Neue Unterkunft:Wo Münchens Obdachlose künftig Schutz finden

Lesezeit: 3 min

Die Zahl der Obdachlosen, die auf der Straße schlafen, ist in München zurückgegangen. (Foto: Stephan Rumpf)

Niemand müsse in der Stadt auf der Straße schlafen, erklärt die Sozialreferentin. Im Euroindustriepark eröffnet am Montag ein Neubau mit Platz für 730 Menschen - doch nicht alle wollen die Übernachtungsangebote annehmen.

Von Sven Loerzer

Ziegelrot ist das dreistöckige Gebäude, mit der warmen Farbgebung setzt das in Holz-Hybrid-System-Bauweise errichtete Gebäude einen architektonischen Akzent, der nicht nur einem tristen Gewerbegebiet wie dem Euroindustriepark, sondern auch einem Wohngebiet guttun würde: Von Montag an beherbergt der Neubau an der Lotte-Branz-Straße den Übernachtungsschutz für bis zu 730 obdachlose Personen in 184 Zimmern. "Ich bin froh, dass wir diese neuen Räumlichkeiten haben", sagte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD). Die Kosten dafür bewegen sich nach Angaben der Stadt im zweistelligen Millionenbereich.

Denn mit dem Umzug aus den heruntergekommenen Gebäuden der ehemaligen Bayernkaserne, die der Wohnbebauung weichen müssen, verbessert sich der Standard der Unterbringung erheblich. Statt Zehn- und Zwölf-Bett-Zimmern gibt es nun Vier-Bett-Zimmer sowie Zwei-Bett-Zimmer, etwa für Rollstuhlfahrer oder Menschen mit besonderem Schutzbedarf, dazu noch einen Tagestreff. Mit dem Neubau nach den Plänen von Hild und K Architekten habe der Stadtrat die Tatsache unterstrichen, "dass niemand in München auf der Straße schlafen muss", erklärte Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD). München verfüge so über "ein Gesamtkonzept für Menschen, die Unterstützung brauchen, das deutschlandweit einmalig ist", betonte Dietl.

Der neue Übernachtungsschutz soll Platz für bis zu 730 Obdachlose bieten. (Foto: Catherina Hess)
Statt Zehn- und Zwölf-Bett-Zimmern wie in der ehemaligen Bayernkaserne gibt es nun Vier-Bett-Zimmer sowie Zwei-Bett-Zimmer. (Foto: Catherina Hess)

Im Übernachtungsschutz, den das Sozialreferat zusammen mit dem Evangelischen Hilfswerk der Diakonie bislang in der ehemaligen Bayernkaserne schrittweise aufgebaut hat, schliefen in den vergangenen elf Jahren insgesamt 18 500 Personen aus 143 Ländern. Mit dem Neubau hofft Dietl, noch mehr obdachlose Menschen von der Straße holen zu können. Die Zahl der Menschen, die in München auf der Straße leben und dort auch nächtigen, ist einer Studie zufolge in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen - offenbar auch dank des kostenlosen Übernachtungsschutzangebotes.

Aus einer Zählung innerhalb des Mittleren Rings, die in den späten Abend- und Nachtstunden eines Wintertags und eines Sommertags 2022/23 stattfand und die auf das gesamte Stadtgebiet hochgerechnet wurde, ergab sich eine durchschnittliche Zahl von 342 obdachlosen Personen, die auf der Straße nächtigten. Im Jahr 1995 hatte eine Erhebung 548 Personen gezählt, 2007 ergab eine Folgeerhebung hochgerechnet 339 Personen, 2012 wurde die Zahl aufgrund von Experten-Schätzungen mit 550 Personen angegeben.

Sozialreferentin Dorothee Schiwy zeigte sich erleichtert, dass München mit der Zahl der Obdachlosen, die auf der Straße leben, "weit hinter den großen Ballungszentren in Deutschland und in Europa liegt". Mit den neuen Übernachtungsschutzräumen, die in Frauen-, Männer- und Familienbereich aufgeteilt sind sowie Multifunktionsräume bieten, erwartet sie, dass München dem Ziel noch näherkommt, Menschen dauerhaft aus der Obdachlosigkeit zu holen und in Wohnungen unterzubringen.

Die Studie, die ursprünglich schon 2020 hätte beginnen sollen, aber wegen der Corona-Pandemie erst im Herbst 2022 startete, hat das Süddeutsche Institut für empirische Sozialforschung (Sine) für die Stadt erstellt. Mehr als 200 geschulte freiwillige Helfer zählten die Obdachlosen und konnten rund 100 von ihnen auch noch für eine Kurzbefragung gewinnen. Mehr als die Hälfte von ihnen gab an, bereits länger als ein Jahr auf der Straße zu leben, ein gutes Drittel schon seit mehr als fünf Jahren. Gäbe es das Unterkunftsheim in der Pilgersheimer Straße und den Übernachtungsschutz nicht, würden wahrscheinlich wesentlich mehr Menschen draußen nächtigen. Denn die niederschwelligen Angebote nutzten an den Erhebungstagen rund 600 Menschen.

Viele haben Angst davor, bestohlen zu werden

Zwei Drittel der auf der Straße Befragten nutzen die Übernachtungsangebote nicht, obwohl fast alle sie kennen. Viele Gründe wurden dafür angeführt: Knapp ein Drittel verzichtet darauf, weil es sich um kein dauerhaftes Angebot handelt, ein knappes Viertel, weil sie tagsüber die Einrichtungen verlassen müssen, und jeder Vierte deshalb, weil in der Unterkunft zu viele Menschen sind. Fast jeder Dritte fühlt sich dort nicht sicher, ebenso viele haben Angst davor, bestohlen zu werden. 71 Prozent der Befragten kommen aus dem EU-Ausland, vor allem aus Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Polen. Der Altersdurchschnitt lag bei 47 Jahren, zwei Drittel der Befragten war zwischen 40 und 65 Jahren alt.

Schiwy betonte, dass zur Sicherheit in Unterkünften bereits Gewaltschutzkonzepte erarbeitet worden seien. Weil die Frage aber viel bewege, "wollen wir das Thema noch einmal angehen". Im Übernachtungsschutz bietet nun der Neubau einen verbesserten Standard mit abschließbaren Spinden in kleineren Zimmern und mehr sozialpädagogische Betreuung und Beratung. In dem Neubau finden auch die Räume für die Asylerstuntersuchung durch das Gesundheitsreferat Platz, in räumlicher Nähe der Erstaufnahmeeinrichtung der Regierung von Oberbayern. Es handle sich bei der Untersuchung um eine "wichtige Hilfestellung für den Start ins Leben in Deutschland", sagte Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek (SPD). So werde Gesundheitsschutz für den Einzelnen als auch für die gesamte Gesellschaft gewährleistet. In einem separaten Bereich werden auch Impfungen angeboten.

Andrea Betz, Vorstandssprecherin der Diakonie München und Oberbayern, die mit dem Evangelischen Hilfswerk den Übernachtungsschutz betreibt, freute sich ebenso über den Neubau mit den Innenhöfen. "In München müsste niemand auf der Straße schlafen", sagte sie. Oft fühlten sich die Menschen durch das Leben auf der Straße stigmatisiert. "Uns ist es wichtig, nicht zu urteilen. Wir tun alles dafür, dass sich die Menschen bei uns sicher fühlen." In diesem "sozialen Auffangnetz" kümmern sich 124 haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende aus 35 Ländern um Hilfesuchende. Diese werden in zwölf Sprachen beraten, um trotz ausweglos erscheinender Situation eine Perspektive zu entwickeln, Arbeit und ein Zimmer zu finden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusArmut in München
:"Einfach vorbeigehen ist ein No-Go"

Wie kann man helfen, wenn man einem Obdachlosen begegnet? Was sollte man auf keinen Fall tun? Und wie arbeitet die Straßenambulanz? Ein Treffen mit dem Mediziner Thomas Beutner.

Interview von Jana Jöbstl

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: