Prozess:Nach Messerattacke: "Bitte sei mir nicht böse"

Lesezeit: 3 min

Ein Mann muss nach dem Angriff auf den Partner seiner Ex-Frau für mehrere Jahre in Haft. Vor Gericht bittet er ihn um Entschuldigung und spricht Geschenkempfehlungen aus - bis die Richterin interveniert.

Von Susi Wimmer

Paragraf 46a des Strafgesetzbuches enthält einen sperrigen Begriff, der durchaus Gutes bewirken kann: Täter-Opfer-Ausgleich. Vitali S. (Name des Opfers und seiner Freundin geändert) allerdings will anfangs keine Wiedergutmachung. "Ich will kein Geld von ihm", knurrt er vor der ersten Strafkammer. "Ich glaube nicht an diese Entschuldigung, ich nehme sie nicht an."

Entschuldigen soll Vitali S., dass Alexey B., Ex-Ehemann seiner Freundin Natalia B., ihm im Januar vergangenen Jahres zweimal ein Messer in den Oberkörper gerammt hatte. Dafür wird Alexey B. vom Landgericht München I wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Zudem soll B. sein Alkoholproblem in einer Entziehungsanstalt in den Griff bekommen.

Prozess in München
:Bilder, die nicht verschwinden

Im Prozess um den tödlichen Raser-Unfall schildern eine Freundin des Opfers, ein Polizist und eine Autofahrerin das schreckliche Geschehen. Sie sind zum Teil schwer traumatisiert.

Von Susi Wimmer

Vitali S. und Alexey B. kannten sich nicht, waren sich bis zu dem Abend des 11. Januar 2020 nie begegnet. Es war der Abend, an dem Alexey B. registrierte, dass seine von ihm getrennt lebende Frau einen neuen Freund hatte und die Ehe damit endgültig gescheitert war. Heute sitzen sich die Männer im Gerichtssaal gegenüber. Alexey B. entschuldigt sich zum zweiten Mal über seinen Anwalt Nicolas Frühsorger. Er bietet 10 000 Euro als Wiedergutmachung an. Der Geschädigte lehnt zunächst ab.

Erst als Frühsorger erklärt, dass das Geld, das B. für den Täter-Opfer-Ausgleich geliehen hatte, ansonsten wieder an seinen Besitzer zurückgehe, willigt S. ein. "Für die Kinder", sagt er, und meint damit die drei Töchter des ehemaligen Ehepaares. "Bitte sei mir nicht böse", sagt Alexey B. Und hat dann noch Tipps für seinen Nachfolger parat: "Sie liebt Blumen, Geld, Gold und teure Parfüms." S. sagt auf Russisch: "Spasiba." Danke. Der Messerstecher redet geflissentlich weiter, dass seine Ex am Mittelfinger Größe 18 trage, am Ringfinger eine 17. Bis die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl dazwischengeht: "Die BH-Größe brauchen wir jetzt nicht auch noch."

Alexey B. und seine Frau stammen aus der Russischen Föderation, waren seit 2005 ein Paar, heirateten im Jahr 2014. Allerdings, so führte Staatsanwalt Daniel Meindl aus, sei die Trink- und Spielsucht des Angeklagten schließlich Grund für das Scheitern der Ehe gewesen. Als B. seine Frau und deren Vater körperlich angriff, warf sie ihn aus der Wohnung und erwirkte vor Gericht ein Kontaktverbot.

"Nur Sie haben zu verantworten, dass Sie hier sitzen."

Das Verhältnis zwischen dem Paar entspannte sich, auch Natalia B. suchte wieder Kontakt, es kam zu Treffen und Intimitäten. Alexey B. behauptete, er habe sich am späten Abend des 11. Januar mit seiner Frau versöhnen wollen. Die Geschichte glaubte das Gericht nicht. Denn B. tauchte betrunken vor ihrer Wohnung in Ramersdorf auf, bekam über das Fenster mit, dass ein Mann bei seiner Frau war und gelangte durch Klingeln in der Nachbarwohnung ins Treppenhaus. Dann brach er die Tür auf und lieferte sich mit Vitali S. ein Gerangel, in dessen Verlauf er auch seine Frau gegen die Badewanne schubste. Die Rauferei verlagerte sich sogar ins Kinderzimmer, wo zwei der Töchter schliefen. In der Küche griff sich B. ein Messer und stach zweimal auf den Oberkörper von S. ein. Anschließend ließ er von ihm ab, gab seiner Frau das blutige Messer und verschwand.

Da Natalia B. sich ambivalent zu ihrem Ehemann verhalten hatte, sah das Gericht keinen versuchten Mord aus niedrigen Beweggründen. Allerdings ging die Kammer von einem bedingten Tötungsvorsatz aus. Bei zwei wuchtigen Stichen in die linke Seite des Oberkörpers habe B. mit dem Tod des Kontrahenten rechnen müssen. Am Ende geht das Gericht von einem minder schweren Fall aus, was bedeutet, dass sich der Strafrahmen zugunsten des Angeklagten nach unten verschiebt. Was er auch dem Täter-Opfer-Ausgleich zu verdanken hat.

Am Ende wäscht Elisabeth Ehrl Alexey B. noch gehörig den Kopf. Er solle die Chance auf einen Entzug nutzen, Deutsch lernen, und hart daran arbeiten, sich das Vertrauen seiner drei Töchter wieder zu verdienen. "Dass Sie ihnen dieses Trauma antun ...", schimpft die Richterin. Außerdem solle B. aufhören, anderen die Schuld zuzuschieben. "Nur Sie haben zu verantworten, dass Sie hier sitzen." Am Ende signalisierten alle Beteiligten, das Urteil anzunehmen.

© SZ vom 30.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusCorona-Krise
:Der gestrandete Wanderzirkus

Seit zehn Monaten sitzt der Zirkus Baldoni Kaiser in München fest. 55 Tiere, elf Menschen und eine verdammte Wiese. Über ein Jahr des Wartens und des Hoffens.

Von Max Ferstl (Text) und Alessandra Schellnegger (Fotos)

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: