Geflüchtete aus der Ukraine:Hunderte Minderjährige sind in München gestrandet

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Eine Frau mit ihrem Baby wartet vor einer Flüchtlingsungerkunft in München auf Einlass. (Foto: dpa)

Am Hauptbahnhof kommen fast im Stundentakt Menschen aus der Ukraine an, vor allem Mütter mit Kindern. Doch manche Minderjährige werden offenbar auch mit anderen Begleitern von ihren Eltern auf die Flucht vor dem Krieg geschickt.

Von Thomas Anlauf

Zwei Kinder harren auf einer blauen Reisetasche aus, während ihre Mutter über ihr Handy versucht, neue Informationen zu finden in dieser fremden Stadt. Ein junger Mann beißt gierig in einen Apfel nach seiner tagelangen Flucht aus dem mörderischen Krieg in der Ukraine. Etwa 80 Menschen, darunter ein Dutzend Kinder, stehen in der ehemaligen Schalterhalle des Münchner Hauptbahnhofs, um von Helfenden der Münchner Caritas erste Informationen zu erhalten, wie es für sie weiter gehen könnte. Abseits von ihnen steht ein kleiner Bub und streichelt traurig die abgewetzte Pfote einer Löwenskulptur.

Fast im Stundentakt kommen nun Dutzende Menschen auf der Flucht vor dem Krieg am Münchner Hauptbahnhof an, meist sind es junge Frauen und Kinder. Sie werden so gut es eben geht von Helfern der Bahnhofsmission und der Caritas betreut. Obwohl längst Hunderte Kinder und Jugendliche aus der Ukraine in München gestrandet sind, ist das städtische Jugendamt bislang noch nicht mit Mitarbeitern vor Ort. Das bestätigt das Sozialreferat auf SZ-Anfrage. Bis Montag seien "keine unbegleiteten Minderjährigen" in städtische Obhut genommen worden.

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Dabei gibt es Berichte von Helfern und auch Sozialverbänden, dass die Erwachsenen, mit denen die Kinder ankämen, nicht zwangsläufig immer deren Eltern oder Erziehungsberechtigte seien. Eine etwa 20 Jahre alte Frau soll mit fünf Kindern unterschiedlichen Alters angekommen sein - ob sie die Mutter aller Kinder sein kann, ist da zumindest fraglich. Das Sozialreferat erklärt, dass nur dann ein Betreuer eingeschaltet werde, wenn die erwachsenen Begleiter keinen Nachweis vorlegen könnten, dass sie im Auftrag der Eltern handeln. Bislang verlässt sich das Jugendamt offenbar auf Beobachtungen von Helfern oder Mitarbeitern in Aufnahmeeinrichtungen. Da sich Geflüchtete aus der Ukraine zunächst nicht registrieren lassen müssen und auch kein Visum benötigen, ist es kaum zu überprüfen, wie viele Kinder sich wo in München aufhalten.

Nachts seien sämtliche Feldbetten belegt, in einigen Nächten sei die Halle sogar überfüllt

Knapp zwei Wochen nach dem Beginn des Angriffskriegs gibt es weiterhin Abstimmungsprobleme zwischen Regierung, Stadt, Verbänden und ehrenamtlichen Helfern. So wurde der immer noch provisorische Infostand der Caritas nun vom Querbahnsteig des Hauptbahnhofs in die ehemalige Schalterhalle verlegt. Zwar stehen an den Gleisen Dolmetscher mit ukrainischen Flaggen bereit, um die Ankommenden zu dem Infopoint zu lotsen, aber ansonsten gibt es keine Hinweisschilder auf das Ersthilfeangebot. Die erst vor wenigen Tagen organisierte Essensausgabe wurde wieder eingestellt, weil das Bahnhofsmanagement die provisorischen Stände untersagt hat. "Es müssen letztlich auch Flucht- und Rettungswege freigehalten werden", sagte am Dienstagnachmittag eine Bahnsprecherin. Aber man sei in engem Kontakt mit den Hilfsorganisationen vor Ort. "Wir versuchen alles Mögliche", um dort Hilfeleistungen für Geflüchtete sicherzustellen.

Eine Caritas-Sprecherin sagte am Dienstag: "Wir konzentrieren uns am Infopoint nun auf die Erstinformation der ankommenden Geflüchteten." Es gebe dort zumindest noch Getränke und einen Imbiss. Die Caritas habe im Hauptbahnhof nun ihre Präsenz um mehrere Stunden täglich ausgeweitet, von sieben Uhr bis Mitternacht. An diesem Mittwoch startet zudem der psychologische Dienst für Ausländer der Caritas mit einer offenen psychologischen Sprechstunde für ukrainische Geflüchtete in der Bayerstraße 73, die von zehn bis 16 Uhr besetzt und auch telefonisch unter 0151 / 5 41 38 47 erreichbar ist.

Doch es gibt noch mehr Probleme: Die Notübernachtung im Hauptbahnhof mit 100 Feldbetten hat nicht einmal Strom und Licht und es gibt dort keine Toiletten. Das bestätigt auf SZ-Anfrage Bettina Spahn, die Leiterin der Bahnhofsmission, die die Halle vom Bahnhofsmanagement zur Verfügung gestellt bekommen hat. Es handle sich allerdings nur um eine kurzfristige Übergangslösung, weil der Gebäudetrakt an der Arnulfstraße noch im März wegen des Bahnhofsneubaus entkernt wird. Handys könnten derzeit bei der Bahnhofsmission aufgeladen werden, auch kostenlose Toiletten gibt es dort, sagt Spahn. Die Halle, in der zuvor eine Filiale der Gastronomiekette "l'Osteria" war, sei vorübergehend ohnehin nur für Geflüchtete gedacht, die mit der Bahn weiterreisen wollten. Tagsüber würden sich dort regelmäßig 20 bis 30 Menschen ausruhen von den Strapazen der Flucht, nachts seien sämtliche Feldbetten belegt, in einigen Nächten sei die Halle sogar überfüllt.

Am Dienstagnachmittag besprach Sozialreferentin Dorothee Schiwy mit Vertretern der Wohlfahrtsverbände, wie die Situation der Geflüchteten verbessert werden könnte. Es gab wohl viel zu bereden.

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