Hilfe für Ukraine-Geflüchtete:"Jeden Tag 1000 neue Plätze"

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Helfer nehmen Geflüchtete am Münchner Hauptbahnhof in Empfang. Auf dem Bahnsteig verteilen sie Lutscher und Müsliriegel an die vielen Kinder, die ankommen. (Foto: Florian Peljak)

Etwa 2500 Ukrainer kommen am Wochenende in München an - viele von ihnen in einem Sonderzug. Um alle unterzubringen, steht nun auch eine Messehalle in Riem bereit. Doch das wird kaum reichen.

Von Catherine Hoffmann und Andrea Schlaier

Fünf Tage war Natalia unterwegs. Als in ihrer ukrainischen Heimatstadt die ersten Bomben fielen, packte sie ihre Sachen und machte sich mit ihren beiden Kindern und dem Hund auf den Weg Richtung Westen. Mit dem Auto, dem Bus und dem Zug rettete sie sich von Nikolaev, einer Stadt im Süden des Landes, nach Polen und reiste über Wien weiter nach Deutschland. Zurückgelassen hat sie ihren Mann, der Soldat ist. Wenigstens hat sie Kontakt zu ihm: "Ich kann mit ihm telefonieren."

Am Samstagabend sitzt Natalia, die in ihren vollen Namen nicht nennen möchte, im Foyer des Hotel Regent nahe des Münchner Hauptbahnhofs. Dort werden die Geflüchteten, die in immer größerer Zahl ankommen, von der Stadt und den Münchner Freiwilligen empfangen und beraten. Wer keine Anlaufstelle in München hat, den bringt die Freiwillige Feuerwehr in eine der eilig geschaffenen Notunterkünfte. Für Natalia und ihre Kinder soll es nur eine Zwischenstation sein: sie wollen weiterreisen in die USA zu Natalias Schwester.

Knapp 1500 Geflüchtete sind dem Krisenstab der Stadt zufolge am Samstag in München angekommen. Zwischen Mitternacht und Sonntagfrüh waren es noch einmal gut 1000, darunter 400 Menschen in einer Bahn, die künftig täglich zwischen Österreich und München pendeln soll. "Wer am Samstag nach 18 Uhr angekommen ist, wurde in die Messe nach Riem gebracht", sagt eine Sprecherin des städtischen Stabs. Dort stehen seit Samstag 1500 zusätzliche Plätze bereitet.

Mit Natalia und ihren Kindern ist am Samstagabend auch Alex Dworaczek aus dem Zug gestiegen, 22 Stunden nachdem er mit 1500 vom Krieg vertriebenen Menschen in Warschau gestartet ist. Mit zerzaustem Haar und Ringen unter den Augen steht der 47-Jährige an Gleis 26, ganz vorne bei der Lok mit den ukrainischen Farben. Er ist Geschäftsführer der Rail Adventure, einem Münchner Dienstleistungsunternehmen für die Bahnindustrie, das den Sonderzug als Hilfsaktion organisiert hat.

Er sei überrascht gewesen, dass etliche Fahrgäste gar nicht nach München wollten. "Viele wollten lieber nach Berlin oder in Städte in der Nähe von Polen, nicht so weit weg von der Ukraine", erzählt Dworaczek. Sie hofften, bald wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können. Bei Zwischenstopps in Frankfurt/Oder, Braunschweig und Würzburg seien mehrere Hundert Passagiere ausgestiegen.

Wie viele Passagiere letztlich bis München gefahren sind? Schwer zu sagen. Die Münchner Polizei spricht am Sonntag von gut 400 Menschen, überwiegend Frauen und Kinder. "Das Leid und die Schicksale, von denen wir erfahren haben, haben uns tief beeindruckt", sagt Dworaczek.

Überwältigend sei auch die Hilfsbereitschaft, die sie unterwegs erlebt hätten. "In Posen reichten Menschen den Vorbeifahrenden nachts um 3 Uhr gestrichene Brote in die Züge", erzählt der Unternehmer. "Auf dem Streckennetz durften wir andere Züge überholen, weil man den Geflüchteten nicht eine noch längere Reise zumuten wollte." Viele seien im Zug vor Erschöpfung eingeschlafen. Sie bräuchten jetzt vor allem Ruhe und ein Bett.

Auch an diesem Wochenende demonstrieren wieder viele Menschen für den Frieden und entfalten zum Zeichen der Freundschaft mit den Geflüchteten eine ukrainischen Flagge. (Foto: Florian Peljak)

Auf der Suche nach Schlafplätzen für die vom Krieg Vertriebenen ist auch private Hilfe willkommen. Am Samstag kommt sie zum Beispiel in Person von Anton Dettenrieder und seiner Tochter Sylvia, die zum Regent Hotel fuhren, um geflüchteten Ukrainern ein WG-Zimmer für die nächsten Monate anzubieten. "Es zerreißt einem das Herz, wenn man die Bilder aus der Ukraine sieht. Wir wollen helfen", sagt Sylvia Dettenrieder. "Auf die Mieteinnahmen können wir schon mal verzichten." Anton Dettenrieder sagt: "Die Leute tun uns leid, mit denen Putin so verbrecherisch umgeht." Es ist nicht das erste Mal, dass die beiden Geflüchtete aufnehmen. Wer Ukraine-Flüchtlingen eine temporäre Unterkunft anbieten will, kann sich beim Verein "Münchner Freiwillige" im Internet melden.

"Wir versuchen einen Puffer bei den Unterkünften zu schaffen, jeden Tag 1000 neue Plätze" sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter am Samstag bei seinem inzwischen täglichen Besuch im Hauptbahnhof. In der Nacht zum Samstag kam vorübergehend Missstimmung auf, als weniger Notunterkünfte von der Feuerwehr geöffnet wurden als ursprünglich geplant. Die Münchner Freiwilligen hatten Ehrenamtliche organisiert, die deshalb vor verschlossenen Türen standen. Ein Sprecher des Vereins versucht, die Wogen zu glätten: "Dass es in einem Katastrophenfall Schwierigkeiten gibt, ist völlig normal."

In der einstigen Schalterhalle des Hauptbahnhofs hat die Caritas eine erste Anlaufstelle für die vielen Geflüchteten aus der Ukraine eingerichtet. (Foto: Stephan Rumpf)

An der zentralen Anlaufstelle der Caritas in der Schalterhalle des Hauptbahnhofs, wo Eintopf und Schokoriegel als erste Stärkung verteilt werden, wimmelt es auch am Wochenende vor Unterstützern. Natalia Ostrovska, 31, aus der Ukraine stammende Unternehmensberaterin, und Kirill Glyzin, 35, russischstämmiger Software-Entwickler, sind vor zwei Wochen erstmals privat zum Hauptbahnhof gekommen, um ihre Hilfe anzubieten. Seither haben sie sich mit 800 Münchnern, die aus der Ukraine, Russland und Belarus stammen, vernetzt, um dringend benötigte Dolmetscherdienste anzubieten. Andere kommen spontan vorbei und bringen Lebensmittel. Eine Mutter verteilt mit ihrer Tochter frisch gebackene Muffins - auch wenn das die Hygieniker unter den amtlichen Kräften nicht gern sehen.

Auf Stadt und Regierung von Oberbayern kommen in den nächsten Tagen große Aufgaben zu: Allein am vergangenen Freitag seien rund 1000 Menschen vor dem Amt für Wohnen und Migration in der Werinherstraße angestanden, erzählt eine Mitarbeiterin der Stadt, die am Wochenende im Regent Hotel Geflüchteten hilft. Tausende Menschen hätten Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz. Im Hotel liegen Informationsblätter des Sozialreferats aus, "Help with AsylbLG" steht darauf. Ukrainerinnen und Ukrainer, die in München gestrandet sind, können Bargeld, Kleidung und Hilfen bei Krankheit erhalten, wenn sie nicht selbst über ausreichend Geld oder eine Krankenversicherung verfügen. Zudem werden alle, die ankommen, gebeten, sich bei der Regierung von Oberbayern per E-Mail anzumelden. Dort will man den Überblick behalten, wer in den kommenden Tagen und Wochen vielleicht noch Unterstützung braucht.

Viele Fragen sind noch offen: Wie kann man Schulunterricht für die Kinder und Jugendlichen organisieren? Wer darf arbeiten? Was ist beispielsweise mit geflüchteten Studenten, die aus Drittstaaten kommen? Auch den Helfern fehlt es oftmals an Informationen.

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