S-Bahnstation Johanneskirchen und die Tram 23 als Anbindung der neuen Wohnungen in der früheren Bayernkaserne.

Oberbürgermeister Reiter zeigte sich "sehr zufrieden" mit den Haushaltsplänen seiner Koalition. Grüne und SPD hätten das gemacht, was zur Gestaltung der Stadt nötig sei: politische Schwerpunkte gesetzt. Noch "froher" wäre der OB jedoch nach eigener Aussage, wenn Bund und Land endlich der Forderung der Kommunen nachkämen und auch im Jahr 2021 und 2022 die pandemiebedingten Löcher bei der Gewerbesteuer ausgleichen würden. Wie oft in Debatten meldete sich Reiter ganz am Ende, wo er genau das tat, was CSU-Fraktionsvize Hans Theiss schon öfter erlebt und auch diesmal erwartet hat: Er zog "der Opposition den Scheitel", wie es Theiss ausdrückt. Insbesondere durfte er sich wieder einmal sehr persönlich angesprochen fühlen. Der Beitrag des CSU-Fraktionsvize und Finanzsprechers sei "deutlich unter Ihrem Niveau" gewesen, wandte sich der OB direkt an ihn. Sein Beitrag habe mangels Inhalt "hilflos" gewirkt, sagte Reiter und legte Theiss nahe, sich nach einem anderen Fachgebiet umzusehen.

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© SZ vom 29.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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