Impfzentrum im Gasteig:Nach 734 Tagen ist Schluss

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Entspannte Atmosphäre: Am letzten Tag ist nicht viel los im Impfzentrum im Gasteig. (Foto: Florian Peljak)

Gut zwei Dutzend Menschen nehmen an Silvester noch die Chance wahr, sich gegen Covid-19 immunisieren zu lassen. Zum Jahresende hat im Gasteig die letzte der städtischen Einrichtungen zugesperrt. Ein Abgesang.

Von Anita Naujokat

Es wäre die beste Idee für Impfwillige gewesen, sich noch am letzten Tag des alten Jahres die Spritze im letzten geöffneten städtischen Impfzentrum im Gasteig geben zu lassen, bevor es mittags die Pforten schloss. Keine Warterei, eine angenehme, entspannte Atmosphäre - Chefarztbehandlung inklusive.

Denn diese Stunden im Impfzentrum sind auch für die Mitarbeiter etwas Besonderes, sie sind noch einmal alle in ihrer letzten Wirkungsstätte zusammengekommen: Philip Kampmann, Hausarzt, Chefarzt der Aicher Ambulanz und Ärztlicher Leiter der städtischen Impfzentren, und seine Stellvertreter, sein Praxiskollege Felix Jonas und Johann Wilhelm Weidringer, der eigens für die Impfkampagne seinen Ruhestand unterbrochen hat. Von dem Experten-Trio profitiert Bernhard Galler. Der 55-Jährige ist wegen der starken Covid-Infektionswelle in China beunruhigt. "Deswegen habe ich die Chance genutzt, um unkompliziert noch an eine vierte Impfung zu kommen", sagt er.

Unter Kontrolle: Nach dem Piks warten die Impflinge wie immer ein paar Minuten, ob sich Nebenwirkungen zeigen. (Foto: Florian Peljak)

Eliot, begleitet von Papa, Mama und Geschwisterchen, steht noch etwas skeptisch blickend vor den weißen Impfkabinen, hat aber schon Erfahrung. Für den Siebenjährigen ist es die dritte Impfung. Bilder von Einhorn, Zauberpferd, Elefant, Oktopus oder Zebra über den Eingängen erinnern noch daran, dass im Gasteig anfangs für fast vier Monate ausschließlich Kinder und Jugendliche geimpft worden sind. Als die Landeshauptstadt München das Zentrum in Riem auflöste, konnten seit April dieses Jahres auch Erwachsene zum Impfen dorthin kommen. Am Samstag ist Eliot das einzige Kind dort.

Kindgerecht: Bilder von Einhorn und Zauberpferd über den Kabinen erinnern daran, dass im Gasteig anfangs nur Kinder und Jugendliche geimpft wurden. (Foto: Florian Peljak)

Für den letzten Tag tragen alle - von den Ärzten bis hin zu den Hallenassistenten und Koordinatoren - eigens angefertigte T-Shirts mit allen auf der Rückseite aufgedruckten Stationen der wohl einzigartigsten Impfkampagne dieser Zeit. Kampmann hat deren Wandel an den 734 durchgehenden Impftagen am eigenen Leib erfahren. Die Schlangen vor den Messehallen, die Priorisierungsphasen, als nur Menschen bestimmten Alters, bestimmter Berufe und Immungeschwächte geimpft werden durften. Die Notwendigkeit, den gesetzlichen Bestimmungen zu entsprechen und dennoch human zu bleiben, den hohen Dokumentationsaufwand.

Stationen einer Impfkampagne: Vom 27. Dezember 2020 bis zum 31. Dezember 2022 wurde in München durchgehend geimpft. (Foto: Florian Peljak)

"Es war immer Druck für die Ärzte da", sagt er, "den Mittelweg zu finden, um so menschlich wie möglich zu sein, aber die Vorgaben einhalten zu können." Anfangs seien pro Impfung acht Unterschriften nötig gewesen. "Wir sind uns fast wie eine Vollzugsbehörde vorgekommen." Der erste Impftag in München war der 27. Dezember 2020, insgesamt gab es 734 durchgehende Impftage, mehr als 1,3 Millionen verabreichte Dosen. Spitzentag sei mit 9511 Impfungen der 16. Mai 2021 gewesen, kurz vor Ende der Priorisierung. 20 mobile Teams seien draußen gewesen, 120 Kabinen hatten in den zwei großen Messehallen in Riem geöffnet. "Es waren Tage, wo wir selbst Hamburg überflügelt haben." Hamburg, das mit München zusammen die Liste der größten Impfzentren angeführt hat.

Starkes Team: Chefarzt Philip Kampmann und Sophie Stegmann, die organisatorische Leiterin des Impfzentrums. (Foto: Florian Peljak)

Er habe "in alle Höhen, aber auch Tiefen der menschlichen Seele geblickt", sagt Kampmann. Die Einschleicher und Vordrängler, die für eine Spritze angeblichen "Pflegerinnen" und "Pfleger" der alten Tante oder des Großvaters. "Gäbe es plötzlich so viele, die sich privat kümmerten, bräuchten wir keine Pflegekräfte mehr", sagt Kampmann. Impfpassfälscher, bei denen auch die Polizei eingeschaltet werden musste. Sophie Stegmann, nach Riem bis zuletzt Leiterin für Organisatorisches im Impfzentrum im Gasteig, habe das Dutzende Male vor Gericht bezeugen müssen.

Was Kampmann aber auch besonders freut: Es habe bei keiner einzigen Rückmeldung einen negativen Kommentar über das Personal gegeben. Im Gegenteil: Auch bei kritischen Anmerkungen habe es geheißen, dieses aber sei äußerst freundlich gewesen. Und da gab es noch die Anfrage des Deutschen Museums - seit er Münchner Bub war, immer schon eine Institution für ihn. Das Museumsteam sei auf sie zugekommen, ob sie die ersten Impffläschchen für ihren Fundus haben dürften - für eine eventuelle Ausstellung über die Pandemie. Durften sie. Sie hätten einen ganzen Karton davon erhalten, sagt Kampmann. "Letztlich ist die Pandemie ja auch ein historisches Ereignis."

Geringer Andrang: Zwei der zehn Schalter für das Erstgespräch sind am Samstag noch geöffnet. (Foto: Florian Peljak)

Zwei der zehn Check-in-Schalter für das Erstgespräch sind im Kulturzentrum Gasteig am Samstag noch geöffnet. Mehr braucht es nicht. Die Atmosphäre ist mehr als entspannt, fast schon zum Wohlfühlen. Tröpfelweise treffen Menschen ein, so viel Zeit für jeden Einzelnen dürfte es zuvor nie gegeben haben. Waren am Freitag noch 71 da, werden es bis kurz vor Schluss am Silvestertag rund 30 sein. Kampmann hätte keine Prognose gewagt: "Ich habe mit allem gerechnet. Ich wäre nicht erstaunt gewesen, wenn niemand gekommen wäre oder wir überlaufen worden wären."

Für Elisabeth de la Rambelje-Lorenz ist es die fünfte Impfung. Sie sei bisher nicht gegen die Omikron-Variante geimpft und wisse nicht, ob Hausärzte genug Impfstoff dagegen hätten, sagt sie, frohgemut auf dem Weg Richtung Kabine zehn.

Von dort stürmt Felix Jonas kurz vor Schluss fast enthusiastisch heraus. Einer seiner letzten Impflinge sei ein wahrer Experte gewesen, berichtet er. Dem habe er nichts zu sagen brauchen. Der habe sich mit sämtlichen Studien ausgekannt und sich als Entwickler einer Covid-19-App herausgestellt.

Sperrstunde: Die Schiebetüren zum Impfzentrum werden am Silvestertag das letzte Mal geschlossen. (Foto: Florian Peljak)

Der Sekt, natürlich alkoholfrei, ist schon kaltgestellt. "Wir müssen ja noch heimkommen", sagt Kampmann. Wehmut oder Freude, dass es vorbei ist? "In meiner Brust schlagen zwei Herzen", sagt der Mediziner Kampmann. Zum einen freue er sich, wieder mehr Zeit für Familie, Freunde und die Praxis zu haben, zum anderen sei er traurig, weil ihm die Arbeit Spaß gemacht habe, die Teams so großartig gewesen seien. Sein Kollege Jonas sagt, Wehmut sei immer dabei, auch wegen der tollen Leute, aber die Arbeit habe auch Kraft gekostet. Es sei aber auch eine große Bereicherung gewesen, in vielerlei Hinsicht, mit Themen wie Impfstoffe, Einblicke in die Politik, Bestellungen, Mitarbeiterführung - "ein Arbeiten unter dem Deckmantel der Zusammenarbeit und nicht der Konkurrenz". Sophie Stegmann kann es eigentlich noch immer nicht richtig fassen: "Es ist einfach unwirklich. Ich habe noch nicht so richtig realisiert, dass sich die Tür schließen und nicht mehr öffnen wird." Letztlich zeigen sich aber alle froh darüber, dass der Anlass für all das vorbei ist. Am liebsten würde man mitfeiern.

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