Ludwig-Maximilians-Universität:"So dringend wie nie zuvor"

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"Es brennt", sagt Wissenschaftlerin Katrin Geneuss (Mitte), die wie ihre Kollegen Markus Vogt (links) und Ralf Ludwig (rechts) zum Vorstand des Münchner Zentrums für Nachhaltigkeit gehört. Gemeint sind nicht nur Umweltkatastrophen, sondern auch die wachsende Ungleichheit von Arm und Reich. (Foto: Stephan Rumpf)

An der LMU hat sich das interdisziplinäre Münchner Zentrum für Nachhaltigkeit gegründet. Bald starten zwei neue Studiengänge. Gestärkt werden soll das Bewusstsein für verantwortungsvolles Handeln im Umgang mit endlichen Ressourcen.

Von Bernd Kastner

Es geht um das ganz Große, und so kommt das Gespräch bald zur Demokratie. Sie ist Basis und Ziel dessen, was sie im MZN tun wollen. MZN ist ein neues Kürzel im universitären Kosmos, es steht für Münchener Zentrum für Nachhaltigkeit. Es ist ein komplexes wissenschaftliches Gebilde, über den Fakultäten schwebend. Natur-, kultur- und sozialwissenschaftlich, ethisch und schöpfungstheologisch, bildungs- kunst- und wissenschaftstheoretisch, hochschuldidaktisch und -praktisch - so wolle man arbeiten, lehren und forschen, interdisziplinär und nachhaltig.

Den Begriff Nachhaltigkeit definiert das MZN als "globale und intergenerationelle Gerechtigkeit". Um dorthin zu kommen, sei eine "radikale Transformation" nötig. Der Mensch müsse anders mit sich und den Ressourcen des Planeten umgehen.

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Konzipiert haben das Zentrum Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Versuchen sie, sich einer Art Weltformel anzunähern? Oder zumindest einem Leben, in dem der Mensch gut und gerecht handelt. Katrin Geneuss zögert. Weltformel? Das klinge nach der einen Lösung für alles, realistischer aber sei, dass es sehr, sehr viele kleine Lösungen brauche, um das Leben nachhaltig zu gestalten.

Das gute und gerechten Leben suche die Menschheit schon seit Jahrtausenden, sagt Geneuss. "Was jetzt anders ist: Es brennt." Damit meint sie nicht allein Umweltkatastrophen, sondern auch die wachsende Ungleichheit von Arm und Reich. Zu handeln sei "so dringend wie nie zuvor".

Ende vergangenen Jahres ist das MZN gestartet, bisher hat es weder Büro noch eigenes Budget, es werde querfinanziert, sagt Markus Vogt. Der Ordinarius für Christliche Sozialethik, Geografie-Professor Ralf Ludwig und Katrin Geneuss, Expertin für Hochschuldidaktik, gehören, neben anderen, dem Vorstand des MZN an. Es ist eine Arbeitsgemeinschaft von Professorinnen, Professoren und Dozierenden der LMU, offen für Kolleginnen und Kollegen von außerhalb.

Lehrkräfte können bald eine Zusatzqualifikation in Nachhaltigkeit erwerben

Ihre Ziele sind vielfältig. Sie wollen das, was die LMU in Lehre und Forschung zu Nachhaltigkeit bereits anbietet, sichtbarer machen. Sozusagen im Vorlesungsverzeichnis alle entsprechenden Veranstaltungen mit Leuchtstift markieren und für Forschende eine Übersicht über alle Projekte zu Nachhaltigkeit erstellen. Das MZN will auch Forschungsprojekte selbst initiieren, beim Einwerben von Drittmitteln helfen und Publikationen unterstützen.

Zu bereits bestehenden Netzwerken und Angeboten zu Nachhaltigkeit an der LMU will das MZN die Kontakte pflegen und deren Expertise mitaufnehmen. Das gelte etwa für "LMUgrün" oder das Rachel Carson Center for Environment and Society. Das Zertifikatsprogramm "El Mundo" hingegen soll zu zwei neuen Studiengängen ausgebaut werden. Geleitet und koordiniert wird "El Mundo" von Ralf Ludwig und Katrin Geneuss, es ist, für Lehramtsstudierende, ein Bildungsangebot zu nachhaltiger Entwicklung. Wer es absolviert, bekommt ein Zertifikat. Nun soll es aufgewertet werden, zu einem Lehramts-Erweiterungsfach und einem Bachelor-Nebenfach mit entsprechenden Studienabschlüssen.

Ralf Ludwig erzählt, dass sie das Kultusministerium in kurzer Zeit überzeugt hätten, an den Unis Angebote für Nachhaltigkeit auszubauen. Mit dem Erweiterungsfach können sich angehende Lehrkräfte spezialisieren. Wer zum Beispiel Deutsch und Latein als Unterrichtsfächer studiert, kann sich Zusatzqualifikationen in Nachhaltigkeit erwerben.

Der Bachelor-Studiengang startet erst 2025. Man erwartet "Wahnsinns-Zulauf"

Das, erklärt Katrin Geneuss, mache junge Lehrkräfte für Schulleitungen attraktiver, weil sie einen Mehrwert mitbrächten. Sie seien prädestiniert, intern etwa Fortbildungen zu Nachhaltigkeit oder entsprechende Projekte mit Kindern und Jugendlichen zu organisieren. Die LMU werde das Erweiterungsfach wahrscheinlich vom kommenden Wintersemester an im Programm haben, als "Bildung für nachhaltige Entwicklung". Auch an anderen bayerischen Unis könnte es bald angeboten werden.

2025/26 soll für Bachelor-Studierende an der LMU ein neues Nebenfach starten: Nachhaltigkeit. Dass es noch fast zwei Jahre dauert, erklärt Ludwig so: Man erwarte "einen Wahnsinns-Zulauf", und deshalb wolle man alles gut vorbereiten. Angesiedelt werden soll das neue Fach in der geowissenschaftlichen Fakultät.

So aufwendig der Start der beiden neuen Fächer sein mag, es ist eine überschaubare Aufgabe im Vergleich zu der, vor der die MZN-Leute den Wissenschaftsbetrieb sehen. Was bedeutet Nachhaltigkeit? Wie lässt sie sich leben, an den Unis, in der ganzen Gesellschaft und global? "Es ist eine wissenschaftstheoretische und -praktische Herausforderung", sagt Vogt, notwendig sei eine "Philosophie der Nachhaltigkeit". Und er ist sich sicher: Nachhaltigkeit werde ein wichtiges Kriterium für wissenschaftliche Exzellenz.

Vogt, Ludwig und Geneuss plädieren für ein neues Denken, integriert und vernetzt. Ökologisch, technisch, ökonomisch, kulturell, sozial. Wie ein Raster müsse der Mensch Kriterien der Nachhaltigkeit über alles legen und sich dabei auch unvermeidbare Konflikte bewusst machen.

"Es braucht ein anderes Konzept von Wirtschaft."

Was wieder sehr abstrakt klingt, erklärt Vogt anhand des Beispiels SDG. Dieses Kürzel steht für "Sustainable Development Goals", die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Die seien alle für sich gut und logisch, sagt Vogt, aber: Wie passen sie alle zusammen? Was ist, wenn man, um Armut und Hunger zu bekämpfen, die Wirtschaft fördert und dabei natürlichen Ressourcen verschwendet oder das Trinkwasser verschmutzt? Ein unauflöslicher Konflikt?

"Es braucht ein anderes Konzept von Wirtschaft", sagt Ludwig, und Vogt ergänzt: Externe Kosten müssten internalisiert werden. Wenn die Produktion eines Produkts die Umwelt schädige, müssten in den Produktpreis die Kosten eingepreist werden, um den Umweltschaden zu reparieren oder, noch besser, ihn gleich ganz zu vermeiden. Das wäre ein Teil der ökonomisch-technischen Antwort, hinzu kommt eine ethische Komponente, sagt Vogt: "Wir müssen auch lernen zu verzichten."

Wie kann eine Überfluss-Gesellschaft Verzicht lernen?

Und wie soll eine Überfluss-Gesellschaft das lernen? Indem sie sich bemühe, Nachhaltigkeit als Norm anzuerkennen. Wohlwissend, dass diese Norm oft nicht einzuhalten sei, man also Kompromisse aushandeln müsse. Mal ein einzelner Mensch mit sich selbst, mal eine ganze Gesellschaft. Von einer "Ethik des Kompromisses" spricht Vogt, und: "Nachhaltigkeit braucht eine Streitkultur mit Respekt." Und sie brauche Demokratie: Nur wenn der Einzelne davon ausgeht, dass auch der andere was zu sagen hat, funktioniere der Ausgleich zwischen unterschiedlichen Zielen der Nachhaltigkeit.

Katrin Geneuss bringt politische Bildung als Element der Nachhaltigkeit ins Spiel: Wer sich auskennt, seine Wünsche in die politische Debatte einbringt und so an ganz kleinen Schrauben dreht, nutze und stärke die Demokratie. Und ohne Demokratie sei auch keine Nachhaltigkeit zu erreichen. Werde das Bewusstsein für Nachhaltigkeit zunächst in der Uni-Ausbildung und dann in den Schulen implementiert, diene all dies der politische Bildung. Dazu gehöre auch die Befähigung zum Gestalten. Aus Wissen müsse Handeln werden, sagt Geneuss, um das Weiterleben der Menschen zu ermöglichen, ökologisch und sozial.

Das "ökologische Grundgesetz" soll im Frühjahr Thema der ersten Veranstaltungen sein

Jenseits des großen Ganzen fänden sich Verbesserungsmöglichkeiten auch im praktischen Uni-Alltag. Ralf Ludwig erzählt, dass es ihn schon lange wurme, wie viel wissenschaftliches Knowhow verloren gehe, weil nach Abschluss jahrelanger Forschungsprojekte die Mitwirkenden einfach auseinandergingen. Um das Erforschte kümmere sich dann oft niemand, es bleibe weitgehend unbeachtet im Regal. Muss das sein?, fragt Ludwig. Man müsse die wissenschaftliche Erkenntnis hinterher auch kommunizieren und in die Öffentlichkeit tragen, das sei mit vergleichsweise wenig Geld machbar. Und das wäre dann eine Form der universitären Nachhaltigkeit, um das Rad nicht x-mal neu erfinden zu müssen.

Ans Kommunizieren wollen sie im MZN auch denken. Zum einen, um nachhaltiges Denken in die Gesellschaft zu tragen, um das dafür notwendige demokratische Handeln zu trainieren und um andere Wissenschaftler ins MZN einzuladen. Man habe in den Namen des Zentrums bewusst München aufgenommen, um zu signalisieren: Das Zentrum ist zwar an der LMU lokalisiert, man richte sich aber an Wissenschaftler und Forschende aller Hochschulen und an die Stadtgesellschaft.

Bald soll das MZN sichtbarer werden, mit öffentlichen Veranstaltungen, Ringvorlesungen, Workshops und Vorträgen. Den Anfang will man im Frühjahr mit der Verbindung von Nachhaltigkeit mit Demokratie machen, es soll um das "ökologische Grundgesetz" gehen.

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