Es sind sägensreiche Zeiten für die Katharina Micada. Vielbeschäftigt pendelt die Musikerin in diesen Wochen zwischen München und Berlin, wo sie zuhause ist. Als man sie zum Gespräch in einem Probenzimmer der Staatsoper trifft, steht dort ihr kleiner schwarzer Trolley schon zum Aufbruch bereit. Micada reist immer mit dem Zug, Fliegen kommt für sie nicht in Frage. Abgesehen von der miesen CO₂-Bilanz ist da noch ein anderes Problem. Sie spielt ein Instrument, das die Security am Flughafen gern mal für eine Waffe hält, wenn es im Scanner-Bildschirm auftaucht. Moment, was ist das? Auspacken! Dann kann schon mal ein Ständchen im Transit zu Demonstrationszwecken folgen.
Singende Sägen, lacht Katharina Micada, seien eindeutig Sperrgepäck. Obwohl sie nicht viel wiegen und wie ihre amerikanische Blacklock Musical Saw meist völlig zahnlos sind. Zärtlich fährt die 54-Jährige mit dem Finger an dem biegsamen, einen Millimeter dünnen Federstahlblatt entlang . Harmlos wohl - doch warum greift dieses Instrument uns so unmittelbar vegetativ an, wie Windgeheul, wie Sirenengesang? In Dmitri Schostakowitschs fieberhafter Albtraum-Oper "Die Nase" hat die Säge nur einen winzigen Part, und doch horcht das Münchner Publikum auf, wenn sie aus dem Graben herauf mit Kovaljov zusammen weint. Oder wenn Katharina Micada, mit drei Silikonnasen im Gesicht, die Balalaikatruppe auf der Bühne fürs Interludium verstärkt.
Ob handfest folkloristisch oder körperlos sphärisch, als studierte Sängerin und Pianistin weißt Katharina Micada um die hypnotische Wirkung ihres Instruments, das, wenn es schön singt, der menschlichen (Sopran-)Stimme sehr nahe kommt. Über drei Oktaven. "Möglicherweise geht es uns mit allen Sinustönen so", sagt sie. Die Säge habe einen reinen Ton, noch ärmer an Obertönen als die Oboe, nach der sich ein Orchester gewöhnlich einstimmt. Im Probenraum springt Micada, schlank, groß, kinnlanger Bob, nun zum Flügel. Dort holt sie sich ein D, schießt zurück auf ihren Stuhl, klemmt den unteren Teil der Säge zwischen Oberschenkel und Knie, mit der rechten Hand fasst sie den schraubstockähnlichen Holzgriff am vorderen Ende des Blattes. Sie biegt es mal leicht, mal mit mehr Kraft nach links und gleich wieder nach rechts. So erreicht sie die nötige Spannung. Mit minimalsten Berührungen des Blattes bringt der Violinbogen den Ton zum Ein- und Ausschwingen.
Micada spielt nun einen Part aus der "Nase". Es klingt hysterisch, rhythmisch total vertrackt. "Ständiger Taktwechsel, große Sprünge, die muss man einfach treffen, sauschwer", sagt sie. Für die Münchner Inszenierung musste Micada den Part allerdings nicht mehr allzu lange proben. Sie hat ihn sich schon 2018 "draufgeschafft" für Barrie Koskys "Nasen"-Inszenierung" an der Komischen Oper Berlin. Die hat dort jetzt Wiederaufnahme, daher also der Pendelverkehr zwischen München und Berlin. Erhöhtes Nasen-Aufkommen.
Marlene Dietrich nahm ihre Säge mit nach Hollywood
Steht der singenden Säge eine Renaissance bevor? In den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts erlebte das Instrument der armen Leute und Jahrmarktsgaukler einen Boom. Varietés und Salonorchester, junge Avantgardisten wie Schostakowitsch entdeckten seine anarchischen Qualitäten. Der präparierte Fuchsschwanz wurde zigtausendfach produziert. Auch eine gewisse Marie Magdalene Dietrich nahm Unterricht. Ihre Musiksäge, heute im Filmmuseum Berlin ausgestellt, kam später mit nach Hollywood. Man mag sich das Gejohle kaum vorstellen, wenn die Dietrich auf Partys in Beverly Hills oder später im Zweiten Weltkrieg als Truppenunterhalterin die Säge zwischen ihre hoch versicherten Beine klemmte. Dann aber wohl stummes Staunen, denn sie spielte virtuos, nach allem was man heute weiß. Ein Marlene-Foto aus dieser Zeit war es auch, das Katharina Micada magisch zur Säge zog. Nach dem Studium in Freiburg hatte sie sich auf Soloprogramme mit Musik der Weimarer Republik spezialisiert - in Berlin. Als sie dort die Säge zum ersten Mal live singen hörte in einem Konzert von Max Raabes Palastorchester, war es um sie geschehen.
Mehr als 20 Jahre spielt Micada das Instrument nun schon, ein renommierter Sägist in Basel - im wirklichen Leben Zahnarzt - hat es ihr beigebracht. Mittlerweile ist sie selbst nicht nur "Vizeweltmeisterin der singenden Säge 2011", sie sägt auch Jazz und Crossover und hat sich ins tief klassisches Repertoire hineingewurmt. Ja, es gibt Noten für dieses Instrument. Wenn die Berliner Philharmoniker oder das London Philharmonic Orchestra den besonderen Klang einer Säge brauchen, wittert Micada das und bringt sich beizeiten ins Spiel. In München stand sie schon im Herkulessaal auf dem Podium, an der Bayerischen Staatsoper war sie bei der "Elegie für junge Liebende" oder Terence Kohlers Ballett "Helden" am Sägen.
Im Schlussbild der "Nase" steigt ein roter Luftballon nach oben, wie eine flimmernde Luftschicht begleitet die Säge sein Schweben. Dann ein Knall, Ende. Doch auch nach der vorläufig letzten Münchner "Nase" an diesem Freitag wird Katharina Micada ihre Musiksäge hierorts erneut aus dem Spezialfutteral holen und das Blatt mit einem trockenen Tuch penibel säubern. Sie spielt nächste Woche in Vladimir Jurowskis Akademiekonzerten, noch mal Schostakowitsch, wieder die Zwanzigerjahre: die Musik zum Stummfilm "Das neue Babylon ", zudem Auszüge aus dem Schauspiel "Die Wanze ". Besonders freut sie sich aber auf den Auftritt in der neuen Isarphilharmonie. Zubin Mehta dirigiert George Crumbs Liederzyklus "Ancient Voices of Children". Micadas Säge wird dort dann gemeinsam mit Mojca Erdmanns wundervollem Sopran flüstern, singen und verzaubern.
"Die Nase", 5. Nov., 19 Uhr, Nationaltheater; Akademiekonzert, 7. Nov. 11 Uhr, 8. und 9. Nov., 20 Uhr, Nationaltheater; Zubin Mehta/Mojca Erdmann, George Crumb "Ancient Voices of Children", 11. Nov., 20 Uhr, Isarphilharmonie.