Die Verhandlung vor dem Landgericht dauert schon länger als eine Stunde, da platzt Jürgen Lochbihler der Kragen: "Ich kann Ihnen die Zahlen zeigen", herrscht er den gegnerischen Anwalt an. "Da wird Ihnen schlecht. Es geht hier um meine Existenz."
Lochbihler ist der Wirt des "Pschorr am Viktualienmarkt, und er hat wie viele seiner Kollegen Ärger mit seiner Versicherung: Mehr als 80 Mal haben Gastronomen aktuell Klage eingereicht gegen ihre Assekuranzen, Christian Vogler vom Augustinerkeller ist dabei, Karl-Heinz Zacher von der Emmeramsmühle, Christian Schottenhamel vom Nockherberg. Sie alle haben eine sogenannte Betriebsschließungs-Versicherung abgeschlossen, die greifen soll, wenn auf behördliche Anordnung die Lokale nicht öffnen dürfen. Das durften sie nicht, weil im März die bayerische Staatsregierung per Allgemeinverfügung die Schließung aller gastronomischen Betriebe angeordnet hat. Nun aber weigern sich die Versicherungen zu bezahlen.
Pro Schließ-Tag vereinbart der Gastronom jeweils einen bestimmten Tagessatz, 30 Tage pro Jahr sind so abgesichert. Jürgen Lochbihler würde für jeden Tag 15 500 Euro bekommen - bei einem Jahresumsatz, den er selbst in der Verhandlung mit 7,5 Millionen Euro angibt, ist er also eher unterversichert. Trotzdem, so findet er, habe er einen Anspruch im mittleren sechsstelligen Bereich.
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Der Wirt des Augustiner-Kellers in München hatte seinen Versicherer verklagt, der für den Ausfall im Lockdown nicht aufkommen wollte. Das Urteil gilt als richtungsweisend.
Die Argumentation des Versicherungsanwalts am Dienstag ist zunächst dieselbe wie schon bei vorangegangenen Prozessen: Covid-19 sei in den Versicherungsscheinen nicht aufgeführt - was ja auch kaum möglich ist, denn als Lochbihler seine Versicherung 2014 abschloss, gab es das Coronavirus noch nicht. Die Bedingungen sprächen von Schließung durch die zuständige Behörde, also das Gesundheitsamt, nun aber habe die Regierung die Anordnung ausgesprochen. Es gehe bei der Versicherung darum, dass ein einzelner Betrieb geschlossen werde, weil dort - zum Beispiel bei einem Mitarbeiter - eine Ansteckung aufgetreten sei; im März aber seien alle Lokale sozusagen präventiv geschlossen worden.
Da haben allerdings andere Kammern des Landgerichts in anderen Verhandlungen schon deutlich gemacht, dass sie diesen Einlassungen wohl kaum zu folgen gedenken. Deshalb hat sich der Anwalt gegen Lochbihler etwas Neues einfallen lassen: Zwar sei ein pauschaler Tagessatz vereinbart, ohne dass der tatsächlich entstandene Schaden nachgewiesen werden muss. Das gelte aber nicht, wenn dieser erheblich unter der Pauschale liege. Ja, meint die Vorsitzende Richterin, das müsse man mit dem gleichen Zeitraum aus dem letzten Jahr vergleichen. Da widerspricht der Anwalt: Schon vor der Schließung im März seien die Leute vorsichtig gewesen, weshalb die Umsätze der Gastronomie kräftig zurückgegangen seien - Lochbihler hätte nicht erwarten können, das gleiche Geld zu verdienen wie im vergangenen Jahr. Deshalb müssten zur Beurteilung des Schadens die Zahlen aus den vier Wochen vor dem Lockdown herangezogen werden.
Das ist der Moment, in dem Jürgen Lochbihler nicht mehr an sich halten kann: "Der Schaden ist viel höher", ruft er. "Eigentlich müssten Sie sagen: Wir legen noch was drauf."Die Richterin weist ihn freundlich darauf hin, dass Emotionen vor Gericht "meistens nicht hilfreich" sind, und der Gastronom beruhigt sich wieder. Kurz versucht die Vorsitzende noch herauszufinden, ob es denn nicht eine Möglichkeit gibt, sich gütlich zu einigen, aber Lochbihler sagt: "Ich will ein Urteil." Daraufhin wird ins Protokoll diktiert: "Die Güteverhandlung ist heute gescheitert." Ihre Entscheidung will die Kammer am 27. Oktober verkünden. Sollte die Versicherung verlieren - und danach sieht es aus -, müsste sie wiederum Lochbihler neu verklagen, seine Umsätze bekanntzugeben. "Das stehe ich durch", sagt der Pschorr-Wirt zum Schluss.