Porträt:Den eigenen Weg finden

Lesezeit: 4 min

Lina Zylla vor zwei Jahren mit einer Installation im Hotel Mariandl in München. (Foto: Robert Haas)

Lina Zylla tritt als Klangmalerin in den Münchner Kammerspielen auf und ehrt damit auch ihren verstorbenen Vater.

Von Jürgen Moises

Du bist zu nah dran an der Kunst! Das hat man Lina Zylla damals im Kunstgeschichtestudium gesagt. Aber wie sollte es auch anders sein, wenn der eigene Vater Künstler ist. Wenn der Onkel Künstler ist. Und wenn auch die Großeltern künstlerisch aktiv waren. Da kommt man der Kunst wohl gar nicht aus. Wobei die Münchnerin ihre Großeltern gar nicht gekannt hat. Ihren Onkel Manfred sieht sie nur selten, weil er seit Jahrzehnten in Südafrika lebt. Auch ihr Vater Eckhard Zylla war viel unterwegs, vor allem in Italien, wo er sich am Gardasee, in Toscolano-Maderno, in einem kleinen Dorf oben in den Bergen ein Haus, ein Atelier, ein zweites Leben aufgebaut hatte. In Italien ist Eckhard Zylla Ende Mai nun auch mit 85 Jahren gestorben. Dort fand die Feuerbestattung und Zerstreuung der Asche statt. In München gab es diese Woche eine nachgezogene Gedenkfeier.

Eckhard Zylla in den 1980er-Jahren. (Foto: Frieder Köllmayer)

Als "ein feinsinniger Freund unseres kleinen Heimatlandes" wurde Eckhard Zylla auf Italienisch in einem Nachruf in der GardaPost gewürdigt. Als einen sehr offenen Menschen hat seine Tochter ihn erlebt. "Den konnte man an der Tankstelle absetzen und danach hat er die ganzen Leute gekannt", sagt die junge Künstlerin in ihrem angenehm kühlen Kelleratelier in der Baumstraße und lacht. Aber er war auch "dominant und laut. Da muss man sich schon durchsetzen lernen". Tatsächlich wollte er auch gar nicht, dass sie Kunst studiert. Wohl eher deswegen, weil er nach mehr als 50 Jahren Künstlerleben auch dessen Schattenseiten gekannt hat. Auch sie selbst dachte als Teenagerin: "Nee, um Gottes Willen, ich will niemals Künstlerin werden!" Aber dann kam es doch anders, wie man am 22. Juli bei der " Tam Tam Nacht der luziden Träume" in den Münchner Kammerspielen erleben kann.

Bei dieser "langen hypnagogen Nacht" werden "die Zustände zwischen Wachsein und Schlaf" erkundet. Es gibt DJ-Sets, Performances und Erzählungen. Auch Lina Zylla tritt dort nachts mit einer Klangperformance auf. Zu dieser "Nacht" gehört außerdem ein Buch, für das die beteiligten Künstler einen Traum beisteuern sollten. Lina Zyllas Traum handelt von ihrem Vater, und er sagt darin Dinge wie: "Ich bin doch gar nicht tot. Das muss alles rückgängig gemacht werden." Die Trauerarbeit, sie fließt hier in die Kunst ein. Auch ihre Performance "Years" im Münchner Werksviertel vor Kurzem hatte sie dem Vater gewidmet. Darin war er mit dem Satz "vor Jahren, als du noch Kind warst" zu hören.

Ihre frühesten Erinnerungen an den Vater? Dass sie auf seinem Schoß sitzt, während er zeichnet oder malt. Das kann in Italien, den USA, in Marokko, Istanbul oder Tunis gewesen sein, wo sie überall waren. Oder bei den Malausflügen, die er mit den Schülern seiner Kunstschulen unternahm, die er in München und Toscolano-Maderno gegründet hatte. Die kleine "Schlossgalerie" hatte der gebürtige Augsburger ebenfalls in München betrieben. Und dann waren da die gesellschaftskritischen Aktionen, die der Absolvent der hiesigen grafischen Akademie in München, bei der Kieler Woche oder in Kassel auf der Documenta 7 unternahm.

Bei letzterer ging es um Krieg und Frieden. Und dass ihm das Gesellschaftskritische bis hin zur Verausgabung wichtig war, hatte vielleicht, vermutet Lina Zylla, mit seiner Kindheit zu tun. Denn als Jahrgang 1937 hatte er noch den Zweiten Weltkrieg miterlebt, und seine Eltern waren nicht nur Künstler, sondern beide gehörlos. Sie hatten "Schwierigkeiten in der NS-Zeit, also hatte er auch Angst um sie". Dass seine Tochter keine politische Kunst macht, war in Gesprächen Thema. Und tatsächlich fand sie seine Aktionen früher oft "zu plakativ". Darüber hätten sie auch "viel gestritten". Als das Gespräch zufällig auf Corona, die Ukraine und die Zerstrittenheit linker Gruppierungen kommt, merkt man aber, dass sie politische Themen durchaus sehr interessieren.

Nur fließt das nicht direkt in ihre Kunst ein, zu der sie ebenfalls über einen Umweg fand. Denn studiert hatte sie zunächst Kunstgeschichte, Kunstpädagogik und Psychologie in München. Dort machte sie aber auch praktische, künstlerische Seminare, merkte, dass ihr das Malen doch sehr gefällt, bis hin zum Entschluss, dass sie entgegen dem Rat ihres Vaters das mit dem Kunststudium probieren will. Sie wurde an der hiesigen Kunstakademie genommen, landete bei Günther Förg, wie ihr Vater ein eher klassischer Maler. "Aber irgendwann war mir klar, dass es doch mehr in den Raum gehen muss." Sie wechselte zu Florian Pumhösl in die Bildhauerei-Klasse, fing an, "viel zu experimentieren" und landete per Zufall beim Medium Glas, das sie seitdem mit ihrer Malerei zu Installationen kombiniert.

Der Sound kam erst gegen Ende ihres Studiums vor etwa zwei Jahren dazu. "Weil ich dachte: Irgendwie will ich Narrative reinbringen", in die bis dahin rein abstrakte Kunst. Sie hat sich in dieses Thema "nerdig reingedacht". Hat Leute wie Ulli Linzen, den Pianisten der legendären Band Amon Düül II, kennengelernt. Der sagte: "Er lernt mir jetzt einfach Tontechnik." Simon Kummer, Schlagzeuger und Künstler, zeigte ihr ein Musikprogramm. Und Künstlerinnen und Veranstalter wie Steffi Müller oder das Tam-Tam-Team luden sie zu ihren musikalisch-theatralischen Aktionen ein.

Als Musikerin sieht sie sich deswegen nicht, wenn sie bei ihren Performances ihre Stimme aufnimmt, loopt und moduliert und wie im Fall der "luziden Träume" etwa mit in Istanbul aufgenommen Klängen kombiniert. Stattdessen sieht sie sich immer noch als Malerin, die ihre Stimme wie "einen Pinsel" nutzt und wie bei ihren Gemälden oder Objekten Dinge übereinander schichtet. Als Malerin und Performerin ist sie, das merkt sie jetzt, dann doch sehr nah bei ihrem Vater, der am Ende, wie sie sagt, doch stolz auf sie war. Nur dass sie diesem "Erbe" eine andere, neue Richtung gibt. Wie genau, das kann man wie gesagt nun in den Kammerspielen sehen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: