Flüchtlingsversorgung am Hauptbahnhof:"Es fehlt faktisch an allem: vom Strom über Toiletten bis zur Schlafgelegenheit"

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Nach harscher Kritik an der Stadt soll sich die Situation für ankommende Flüchtlinge in München nun verbessern. (Foto: dpa)

Kriegsflüchtlinge übernachten auf dem Boden im Bahnhof, weil die Feldbetten überfüllt sind, Helfer kritisieren chaotische Zustände. Die Stadt plant nun ein Willkommenszentrum.

Von Thomas Anlauf

Zwei Wochen nach Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine will die Stadt in der Nähe des Hauptbahnhofs ein Willkommenszentrum in Zusammenarbeit mit Hilfs- und Freiwilligenorganisationen einrichten. Bislang gibt es im Bahnhof lediglich einen Infostand der Caritas sowie die Bahnhofsmission, die vorübergehend auch eine Halle mit einhundert Feldbetten für den Notfall betreut. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hat sich am Mittwoch nach massiver Kritik am Hauptbahnhof informiert, wie die Hilfsangebote für Geflüchtete besser koordiniert werden können.

Reiter hat mit allen Akteuren einen ganzen Maßnahmenkatalog beschlossen: Es wird eine Meldekette eingerichtet, über die Bundespolizei und Bahn die Stadt laufend über die Zahl ankommender Geflüchteter informiert. Am Hauptbahnhof wird ein professionelles Catering organisiert, außerdem sollen am Infopoint städtische Mitarbeiter die Caritas-Helfer unterstützen. Künftig werden auch kostenlose Shuttlebusse eingesetzt, mit denen die Menschen vom Bahnhof in die Notunterkünfte gelangen können und nicht umständlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren müssen.

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In unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof soll ein Willkommenscenter entstehen, in dem Geflüchtete informiert und versorgt werden und auch übernachten können, bis sie in ihre Unterkunft ziehen. "Ich werde nicht akzeptieren, dass Menschen, die aus einem Kriegsgebiet flüchten konnten und eine Reise von vielen Stunden hinter sich haben, bei uns am Bahnhof auf dem Boden schlafen müssen - obwohl es eigentlich noch Bettenplätze gegeben hätte. Das darf sich nicht wiederholen", sagte Reiter am Mittwoch nach seinem Besuch.

Die Menschen sind verzweifelt, hungrig, erschöpft

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Am Hauptbahnhof kommen fast im Stundentakt Menschen aus der Ukraine an, vor allem Mütter mit Kindern. Doch manche Minderjährige werden offenbar auch mit anderen Begleitern von ihren Eltern auf die Flucht vor dem Krieg geschickt.

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"Leider ist oft nicht klar, wie viele Menschen aus der Ukraine nachts noch am Hauptbahnhof ankommen. Wir erhalten keine verlässlichen Zahlen dazu. Nachdem nicht alle Menschen mit dem Zug aus der Ukraine zu uns kommen, sondern viele auch mit Pkw und privat organisierten Kleinbussen, wird die Situation auch etwas unkalkulierbar bleiben", betonte Reiter. Es sei aber klar, dass die nötigen Strukturen und ein gut koordiniertes Ankunftszentrum schneller aufgebaut werden müssten.

Die Caritas warnte vor untragbaren Zuständen am Hauptbahnhof und verlangte unbürokratische, schnelle Lösungen für die Unterbringung der Geflüchteten, die in immer größerer Anzahl ankämen. "Wir brauchen für unsere unbürokratischen Direkthilfen dringend mehr Unterstützung aus der Politik", sagte Vorständin Gabriele Stark-Angermeier. Die gesundheitliche Versorgung, etwa mit Corona-Testzentren und Quarantäne-Stationen für erkrankte Ankömmlinge, müssten schnellstens aufgebaut werden.

Viele Menschen sind vor dem Krieg in der Ukraine nach Bayern geflüchtet. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Innerhalb von 24 Stunden seien zuletzt 1200 Geflüchtete am Info-Point der Caritas versorgt worden. Die nachgelagerte Logistik müsse aber dringend besser aufgestellt werden, damit die ankommenden Kriegsflüchtlinge gut weiter verteilt und betreut werden könnten. 2000 zusätzliche Bettenplätze würden gebraucht. Stark-Angermeier schlug vor, Messehallen anzumieten und den Katastrophenschutz einzuschalten. Die Schlafplätze und Ruheräume rund um den Hauptbahnhof wie das Feldbettenlager der Bahnhofsmission, das Luisengymnasium mit 250 Betten oder die frühere "L'Osteria"-Filiale mit 100 Feldbetten seien überbelegt. Der Bahnhof sei voller Flüchtlinge, vor allem Frauen und Kinder, so Stark-Angermeier. "Die meisten sind verzweifelt, hungrig und erschöpft und wissen überhaupt nicht, wohin in ihrer Not."

Ein gemeinsames Vorgehen war bisher nicht erkennbar

Trotz der Anstrengung von Freiwilligen, Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden war eine Koordination und ein gemeinsames Vorgehen zur Bewältigung der Herausforderungen mit den Geflüchteten aus der Ukraine bislang nicht wirklich erkennbar. "Es ist ganz wichtig, dass es keine Parallelstrukturen gibt und dass Informationen von Behörden an Helfende richtig fließen", sagt Andrea Betz, Vorständin der Diakonie München und Oberbayern. "Wir müssen das noch verbessern."

In München sei zwar "in einer unglaublichen Geschwindigkeit in den Krisenmodus geschaltet worden", aber alle Beteiligten müssten sich darauf vorbereiten, dass "wir noch ganz lange durchhalten". Deshalb unterstützt die Diakonie nun auch insbesondere Helferinnen und Helfer des Kulturzentrums Gorod, der Ukrainischen Freien Universität und andere Organisationen mit Beratungsangeboten.

Der Zuzug von Menschen nach Bayern, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind, schlägt in der Bevölkerungsstatistik besonders stark zu Buche. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Auch die ehrenamtlichen Helfer des Vereins "Freiwillige München", die im Auftrag der Stadt seit Tagen Zimmer und Wohnungen für Geflüchtete suchen, lobt die Diakonie-Vorständin. "Diese Unterbringung in Privatquartiere ist Gold wert." Innerhalb weniger Tage konnten mehr als eintausend Unterkünfte an Geflüchtete vermittelt werden.

Betz fordert, dass nun auch dringend in Integrationsmaßnahmen investiert werden müsse: Es brauche eine deutliche Ausweitung von Sprachkursen für Kinder und Erwachsene. "Jeder Tag, an dem sie kein Sprachtraining haben, ist ein verlorener Tag", so Betz. Die Flüchtlings- und Migrationsberatung müsse deutlich ausgebaut und vom Freistaat zu hundert Prozent staatlich finanziert werden.

"Dass Menschen auf dem Bahnhofsboden schlafen müssen, ist beschämend"

In den vergangenen zwei Tagen, seitdem die Diakonie eine städtische Telefonhotline für Ehrenamtliche und Geflüchtete eingerichtet hat, habe es bereits mehr als 500 Anfragen gegeben. "Die Hotline sehen wir auch als Frühwarnsystem, welche Probleme es gibt."

Seit Tagen war die Kritik an untragbaren Zuständen am Hauptbahnhof gewachsen. "Es fehlt faktisch an allem: vom Strom über Toiletten bis zur Schlafgelegenheit. Dass Menschen, die vor dem Bombenhagel in ihrer Heimat fliehen mussten, in unserer Landeshauptstadt auf dem Bahnhofsboden schlafen müssen, ist beschämend und muss sich umgehend ändern", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Freien Wähler im Landtag, Fabian Mehring, der Deutschen Presse-Agentur. Auch er hatte sich zuvor am Bahnhof ein eigenes Bild über die Situation gemacht.

"Während Corona haben wir in Bayern erfolgreich Leben gerettet und die Menschen in unserer Heimat gut beschützt. Das dabei formulierte Credo vom "Whatever it takes" muss jetzt auch für diejenigen Menschen gelten, die durch Putins Überfall der Ukraine unbeschreibliches Leid erfahren und bei uns Hilfe suchen", betonte Mehring. Dies wünschten sich nicht zuletzt auch die Menschen in Bayern, die derzeit eine gigantische Welle der Hilfsbereitschaft auszeichne. Die aktuelle Lage am Münchner Hauptbahnhof werde dem Anspruch leider nicht gerecht. "Angesichts der Erfahrungen aus 2015 darf es nicht abermals passieren, die gigantische Solidarität der Bürgerinnen und Bürger durch politisches Chaos zu torpedieren und die Stimmung zum Kippen zu bringen", sagte Mehring. Dazu müsse auch die Landeshauptstadt München "ihr Scherflein beitragen, die derzeit leider weit hinter dem Organisationsgrad anderer Städte und dem Anspruch der Menschen in Bayern zurückbleibt".

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