Neubeginn nach Sportlerkarriere:Wenn Iron-Man zum Hutmacher wird

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Patrick Köppchen in seinem Atelier Fatzke. Auf dem Eis war er der "Iron Man", jetzt biegt er weiche Stoffe zu selbst entworfenen Hüten. (Foto: Stephan Rumpf)

Patrick Köppchen war einer der erfolgreichsten deutschen Eishockey-Profis. Jetzt entwirft er Kopfbedeckungen im eigenen Atelier am Platzl. Wie kam es dazu?

Von Christian Bernhard

An den Blick seines Trainers kann sich Patrick Köppchen noch genau erinnern, obwohl mittlerweile schon 19 Jahre vergangen sind, seit der ihn traf. Der heute 42-Jährige war damals in der Anfangsphase seiner Eishockey-Profikarriere, er spielte in Hamburg. Aber er hatte auch noch andere Interessen. Vor allem modischer Natur. Deshalb hatte er im Schraubstockspanner in der Eishockey-Kabine, wo normalerweise die Schläger der Spieler auf ihre jeweilige Größe zurechtgesägt werden, eine Jeans eingespannt, um sie künstlerisch umzugestalten. "Der Trainer hat mich angeguckt, den Kopf geschüttelt und ist weitergegangen", erinnert er sich lächelnd.

Köppchen erzählt diese Geschichte an einem kalten Dezembertag im Herzen Münchens, am Platzl. Denn sie hat einiges damit zu tun, dass er jetzt dort, schräg gegenüber vom Hofbräuhaus, in einem kleinen Innenhof, zusammen mit seinem Geschäftspartner Gabriel Schütt eine Hutmanufaktur führt.

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Köppchen hat zwischen 2001 und 2019 mehr als 1000 Spiele in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) bestritten, er durchbrach diese Schallmauer als erst vierter Spieler überhaupt. Zweimal gewann er die deutsche Eishockey-Meisterschaft, mit der Nationalmannschaft nahm er an zwei Weltmeisterschaften teil. Und er hat für einen besonderen Eintrag in den deutschen Eishockey-Geschichtsbüchern gesorgt: 506 seiner DEL-Spiele bestritt er am Stück, ohne Verletzungspause, Krankheit oder Sperre. Selbst gebrochene Finger und Zehen oder Prellungen aller Art konnten ihn nicht vom Spielen abhalten. Auf dem Weg zu seiner zweiten Meisterschaft traf ihn eine Scheibe im Gesicht, er musste mit 18 Stichen genäht werden. Zwei Tage später spielte er trotzdem schon wieder. Dieses aufopferungsvolle Verhalten brachte ihm den Spitznamen "Iron Man" ein.

Mehr als 1000 Spiele in der Deutschen Eishockey-Liga hat Patrick Köppchen absolviert, hier das Playoff der DEL-Meisterschaftsrunde 2015, ERC Ingolstadt gegen Adler Mannheim. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Jetzt macht das Bügeleisen in der Hutmanufaktur Fatzke, mitten in der Münchner Innenstadt, ihn zum Iron Man. "Dass es so endet, habe ich nicht kommen sehen", erzählt Köppchen, "aber rückblickend musste es ja so kommen."

Für Köppchen hat sich mit Fatzke (so nennen Schütt und er sich gegenseitig) ein Kreis geschlossen. Der gebürtige Berliner hat Anfang der 2000er-Jahre seine ersten Eishockey-Erstligaspiele in München bestritten, bevor er seine persönliche "Deutschland-Tournee" startete, wie er es nennt, und noch in Hamburg, Hannover, Ingolstadt, Nürnberg und Düsseldorf spielte. Nun, mehr als 20 Jahre später, ist er wieder in München gelandet. Im Atelier erinnern ein paar farbenfrohe Autogrammkarten Köppchens zwischen den Auftragszetteln an der Wand an seine Profizeit. Auch einige seiner Kunden schlagen die Brücke zwischen den beiden Berufswelten: Köppchen hat schon zahlreiche Eishockeyprofis und deren Frauen mit Hüten ausgestattet, für einige hat er sogar die Hochzeitshüte kreiert.

Kleine Erinnerung an die Sportlerkarriere: eine Autogrammkarte zwischen Auftragszetteln. (Foto: Stephan Rumpf)

Köppchens Interesse für die Modewelt schimmerte schon in seiner Jugendzeit durch, als er sich extravaganter als viele andere kleidete. In seiner Teenagerzeit und seinen ersten Jahren als Eishockeyprofi brach die Mode-Leidenschaft dann "so richtig aus", erzählt er. Köppchen bleachte seine Jeans und färbte sie, designte Hosen und T-Shirts für seine Mitspieler. Und er hatte ordentlich damit zu tun, zahlreiche seiner Mitspieler auf einen annehmbaren Modeweg zu bringen. Er habe andere Spieler schon mal darauf aufmerksam gemacht, wenn sie schlecht gekleidet waren, ist von anderen Eishockeyprofis zu hören. Er selber will keine Namen von den "Jungs" nennen, "alleine damit könnten wir die ganze Zeitung füllen", scherzt er.

Als er vor knapp drei Jahren seine Profikarriere aufgrund schwerer Verletzungen beenden musste, war sein weiterer Weg eigentlich schon vorgezeichnet. Köppchen hatte bereits erste Fitnesstrainer-Scheine erworben, es schien klar, dass er irgendwann der Fitnesstrainer der Düsseldorfer EG werden würde. Doch er merkte, "dass ich vielleicht ein bisschen satt vom Sport bin". Er spielte mit dem Gedanken, eine Bar oder ein Restaurant zu eröffnen, doch viele rieten ihm davon ab. Genau in dieser Phase des Sich-Gedanken-Machens meldete sich sein Kumpel Gabriel Schütt bei ihm, schwärmte davon, wie viel Spaß es ihm bereitet habe, seinen ersten Hut zu machen. Und fragte ihn, ob er nicht auch Lust darauf hätte. Köppchen hatte - "und jetzt sind wir hier".

Dass sie am Platzl landeten - ganz ohne Vitamin B, betont Köppchen -, war nicht selbstverständlich. Denn schon das Hineinschnuppern in die Hutmacherei-Welt stellte sich als große Herausforderung heraus. Köppchen hörte sich erst in Deutschland um, um von jemanden lernen zu können, erweiterte seinen Radius aber schnell, da er kaum Antworten auf seine Anfragen bekam. Er machte sich weltweit auf die Suche, auch in New York und Los Angeles, aber ohne Erfolg. Ein Hutmacher meinte, er könne elf Tage vorbeischauen - wenn er denn 11 000 Dollar mitbringen würde.

Selbstverständlich macht er auch einen Nähmaschinenkurs

Doch Köppchen blieb dran und konnte sich auf sein Credo "Die Sachen passieren schon so, wie sie passieren sollen" verlassen. Er erinnerte sich daran, dass er am letzten Tag eines mehrmonatigen Roadtrips durch Australien eine Hutmacherin in Sydney kennengelernt hatte. Diese kontaktierte er, und sie lud ihn sofort ein. Knapp vier Wochen verbrachte er in ihrem Laden, sein Appartement lag am legendären Bondy Beach. Köppchen ging jeden Schritt des Handwerks mit ihr durch, "so hatte ich dann alle Grundlagen". Zurück in Deutschland machte er auch einen Nähmaschinenkurs, denn damit hatte er bis dahin nichts zu tun. "Ich war froh, wenn ich erkannt habe, dass es eine ist", erzählt er lachend.

Obwohl das filigrane Hutmachen mit dem manchmal ruppigen Eishockeysport wenig zu tun haben scheint, gibt es einige Qualitäten aus seiner langen Zeit als Profisportler, die Köppchen auch bei seiner zweiten Karriere helfen. Gerade im Mannschaftssport seien gewisse Werte elementar, die in der freien Wirtschaft manchmal untergehen, findet er. Disziplin, Ehrgeiz, Kommunikation - all das hat der gebürtige Berliner aus der Eishalle mit ans Platzl genommen, "das hilft mir immer wieder auch im Atelier".

Kunden können sich von den ausgestellten Modellen inspirieren lassen - oder auch eigene Accessoires für ihren Hut mitbringen. (Foto: Stephan Rumpf)

Kommunikation war immer schon eine seiner Stärken, Köppchen war in mehreren seiner Mannschaften Kapitän und Anführer. "Wenn er in der Kabine spricht, hören die jungen Spieler auf zu schlucken", sagte einer seiner Sportdirektoren über ihn. So wie er früher seinen Mitspielern auf dem Eis vertraut hat, vertraut er heute Gabriel Schütt. Und was zu seiner Profi-Zeit der Applaus war, der ihm in den Arenen entgegengebracht wurde, ist heute ein Lächeln im Gesicht der Kunden, wenn diese das Atelier mit einem Fatzke-Hut verlassen.

Alle Fatzke-Hüte sind grundsätzlich aus Haarfilz oder Stroh, die Materialien kommen schon mal aus Quito oder New York. Bänder und Stickereien werden individuell gestaltet, verarbeitet wird fast alles, von Seide bis zu kleinen Schmuckstücken der Kunden. Köppchen sieht seine Aufgabe darin, die Menschen bei der Kreation ihres eigenen Hutes zu begleiten. Hin und wieder müssen Schütt und er dabei eingreifen, denn bei den vielen Möglichkeiten, die sich den Kunden bieten, kann es schon mal zu viel werden. "Manchmal ist weniger doch mehr", sagt er. Ein Kunde habe seinen halben Hausstand mit dabei gehabt, als er ins Atelier kam.

Die Spiegel an der einen Wandseite lassen das holzvertäfelte Atelier größer wirken, als es ist. An der gegenüberliegenden Wand und unter der Decke hängen Vorführmodelle der beiden Hutmacher, aber auch schon fertige, bestellte Hüte, die von Kunden noch nicht abgeholt worden sind. "Zur Inspiration", sagt Köppchen. Im Eck ist das Körbchen von Heidi, der jungen Dackeldame von Schütt. Die flitzt immer wieder mal im Laden hin und her. Und zwischen allerlei Stoffen sind zwei purpurrote Sessel positioniert, neben denen auf einem kleinen Tischchen diverse Flaschen Hochprozentiges platziert sind. Falls die Kreativität mal ins Stocken gerät.

Um die Einzelstücke bestmöglich gestalten zu können, haben Köppchen und Schütt ordentlich getüftelt. Ein speziell für sie angefertigtes Gerät, neben dem ein Bügeleisen im Retrolook liegt, garantiert, dass der Hut-Rohling beim Ausblocken von allen Seiten ausgewogen mit heißem Dampf versorgt wird. Zudem messen sie nicht nur die Kopfgröße der Kunden, sondern auch die Kopfform, denn da gibt es große Unterschiede. "Eine 57 ist nicht gleich eine 57", erklärt Köppchen. Mal ist die Kopfform länglich, mal eher quadratisch und manch einer habe gar einen Kopf wie ein "Legomännchen".

Kein Kopf ist wie der andere: Die genaue Form wird erst auf Papier gebracht, dann auf Holz ausgesägt. (Foto: Stephan Rumpf)

Die genaue Kopfform wird erst auf Papier gebracht und dann exakt auf eine Holzform runtergesägt. Diese Holzscheiben türmen sich auf mehreren Stapeln im Eingangsbereich der Manufaktur. Vera, Lexi, Baumi, Gabi, Didi, Volkan und viele andere Namen sind mit Markerstift darauf geschrieben, 30 übereinandergestapelt, auf den ersten Blick alle gleich, aber doch alle einzigartig. "Wir haben von jedem Kunden den Kopf bei uns liegen, wie beim Schuster die Leisten", erklärt Köppchen.

Besonders freut ihn, dass Fatzke vor Kurzem eine Kollaboration mit dem Münchner Herrenmode-Label Hannibal gestartet hat, als erstes entstand dabei ein gemeinsam designter Hut. Im Frühjahr wollen Köppchen und Schütt ein paar Details bei einer Hannibal-Kollektion einbringen. Für den Modemenschen Köppchen sind solche Kooperationen besonders spannend, da sie es ihm ermöglichen, noch tiefer in die Modewelt einzutauchen. "Wir sind mit unseren Hüten die Kirsche auf der Torte", aber da ist eben auch noch so viel mehr zu entdecken. Schütt und er haben noch einige Ideen, etwa, mal einen Pop-up-Store auf Ibiza oder Mykonos für ein paar Monate zu eröffnen.

Patrick Köppchen (links) und sein Kompagnon Gabriel Schütt. Sie sind ein gutes Team, aber Köppchen wünscht sich, es gäbe mehr Austausch mit anderen Hutmachern. (Foto: Stephan Rumpf)

Was Köppchen jedoch vermisst, ist der Austausch mit anderen Hutmachern. Er hatte sich vorgestellt, in gewissen Bereichen "Hand in Hand" zu arbeiten, etwa bei Material-Bestellungen. Stattdessen habe man wenig mit den anderen zu tun, "was wirklich schade ist". Dabei wäre so viel mehr möglich, wenn man zusammenarbeiten würde, findet er - da kommt sein Teamgedanke aus dem Sport durch.

Einmal Hutmacher, immer Hutmacher? Oder irgendwann doch wieder zurück in die Eishockeywelt? Köppchen hat gelernt, "niemals nie zu sagen". Aber im Moment ist es die Welt der Hutmacherei, die ihn erfüllt. "So wie es gerade ist, kann ich mir nichts schöneres vorstellen."

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