Analoge Lichtshows:"Wir sind Visualisten"

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Ein Meer aus Licht und Farbe: "Kreuzer Lichtmaschine" schaffen bei Konzerten live neue Erlebniswelten. (Foto: Fabian Beger)

Lucien Lietz und Leonard Will produzieren als "Kreuzer Lichtmaschine" live aufwendige analoge Lightshows und beleben damit eine alte Kunstform neu.

Von Anna Weiß, München

Farben fließen ineinander und verwandeln den Konzertraum in eine blau-grüne Welt, gold-gesprenkelte Bläschen rauschen über einen irisierenden Hintergrund, die Farbwelt ändert sich schlagartig in ein kräftiges Rot. Zerkratze Ornamente bilden nun die Basis, darüber unentwegt Stroboskopeffekte, die sekündlich variieren - in diese visuelle Überdosis getaucht spielt im Münchner Import Export die Krautrock-Gruppe Karl Hector & The Malcouns Ende Dezember ein Konzert, im Anschluss wird das Bandprojekt Hodogaya sein Live-Debüt geben. Ein Abend voller psychedelischer Musik - doch das Hörerlebnis gewinnt durch die live produzierte, analoge Lightshow an Intensität.

Für die ist das Duo Kreuzer Lichtmaschine verantwortlich: Leonard Will und Lucien Lietz stehen hinter ihrem Arbeitsplatz aus Kästen, auf dem zwei Overheadprojektoren (OHPs), zwei Diaprojektoren und zwei 8-mm-Filmprojektoren platziert sind. Lietz kippt Farben in Schalen und schwenkt diese über dem OHP, arbeitet mit Utensilien, Will bedient die Projektoren, beide lassen ihre Hände rhythmisch vor den Leuchtmitteln tanzen. Das Duo hat sich einer Kunstform verschrieben, die in den 1960er-Jahren entstanden ist: Bei Konzerten von Bands wie Jefferson Airplane und Pink Floyd wurden mit Öl und Wasser, Projektoren und selbstgebauten Maschinen psychedelische Lichteffekte erzeugt, die auf die Musik abgestimmt neuartige Erlebniswelten schufen, welche bekannte Formen der Wahrnehmung sprengen sollten. Diese Kunstform sollte nicht nur Konzerte revolutionieren, sondern auch die Gesellschaft.

"Kreuzer Lichtmaschine", das sind Lucien Lietz (links) und Leonard Will. (Foto: Fabian Beger)

Der 30 Jahre alte Lucien Lietz ist Grafiker, der 29-jährige Leonard Will studiert Kunst. Beide sitzen in Lietz' Atelier im Glockenbachviertel und erinnern sich an die Anfänge von Kreuzer Lichtmaschine, bei denen die Öl-Wasser-Experimente noch nicht abzusehen waren. 2015 war das, in der Münchner Subkultur-Enklave Café Kult. Will unterlegte ein Konzert der Band Karaba mit einer Diashow seiner eigenen Fotos. Beim nächsten Mal waren auch sein Schulfreund Lucien Lietz, ein OHP und ein Schlagzeugfell im Raum - und eine Idee. "Wir haben da die Küche leergeräumt", sagt Will. Die beiden kippten Sojasoße und Rote-Bete-Saft in das Schlagzeugfell, das sie auf den OHP legten. "Da haben wir krasse Effekte erzielt, die wir so nie wieder hinbekommen haben", sagt Will. Dann bewährten sich Murmeln, Prismen, Kristallglasschüsseln, Farben auf Wasser- oder Ölbasis sowie weitere Flüssigkeiten zum Erzeugen chemischer Reaktionen.

Alle Ideen entstehen aus dem Moment heraus, deshalb ist ihre Kunstform auch so vergänglich

Viele Ideen entstanden durch das Herumexperimentieren während ihrer Lightshows: "Das ist das Schöne und das Böse an den Improvisationen, dass nicht immer das gleiche rauskommt", meint Will. Die Kunst von Kreuzer Lichtmaschine liegt in ihrer Spontanität. "Wir nehmen aktiv an den Konzerten teil", sagt Lietz. Die beiden reagieren situativ auf die Musik, passen Farben, Muster, Bilder auf die Sounds an. Als Kreuzer Lichtmaschine bewegen sie sich hauptsächlich im psychedelischen Genre, früher waren sie Punks und frönen diesem Lebensgefühl heute als Musiker mit ihren brachialen "Eintagsbands", die sie für ein Konzert gründen und dann wieder auflösen. Die Vergänglichkeit ist auch ein zentrales Element der Lightshows, die durch ihren spontanen Ablauf und das Zusammenspiel von Musik und Licht einzigartig werden.

Die Zutaten sind vielfältig bei "Kreuzer Lichtmaschine", Hauptsache der Effekt stimmt. (Foto: Fabian Beger)

Bekannt wurde Kreuzer Lichtmaschine 2018, als sie für die Konzertreihe "Behind the Green Door" engagiert wurden, bei der lokale Kraut- und Psych-Rock-Bands wie Embryo und internationale wie Kikagaku Moyo aus Japan spielen. Die Dias findet das Duo über Kleinanzeigen. Für Will entsteht der psychedelische Effekt in der Verfremdung: "Man erwartet bei so einer Veranstaltung Bilder einer Jugendstil-Tänzerin, und nicht von einer Omi, die Kuchen schneidet", sagt er und schüttelt den Kopf "wenn die Leute wüssten, was wir mit ihren Großmüttern machen"! 2019 war das erfolgreichste Jahr für das Duo, einer der größten Aufträge war ein Konzert im Berliner Tempodrom, bei dem Lietz und Will die Grenzen ihrer Leuchtmittel ausreizen mussten. "Die Leute vergessen, dass wir mit einem kleinen Bus voller Equipment ankommen und nicht mit Macbook und Beamer", sagt Lietz. Um der Größe des Saals gerecht zu werden, mussten sie die Lichtstärke anpassen. Analoge Lightshows sind Handarbeit. Woher kommt die Liebe zu dieser Form? "Das Analoge ist viel weicher und organischer als eine Beamerprojektion", findet Will.

Das Duo möchte sich weiterentwickeln, mit selbstgebauten Leuchtmitteln experimentieren, doch dafür braucht es Platz: Es gibt kaum bezahlbaren Proberaum in München, zudem spielen sie oft in kleinen Clubs, in denen sie mit ihrem Aufbau limitiert sind. "Wir wollen aus den gängigen Konzert-Venues raus", sagt Will. Sie haben Lust, an Theaterproduktionen mitzuwirken.

Lietz und Will kennen sich schon ihr halbes Leben, das wirkt sich auch auf ihren Arbeitsmodus als Kreuzer Lichtmaschine aus- oft wortlos arbeiten sie miteinander und mit den Künstlern auf der Bühne. "Wenn wir künstlerisch was zusammen machen, klappt das", sagt Lietz.

So auch bei dem Konzertabend im Import Export. Lietz kneift die Augen zusammen, Will den Mund, die Posaune setzt ein und die Bildwelt kippt mit den warmen Tönen in eine schwelgerische Fülle. Wie funktioniert das? "Wir sind Visualisten", sagt Lietz und fasst trocken zusammen: "Wir machen die Scheinwerfer an, improvisieren, machen die Scheinwerfer aus, wiedersehen."

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