"Les Miserables" am Münchner Gärtnerplatztheater:Freudenfest des Scheiterns

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Ein Erlebnis: das Musical "Les Misérables". (Foto: Ludwig Olah)

Nach seinem Vorspiel im Theater St. Gallen hat der Musical-Welterfolg "Les Misérables" in der Regie von Josef E. Köpplinger nun in München Premiere.

Von Egbert Tholl

Das war schon ein Erlebnis, an einem Sonntagnachmittag irgendwann im Januar in St. Gallen. Das frisch renovierte Theater dort ist ein grandioser Bau, von außen eine brutalistische und darum aufregende Trutzburg, im Inneren glitzert und blinkt es, was an diesem Nachmittag hervorragend zur aufgekratzten Stimmung des Publikums passte. Keine Premiere, die war schon Wochen vorher gewesen, aber Premierenatmosphäre. Ausverkauft, natürlich, und am Ende standen fast alle im Publikum, applaudierten begeistert.

Das ist bei dem Stück normal. "Les Misérables" von Alain Boublil und Claude-Michel Schönberg kam 1980 in Paris heraus, wurde von 1985 an in der bis heute gespielten, revidierten Fassung ein Welterfolg, lief jahrzehntelang in London und New York, ein paar Jahre in Duisburg und vielen anderen Orten. Nun kommt die Ko-Produktion aus St. Gallen nach München ans Gärtnerplatztheater (Premiere ist am Freitag, 22. März), wird dort auch immer voll sein, wodurch sich Kunstminister Markus Blume bestätigt sehen wird, dass es richtig gewesen sei, den Vertrag von Josef E. Köpplinger als Intendant des Gärtnerplatztheaters bis 2030 zu verlängern. Ein volles Haus ist für die Politik immer das beste Argument für personelle Entscheidungen. Und spielt man ein Erfolgsmusical, ist das Haus voll.

Köpplinger kennt das Stück gut. 2007 inszenierte er es in Graz, kaum war die Produktion dort abgespielt, wanderte sie Anfang 2009 weiter nach Klagenfurt. Damals wie heute stammte und stammt das Bühnenbild von Rainer Sinell. Nun ist Köpplinger sicherlich versiert darin, ältere, eigene Inszenierungen zu überdenken, sie auch in Nuancen zu überarbeiten. Im Fall von "Les Mis" ist da der Spielraum indes ohnehin begrenzt, da Cameron Mackintosh, Produzent der revidierten Fassung von 1985, über jede Inszenierung weltweit wacht und sogar bis in die Besetzung hinein mitredet. Mithin ähneln sich alle Produktionen des Werks sehr, das nennt man vermutlich Markenbewusstsein.

Die Musik lässt keinerlei Zweifel an der emotionalen Disposition aufkommen

Ähnlich markenbewusst arbeitet Rainer Sinell. Seine Bühnenbilder sind sehr funktionstauglich, mittels Drehbühne gelangen die Szenenübergänge in St. Gallen so rasant, dass einem fast schwindelig werden konnte. Aber irgendwie wirkte alles in seiner aseptischen Anmutung eigenartig und nicht unbedingt willkommen vertraut, es geht hier nicht um szenische Überwältigung, sondern um die Figuren auf der Bühne. Überwältigung leistet die Musik schon allein, nach dem Wiedersehen des Stücks in St. Gallen (nach Duisburg vor mehr als 25 Jahren) war man doch leicht verdattert, mit welcher Wucht diese, die Musik, keinerlei Zweifel an der emotionalen Disposition der Handelnden aufkommen lässt. Subtil klingt hier nichts, aber es wirkt.

Im Programmheft des Theaters St. Gallen erzählt Josef E. Köpplinger, dass sich für ihn die Psychogramme der Figuren geschärft hätten, er deren Heroismus noch stärker infrage stelle. In "Les Mis" - ein politisches, gesellschaftliches und liebesverschlungenes Tableau des 19. Jahrhunderts nach dem gleichnamigen Roman von Victor Hugo - gibt es eine lange Szene eines Barrikadenkampfes, Studenten und Arme scheitern mit der Revolte. Tatsächlich hatte man beim Besuch der Aufführung in St. Gallen den Eindruck, jeder Heroismus sei schal geworden, in Grunde wirkte es so, als gingen die, die eine Revolution ersehnten, im vollen Bewusstsein ihres Scheiterns in den Tod.

Das Stück dröhnt drei Stunden lang, und doch machten die Menschen auf der Bühne Freude. Einige von ihnen wird man nun in München wiedersehen, im Rahmen der Ko-Produktion sangen auch schon Ensemblemitglieder des Gärtnerplatztheaters in der Schweiz, andere kommen mit der Produktion mit. Gespielt und gesungen wird in Doppelbesetzung, und nach dem Erleben in St. Gallen freut man sich auf Daniel Gutmann und Wietske van Tongeren, auf Dagmar Hellberg, Jogi Kaiser oder Filippo Strocchi und ihre genau gezeichneten Charaktere.

Les Miserables, nächste Termine: Mi., 27. 3., Do., 28.3., Sa., 30.3., So., 31.3., jeweils um 19.30 Uhr, Staatstheater am Gärtnerplatz

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