Trachtenmode zum Oktoberfest:Dirndl selbst gemacht

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Bei Kathy Jung schneidern Münchnerinnen im Nähkurs ihre eigene Tracht. Drei Tage, dann soll es fertig sein, das ganz besondere Kleid.

Von Julia Bergmann

Das gleichmäßige Rattern einer Nähmaschine erfüllt das Atelier Louloute im Westend, während hinten vor einem großen Spiegel letzte Maße genommen werden. Arme zur Seite: Brustumfang, Taille und Hüfte werden vermessen. Schließlich sollen die Dirndl, die im Kurs von Schneidermeisterin Kathy Jung entstehen, später wie angegossen sitzen. Ein maßgeschneiderter Traum aus bunt gefärbter Baumwolle. Drei Tage haben die vier Teilnehmerinnen dafür Zeit. Drei Tage, dann soll es fertig sein, das ganz besondere Kleid, dessen ersten großen Auftritt schon jede der Vier geplant hat: Auf der Wiesn sollen die Stücke Premiere feiern.

"So ein selbst genähtes Dirndl trägt man bestimmt ziemlich stolz auf der Wiesn", sagt Luisana Valero. Sie hat den Kurs von ihren Freunden zum 30. Geburtstag geschenkt bekommen. "Die haben jetzt hohe Erwartungen", sagt sie und lacht. Für Valero wird es das erste selbst genähte Dirndl sein. "Ich bin schon ganz nervös", sagt sie und steckt die vorbereiteten Schnittteile auf einer leuchtend gelben Stoffbahn fest.

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Wäre es nach ihr gegangen, würde sie die Nadeln jetzt in senfgelbes Leinen stecken. Aber im Laden - jede Teilnehmerin bringt ihre Wunschstoffe selbst mit - sei ihr davon abgeraten worden. "Sie haben gesagt, das wäre sehr mutig für das erste Dirndl." Schneidermeisterin Jung hakt ein: Möglich sei es schon, es komme auf die Struktur und Stärke des Gewebes an. Jung nimmt ein Stück Stoff, legt die Hände darauf, verschiebt es. Jeder Stoff bewege sich anders, selbst wenn es sich jedes Mal um Leinen handle. Je fester es gewoben sei, desto einfacher sei es zu nähen. Zwar hat jede der Frauen im Kurs Näherfahrung, aber so ein Dirndl besteht nun mal aus vielen Einzelteilen. Es braucht Knöpfe, Schnürungen, Reißverschlüsse und Paspeln, Futter und Vlieseline-Verstärkung. Kurz: Es ist komplex. Und wenn man dann noch einen Stoff hat, der schwierig zu verarbeiten ist, kann das schnell frustrieren. Valero ist zufrieden mit ihrer Wahl.

"Wichtig ist, dass ihr beim Abstecken auf den Fadenlauf achtet", erklärt Jung in der Runde. Der auf den Schnittmustern eingezeichnete Pfeil muss parallel zur Webkante des Stoffes liegen. Tut er das nicht, fällt das Kleidungsstück später nicht richtig. "Ich hatte das erst vor Kurzem bei einer gekauften Jeans", sagt Jung. Komme immer wieder vor. An einem Hosenbein habe sich die Naht ständig in Richtung Beininnenseite verdreht. Ärgerlich. Niemand möchte Stunden an Arbeit in ein Kleidungsstück investieren, das er nachher nicht gerne trägt, weil man es dauernd zurechtzupfen muss.

Jung geht von Teilnehmerin zu Teilnehmerin, hilft mal bei kleinen Handgriffen, mal beim Verlängern von Schnittmusterteilen. Üblicherweise orientieren sich die Muster an der Durchschnittsgröße deutscher Frauen - die liegt bei 1,68 Metern. Wer deutlich größer oder kleiner ist, sollte die Teile verlängern oder kürzen. Jung setzt die Schere an und schneidet durch das Transparentpapier, sodass aus einem Schnittteil zwei Stücke werden. "Bei mir sind es 13 Zentimeter, die ich verlängern muss", erklärt Teilnehmerin Julia Gronhoff, "aber das meiste machen die Beine aus." Jung stimmt zu, klebt einen wenige Zentimeter breiten Papierstreifen zwischen die Teile und setzt sie wieder zusammen. Voilà: das angepasste Schnittmuster ist fertig, auch Gronhoff kann sich ans Abstecken machen.

Helga Loger bearbeitet eine Naht. Alles muss im Dirndl richtig sitzen. (Foto: Stephan Rumpf)

Für Jung ist es etwa der 30. Dirndlnähkurs, den sie hält. Die Schnitte für die Stücke, die hier entstehen, stammen zum großen Teil von ihr. Die Schneidermeisterin hat sich vor einigen Jahren mit einem Shop für Dirndlschnittmuster selbständig gemacht. Ihre Ausbildung hat sie in einem Betrieb absolviert, in dem Landhausmode und Dirndl genäht wurden, später hat sie an der Deutschen Meisterschule für Mode studiert. "Beim Dirndl bin ich geblieben, weil ich Bayerin bin", sagt Jung. "Ich habe festgestellt, die Münchnerin will Dirndl nähen", sagt sie. Nur die Auswahl an Schnitten war begrenzt. Oft waren Anleitungen nicht ausführlich oder schwer verständlich. Nachdem Jungs Tochter auf die Welt gekommen war, habe sie ihr Projekt umgesetzt, Schnitte entworfen, genäht und jeden Arbeitsschritt fotografiert. Und nun bestellen die Münchnerinnen ihre Anleitungen.

Über die Jahre haben sich bei Jung auch einige selbst genähte Dirndl angesammelt, genauer gesagt: 18 Stück. Allesamt hängen sie stilecht in einem alten Bauernschrank. Ihr Lieblingsmodell ist das Dirndl Conny. Klassisch, mit Knöpfen und Münchner Ausschnitt. "Der wird in Österreich übrigens Salzburger Ausschnitt genannt", sagt sie. Für eine Hochzeit hat Jung ihre Conny mit einer Schürze in neonfarbenem Blumenmuster aufgepeppt. "Das war extrem. Aber für diesen einen Anlass war es perfekt".

"Das ist das Schöne, man kann machen, was einem gefällt", sagt Dortje Lorenz. Sie wollte ursprünglich zu grünem Samt greifen. Im Laden hat sie sich umentschieden. Weil Baumwolle leichter zu verarbeiten ist. Aber auch, weil sie der tannengrüne Stoff mit dem kleinen Muster auf Anhieb überzeugt hat. Das selbst zusammengestellte Dirndl - der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Theoretisch. Helga Loger, die gerade mit dem Zuschnitt beginnt, stammt aus dem Norden. Deswegen hatte sie überlegt, einen Stoff mit Leuchtturmmuster zu verwenden. Hat sie dann aber doch nicht. Das erste Dirndl sollte ein klassisches werden: mittelblaue Baumwolle mit kleinen weißen Pünktchen. Die Leuchttürme? Vielleicht beim nächsten Mal.

Jeder Stoff bewegt sich anders, es kommt die Struktur und Stärke des Gewebes an. (Foto: Stephan Rumpf)

Monika Peter, die das Nähatelier zusammen mit Claire Massieu betreibt, erinnert sich an viele ausgefallene Modelle aus den vergangenen Kursen. Etwa an das von der Frau mit dem afrikanischen Ehemann: Sie kombinierte bayerische und südafrikanische Stoffe. Oder das der Teilnehmerin, deren Dirndl komplett kompostierbar sein sollte, also ohne Polyesteranteil auskommen musste. "So erzählt jedes Dirndl seine eigene Geschichte", sagt Jung.

Ein Dirndl, findet sie, darf vieles. Wilde Muster, grelle Farben, ausgefallene Stoffe - geht alles. "Dirndl sind immer mit der Mode gegangen", sagt sie. "Deswegen sind sie nicht wie viele Trachten im Museum verstaubt." Dirndl und Tracht sei ja nicht das Gleiche. Die Tracht ist etwas Besonderes, ein Festtagsgewand, das anhand von Schnitt, Farbe und anderer Details erkennen lässt, aus welcher Region der Träger stammt. Echte Trachten haben sich über lange Zeit hinweg nicht verändert. Das Dirndl, das während der Biedermeierzeit modern wurde, schon. "Es war ein Freizeitkleid, das die Frauen gerne im Urlaub getragen haben." Ein Kleid, das ohne steifes Korsett auskam, für damalige Gewohnheiten gemütlich. "Genäht wurde es häufig aus alter Bettwäsche", sagt Jung. Was eben da war.

Im Atelier ist es mittlerweile still geworden; die Frauen arbeiten konzentriert. In den kommenden Tagen werden sie die Oberteile zusammensetzen, Röcke annähen und Schürzen zuschneiden. Nach drei Tagen sind die Kleider fast fertig. Zuhause müssen noch ein paar Handgriffe ergänzt, etwa die Knöpfe angenäht werden. Am Ende, so sei es nach jedem Kurs, gibt es "klitzekleine feuchte Augen". Auch dieses Mal sind die Frauen stolz auf das, was sie geschafft haben, wird Jung später erzählen. Am liebsten, das hätten die Frauen der Kursleiterin gesagt, würden sie gleich das nächste Dirndl nähen. "Sie sind jetzt richtig im Dirndlnähfieber", sagt Jung. Vielleicht gibt es tatsächlich eine Fortsetzung. Und vielleicht entstehen dann Dirndl aus senfgelbem Leinen, grünem Samt und Stoff, bedruckt mit Leuchttürmen. Immerhin: die Wiesn dauert 16 Tage. Eine Auswahl an Outfits kann nicht schaden.

© SZ vom 13.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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