Wechsel in die Grundsicherung:Mehr Geld und bessere Chancen für Geflüchtete aus der Ukraine

Lesezeit: 3 min

Viele Flüchtlinge aus der Ukraine, die in den vergangenen Monaten nach München gekommen sind, können nun Hartz-IV-Leistungen beantragen. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Vom 1. Juni an können Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine Hartz-IV-Leistungen beantragen und bekommen vom Jobcenter Hilfe bei Sprachkursen und Arbeitssuche. Doch die Umstellung wird ein Kraftakt für alle Beteiligten.

Von Sven Loerzer

Für die Geflüchteten aus der Ukraine bringt der 1. Juni eine neue Perspektive: Viele der rund 12 600 Haushalte mit insgesamt 21 600 Geflüchteten, die bisher in München gesetzliche Leistungen für Asylbewerber erhalten, können in die staatliche Grundsicherung für Arbeitssuchende wechseln. Damit erhalten sie mehr Geld, werden krankenversichert, haben Zugang zu Sprach- und Integrationsangeboten, aber auch zur Arbeitsvermittlung durch das Jobcenter München.

Das abgespeckte Antragsformular für Hartz-IV-Leistungen steht schon samt Übersetzung in Russisch und Ukrainisch bereit. Dennoch wird die Umstellung erneut ein Kraftakt für alle Beteiligten werden, denn sie erfolgt nicht automatisch und ist an Voraussetzungen geknüpft.

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Nachdem die Zahl der Haushalte, die auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind, während der Corona-Pandemie auf mehr als 40 000 geklettert war, konnte Jobcenter-Geschäftsführerin Anette Farrenkopf zuletzt wieder einen deutlichen Rückgang auf unter 37 000 melden. Doch von Juni an dürfte die Zahl wieder erheblich steigen.

Denn geflüchtete Menschen aus der Ukraine, die erwerbsfähig und bereits im Ausländerzentralregister eingetragen sind, werden dann, sofern sie einen Aufenthaltstitel haben oder eine sogenannte Fiktionsbescheinigung als Nachweis über dessen Beantragung, vom Jobcenter betreut. Diese Voraussetzung erfüllen inzwischen nach Angaben des Kreisverwaltungsreferats rund 8600 der fast 15 000 im Ausländerzentralregister erfassten Geflüchteten, Ersatzbescheinigungen eingerechnet.

Das von Arbeitsagentur und Stadt getragene Jobcenter erhält für die neue Aufgabe vorerst 50 zusätzliche Stellen. Ein Teil der neuen Kolleginnen und Kollegen von der Bundesagentur fange bereits diese Woche an und bringe ukrainische und russische Sprachkenntnisse mit, sagt Farrenkopf. Man sei bei der Rekrutierung neue Wege gegangen und habe gezielt schon länger hier lebende Ukrainerinnen und Ukrainer angesprochen.

Als Nadelöhr für den Zugang zu Hartz-IV-Leistungen erweisen sich Aufenthaltstitel, die ähnlich wie ein Personalausweis oder Reisepass beantragt und von der Bundesdruckerei erstellt werden müssen. Zur Überbrückung der Wartezeit erteilt das Kreisverwaltungsreferat Fiktionsbescheinigungen. Die Vordrucke dazu, die nur die Bundesdruckerei liefert, waren mancherorts knapp, was den Wechsel zum Jobcenter zu verzögern drohte. Doch nach Angaben des Kreisverwaltungsreferats kam in München rechtzeitig Nachschub an.

Die Förderangebote müssen ausgebaut werden

Wer dann im Jobcenter betreut wird, erhalte umfassende Hilfe aus einer Hand, sagt Farrenkopf. Dabei geht es neben dem Lebensunterhalt und den Unterkunftskosten zunächst vor allem um Deutschkenntnisse: "Das Angebot an Sprach- und Integrationskursen wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hochgefahren werden müssen." Ganz besonders komme es auf Angebote an, die Kinderbetreuung umfassen, denn unter den Geflüchteten seien vor allem Frauen mit Kindern. Aber die "angespannte Lage in der Kinderbetreuung", verschärft durch die Corona-Pandemie, mache es schwierig, die für eine Arbeitsaufnahme notwendige Kinderbetreuung zu finden.

Um die Integration auf dem Arbeitsmarkt macht sich die Jobcenter-Geschäftsführerin sonst weniger Sorgen, zumal das Bildungs- und Ausbildungsniveau vieler Geflüchteter gut sei. Im IT-Bereich, wo oft ohnehin Englisch gesprochen wird, könnten Geflüchtete mit entsprechenden Kenntnissen sofort starten und dann berufsbegleitend Deutsch lernen. Im Pflege- und Erziehungsbereich geht das nicht, dort sei aber die schnelle Anerkennung von beruflichen Abschlüssen neben dem Spracherwerb wichtig. Insgesamt sei sehr viel Fingerspitzengefühl notwendig, gerade im Hinblick auch auf erlittene Traumatisierungen, um Geflüchteten den Weg zur Integration schnell zu ebnen.

Auf alle Fälle werde man die Förderangebote ausbauen müssen, für nächstes Jahr sei deshalb mehr Geld nötig. Verstärkt will sich Farrenkopf auch um die Langzeitarbeitslosen kümmern, "da sind wir noch deutlich über dem Vor-Corona-Niveau". Der Sorge, es gebe nicht genügend Arbeitsplätze, tritt sie entgegen: "Der Arbeitsmarkt ist sehr gut aufnahmefähig, wir haben einen hohen Fachkräftebedarf."

Vergangene Woche kamen 160 neue Geflüchtete pro Tag an

Unterdessen kommen immer weniger neue Geflüchtete am Hauptbahnhof an. Bislang waren es nach Angaben des Sozialreferats insgesamt rund 44 000, viele seien aber weitergereist. Durchschnittlich seien in der vergangenen Woche noch rund 160 Ankünfte pro Tag registriert worden. Man habe dem Freistaat ausgeholfen, sagt Sozialreferentin Dorothee Schiwy, obwohl es nicht Aufgabe einer Kommune sei, Ankunftszentren zu betreiben. "Wir haben eine Drehscheibe entwickelt und eine völlig neue Struktur aufgebaut", um die Registrierung, die soziale Beratung und die medizinische Versorgung zu ermöglichen.

Dass es bei der Antragstellung auf Leistungen für Asylbewerber anfangs zu langen Warteschlangen kam, führt Schiwy nicht nur auf die große Zahl der Anträge zurück, sondern auch darauf, dass die Antragsstellung vom Gesetzgeber nicht an den Aufenthaltsort geknüpft war: "Wir wurden zur Hauptanlaufstelle auch für Geflüchtete aus dem Umland und auf der Durchreise."

Das geht jetzt nicht mehr. Wer in einer privaten Unterkunft in München lebt, muss sich an das zuständige Jobcenter im Sozialbürgerhaus seines Wohnviertels wenden, Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften an die Zentrale des Wohnungsamts. Unter der Telefonnummer 089-45 35 52 878 gibt es allgemeine Auskünfte zur Antragstellung beim Jobcenter, eine Terminvereinbarung ist über den Kundentermindesk unter www.jobcenter-muenchen.de möglich.

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