Typisch deutsch:Bus und Bahn und trotzdem Auto

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Wohin man geht und wo man steht: zugeparkte Straßen, so weit das Auge reicht, wie hier im Glockenbachviertel. (Foto: Stephan Rumpf)

Gefühlt ist jeder Münchner im Besitz eines riesigen Privatwagens, der aber die meiste Zeit geparkt auf der Straße herumsteht. Warum rauben sich die Stadtbewohner gegenseitig Lebensraum?

Kolumne von Lillian Ikulumet

Die Deutschen lieben ihre Autos. Das wissen wir alle, und die Automobilindustrie treibt die deutsche Wirtschaft an. Aber braucht man wirklich ein Auto, um in München zu leben? Nach meinen Beobachtungen der vergangenen sieben Jahre ist München eine der besten Städte überhaupt, um ohne Auto zu leben. Dennoch scheinen viele Münchner mindestens ein Auto zu besitzen. Sehr viele. Man braucht nur durch die Wohngebiete der Stadt zu spazieren. Wohin man geht und wo man steht: zugeparkte Straßen, so weit das Auge reicht.

Wo ich einst lebte, sind nur wenige Menschen im Besitz eines Autos. Vielleicht auch, weil nur wenige sich eins leisten können. Oder aber wie es ugandische Großstädter gerne ausdrücken: Wofür brauche ich in der Stadt ein Auto, wo es doch Busse und Bahnen gibt?

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Interessanterweise hört man diesen Satz in München auch Menschen sagen. Interessanterweise meist junge Menschen, die in WGs wohnen. Je älter die Münchner werden, desto mehr sinkt die Quote solcher Sätze.

Es ist durchaus bemerkenswert, dass sich die Menschen in meiner einstigen Heimat auf das Nahverkehrsnetz beziehen, wo es doch verglichen mit europäischen Städten keines ist, das diesen Namen verdient hat. Und in München, wo doch das Nahverkehrsnetz beneidenswert gut ist, da parken sich die Stadtbewohner gegenseitig mit SUVs zu und rauben sich so Lebensraum. Warum ist das so?

Öffentliche Verkehrsmittel bringen einen in München schnell und mit dem Neun-Euro-Ticket nun auch sehr günstig fast überall hin. In etwa 30 Minuten gelangt man so von Nord nach Süd. Ich kann mich nicht erinnern, wie oft ich auf Partys gegangen bin und in den frühen Morgenstunden noch den Nachtbus nach Hause nehmen konnte. Ich habe öffentliche Verkehrsmittel in München, Berlin, Hamburg, Leipzig und Dresden benutzt - und bin immer gut und sicher ans Ziel gelangt. Eine Verspätung? Geschenkt. Wenn man als Afrikanerin mit etwas zurechtkommt, dann damit.

Vielleicht beginnt hier ein ethnologischer Erklärungsansatz. Damit, dass sich der Münchner über nichts lieber aufregt als über verspätete öffentliche Transportmittel. Wahrscheinlich hat die Dauer des Haareraufens wegen solcher Verspätungen schon so manchen Isarstädter mehr Lebenszeit gekostet als die Verspätung selbst.

Es ist, wie vieles im Leben, eine Frage der Perspektive. Für mich ist der öffentliche Verkehr hier wie ein Wunder. Es ist eine großartige Möglichkeit, schnell und unkompliziert zu einem geplanten Punkt zu gelangen. Niemand braucht mir ernsthaft weiszumachen, dass er ein eigenes Auto benötigt, um sein Leben in München zu meistern, ausgenommen vielleicht Taxifahrer.

Die ehrliche Erklärung lautet, dass es bequem ist, stets ein Auto zur Verfügung zu haben. Es lässt sich leichter einkaufen gehen oder spontane Ausflüge machen. Kleine Kinder lassen sich zugegebenermaßen mit Auto etwas leichter transportieren als ohne. Und so kam es, wie es kommen musste.

Ich habe an dieser Stelle bisweilen meine kleine Tochter Taliah erwähnt. Nicht aber mein Auto, in dem Taliah manchmal im Kindersitz mitfährt. Ja, auch ich habe mir eins gekauft. Ich dachte, das braucht es, nun da ich ein Kind großziehe. Zu meiner Verteidigung habe ich vorzubringen, dass es sich lediglich um einen Kleinwagen handelt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass mein Auto die allermeiste Zeit geparkt vor der Wohnung auf der Straße steht.

Typisch deutsch

Ihre Flucht hat drei Journalisten nach München geführt. In einer wöchentlichen Kolumne schreiben sie, welche Eigenarten der neuen Heimat sie mittlerweile übernommen haben. Alle Texte dieser Reihe finden Sie unter sz.de/typisch

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