FC Bayern München:Robert und die Subwoofer

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Es ist nicht so, dass sie was verlernt hätten: Die Spieler des FC Bayern München haben zwar zuletzt vor drei Jahren auf dem Balkon des Münchner Rathauses eine Meisterschaft gefeiert, aber das ging ihnen trotz Pause am Sonntagnachmittag auf dem Marienplatz doch recht locker von der Hand. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Winken vom Rathausbalkon und Schalenstemmen: Die Meisterfeier des FC Bayern ist durchinszeniert, hat dann aber doch einen emotionalen Moment.

Von Philipp Crone

Und dann passiert es ganz am Ende doch noch: Längst hat Thomas Müller die Regie übernommen, wie immer. Längst sind die Fußballer wieder im Schatten oder hinter ihren Handys verschwunden. Längst sind alle Songs gesungen und wie immer ist Manuel Neuer der Sieger im Schale-Stemmen, wie es einem Kapitän gebührt. Und als die Feier am Sonntagmittag auf dem Marienplatz für die Meisterschaft des FC Bayern München schon fast vorbei ist, durchchoreografiert wie die Halbzeitshow des Superbowl, da fangen die Fans auf der rechten Seite vom Balkon aus auf einmal an, einen Namen zu singen. Für einen kurzen Moment wird diese Feier, die auf maximale Emotion ausgelegt ist und genau deshalb minimale auslöst, doch noch einen langen Moment lang fast rührend.

Zunächst einmal muss man klar unterscheiden zwischen den beiden Seiten der Absperrung. Unten stehen Leute wie Csaba Szombatfalvi-Török, ein 44-jähriger Mann wie aus einem Wrestling-Ring, oben ohne, eine 10 auf die braungebrannte Haut gemalt. Seit wann er schon hier steht? "Sechs Uhr vierzig." Er genießt diesen Tag, seit vielen Jahren ist er immer an diesem Platz, wenn oben die Schale gestemmt wird.

Oberkörperfrei und Spaß dabei: Der 44-jährige Csaba Szombatfalvi-Török, ein Mann wie aus einem Wrestling-Ring, wartete schon seit 6.40 Uhr auf dem Marienplatz. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Und auf der anderen Seite, oben, verkatert und übermüdet, da sind die Fußball-Millionäre. "Noch Schlagseite von gestern", sagt Thomas Müller. Viel Geld verdienen und sich über die zehnte Meisterschaft nicht so freuen können? So ist das. Und so ist das, was die Spieler da auf dem Balkon zeigen, zumindest nicht inszeniert.

Drumherum muss man sich ein bisschen fühlen wie in der Fußball-Arena. Da sind 70 Hochtöner, 16 Tieftöner und 16 Subwoover von der Dimension eines Lastenrads, die bei der Vorstellung sämtliche Hosenbeine zittern lassen bei all denen, die in dieser Hitze lange Hosen tragen. Und das sind einige unter den 10 000 Fans, die brav und ausdauernd ihre Gratisfähnchen schwenken. Jeder Song, jeder Satz aus den Mikrofonen bügelt jeglichen Jubel platt wie die Bayern ihre Konkurrenz in Deutschland.

Aber daran haben sich die Fans gewöhnt, hier stehen Eltern mit ihren Kindern, Junge, Alte, und genießen einen Nachmittag im Lichte der Sieger. Ein Mann, etwa 40, hat sich bei diesen sommerlichen Temperaturen fünf Schals umgebunden. Er registriert nichts außer dem noch leeren Balkon. Während drinnen, im Rathaus, ähnlich wie in der Arena auch, verschiedene VIP-Schildchen Fans oder Edelfans näher an die Spieler ranlassen oder eben nicht.

Die Sonnenbrillen sollen wohl die Folgen der vergangenen Nacht etwas verstecken. (Foto: Leonhard Simon/Getty Images)

Die Spieler werden zunächst kurz in den Rathaussaal gebeten, wo sie gehorsam hinschlendern und Oberbürgermeister Dieter Reiter zuhören, wie er davon spricht, dass die Stadt schon sehr stolz ist auf seinen Vorzeige-Verein. Die Spieler schauen dabei, wie man eben schaut, wenn man verkatert ist und sich zusammenreißen muss. Nur Hasan Salihamidzic und Uli Hoeneß schauen nicht, denn sie stecken die Köpfe zusammen und besprechen Dinge, die ganz sicher nicht in diese Inszenierung des Erfolgstages gehören. Julian Nagelsmann zerbeißt seinen Kaugummi in einer Frequenz, als müsste er ein Champions-League-Finale zerkauen. Dann schickt Reiter die Kicker "an die frische Luft" und da gehen die Subwoofer an die Arbeit. Sie spielen "Conquest of Paradise", die dröhnend-drohende Hymne der Gladiatoren, die Fahnen sind wedelbereit, die Teleobejktive gereckt, die Mikrofone an.

So eine Meisterfeier ist die ideale Bildkulisse zur Vermarktung der wunderbaren Erfolgsmotive und der vielbeschworenen Fan-Nähe der Bayern. Die Spieler können kicken wie kein anderes Team in Deutschland, aber in Sachen Liedgut und Stimmsicherheit wären sie akut abstiegsgefährdet.

Zunächst kommt Stadionsprecher Stephan Lehmann raus und grüßt den Mann mit der zehn, der da unten seit sieben Stunden und 21 Minuten wartet. Und dann werden die zehn Titel historisch gefeiert. Neuer trägt die erste Schale von 2013, im entsprechenden Trikot, stemmt, grinst, winkt, ab. Dann Müller, winkt, stemmt, wirft die Schale hoch und versucht sie dann gleich zwischen Brüstung und einer Metallstange einzuklemmen wie einen Pappbecher in der Auto-Halterung. Robert Lewandowski kommt als Nächster, schwenkt die Schale, weiß aber nach zehn Sekunden nicht mehr, was er damit machen soll. Ist eben kein Ball.

"Es gibt keinen Spieler, der über dem FC Bayern steht." - findet Oliver Kahn (Mitte), Vorstandsvorsitzender des FC Bayern. (Foto: Matthias Balk/dpa)

So geht das weiter, bis zehn Schalen und alle Spieler auf dem Balkon stehen. Neuer tippt ins Handy, die Insta-Accounts der Spieler müssen gefüttert werden, Alphonso Davies hat dafür gleich zwei Handys dabei. Spannend wird es kurz, als Jamal Musiala beim Versuch, auch die ihm anvertraute Schale in der Halterung zu verankern, sie fast fallen lässt. Längst hat Müller die Moderation torpediert und reißt seine Schale immer dann hoch, wenn Moderator Lehmann reden will, da schlägt die Fanwucht dann doch die Soundanlage.

Nagelsmann kaut, und Präsident Herbert Hainer erntet mit den größten Jubel an diesem Nachmittag, als er sagt: "Der Krieg muss aufhören, sofort!" Während Niklas Süle kein Wort sagen will, er verlässt den Verein gen Dortmund, macht Vorstandschef Oliver Kahn halt den Kahn. Er hätte gehört, dass sich die Konkurrenz in der nächsten Saison Hoffnung auf den Titel machen würde, sagt er. "Aber diese Hoffnung können sie sich abschminken!" Die Prognose, wie viele weitere Titel folgen sollen, geht auf dem Balkon bis zu weiteren zehn. Und Trainer Julian Nagelsmann sagt, dass er später noch ins Büro müsse, damit es im nächsten Jahr vielleicht "ein zwei schöne Titel mehr" würden. Also bis dahin keine größeren Besonderheiten an diesem Nachmittag.

Der Fan unten mit den fünf Schals heult beim geballten Anblick seiner Idole, und dann wird es eben doch für einen Moment emotional. Unten singen sie zunächst "Lewa bleib!", und der angesprochene Stürmer schaut lächelnd nach unten, aber als ein paar Minuten später noch einmal "Le-Wandowski" in tausendstimmigem Brüllen nach oben weht, da muss er sich an den Schultern von Lucas Hernández festhalten. Ein paar Sekunden steht er starr da, erst dann erlösen ihn die Subwoofer.

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FC Bayern
:Meisterfeier mit kleiner Schlagseite

Bestes Sommerwetter, 10 000 FC-Bayern-Fans auf dem Münchner Marienplatz und vom Rathaus-Balkon winken die Spieler mit ihren Meisterschalen. Einige dürften sich über ihre Sonnenbrillen freuen.

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