Videospiel-Kunst in München:Der wandelnde Schatten

Lesezeit: 2 min

Die graue Kreatur in "Schema" wird von mehreren Nutzern im Kollektiv gesteuert. (Foto: Will Freudenheim, 2023 / Caldo Worldwide)

Die Münchner Galerie Caldo Worldwide geht online neue Wege. Aktuell mit Game Art von Will Freudenheim.

Von Jürgen Moises

Eine graue Figur läuft schwankend durch den Wald. Mit ihrer schemenhaften Erscheinung sieht sie wie ein wandelnder Schatten aus. Auch der Wald, die Gräser, die Sträucher mit ihren psychedelischen Farben haben etwas Unwirkliches. Wo die taumelnde Figur hin will oder ob sie vielleicht vor etwas flieht? Man weiß es nicht. Irgendwann sieht man leicht futuristisch aussehende Gebäude. Seltsame Kreaturen tauchen auf und verschwimmen wieder im Nichts oder im Dickicht. Plötzlich wird es Nacht. Dann wieder Tag. Und so geht es weiter und weiter in dieser virtuellen Welt, die den Namen "Schema" trägt und die sich der junge New Yorker Künstler, Game Designer und Wissenschaftler Will Freudenheim ausgedacht hat.

Eintauchen kann man in "Schema" aktuell in der Galerie Caldo Worldwide, die sich im Zirka auf dem Kreativquartier an der Dachauer Straße in München befindet. Dort läuft "Schema" als interaktive Game-Simulation auf einem großen Bildschirm. Alternativ kann man die virtuelle Welt auch live auf der Website caldo-worldwide.com erleben und dann noch parallel unter "caldoworldwide" auf dem Live-Streaming-Videoportal Twitch. Dort hat "Schema" tatsächlich ihren eigentlichen Ort. Denn wenn man als Benutzer auf Twitch eingelockt ist, kann man die graue Kreatur zusammen mit den anderen Nutzern steuern. Das macht man, indem man in den Chat die Befehle "up", "down", "left" oder "right" eingibt. Was aber nicht heißt, dass sich die Kreatur dann in diese Richtungen bewegt.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Stattdessen ist es so, dass man damit den Gefühlszustand der Kreatur beeinflusst. In der Box links unten auf dem Screen kann man diesen sehen. Die vertikale Achse zeigt den Stimmungsgrad an, während die horizontale Achse die emotionale Ausrichtung von der Innen- zur Außenwelt darstellt. Je nachdem, wie viele Menschen mitmachen und Befehle eingeben, wird die Kreatur dadurch zum Beispiel ängstlicher oder mutiger, langsamer oder schneller. Es kommt also zu einer Interaktion zwischen dem Publikum und dem teilweise durch eine KI gesteuerten, digitalen "Lebewesen". Und damit wird "Schema" laut Will Freudenheim zu einem "Experiment über gemeinsame Erfahrungen", verbunden mit einer "sich entwickelnden Erzählung in einer digitalen Welt".

Die erwähnte Steuerung erinnert dabei an Steuerelemente, wie man sie aus der elektronischen Musikproduktion kennt. Hier ist das Besondere, dass man durch individuelle Aktionen kollektiv eine digitale Welt beeinflusst. In der realen Welt passiert das ähnlich. Der Klimawandel etwa wird durch solche komplexen Prozesse bestimmt. Das macht "Schema" zu einem spannenden Experiment. Auch wenn das Ganze recht abstrakt bleibt und man als "Zocker" nicht auf seine Kosten kommt. Dafür sind die "Schema Transmutations " sehr konkret: digitale Drucke, die Freudenheim mit der computergesteuerten Zeichenmaschine Axidraw-Penplotter erzeugt hat. Diese greifen Motive aus "Schema" auf und hängen im winzigen Galerie-Raum im Zirka an den Wänden.

Der Yorker Künstler, Game Designer und Wissenschaftler Will Freudenheim hat "Schema" entwickelt. (Foto: Daniel Mayer / Caldo Worldwide)

Worum es bei "Schema" letztendlich auch geht, das ist die Frage, wie sich eine Game-Engine, also die einem Videospiel zugrunde liegende Software, als künstlerisches Medium nutzen lässt. Und das ist eine Frage, die neben Will Freudenheim auch Alena und Christina Mayer, die Direktorinnen von Caldo Worldwide, umtreibt. Schließlich ist Game Art neben digitaler Kunst der Schwerpunkt ihrer 2020 gegründeten Online-Galerie, zu der auch ein Online-Shop und ein Buchverlag gehören. Die Idee dahinter: Neue, "progressive" Wege der Kunst-Präsentation im digitalen Raum zu erproben, und das "unabhängig von ihrem physischen Standort". Den braucht es bei "Schema" wirklich nicht, aber da die "Transmutationen" eine durchaus eigene Ästhetik haben, lohnt sich der Weg dorthin.

Will Freudenheim: Schema, bis 30. Dez. (online bis Mai 2024), Caldo Worldwide (Zirka), Dachauer Straße 110c, caldo-worldwide.com

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusRegisseur Jan-Christoph Gockel
:"Wir können nicht nur Operettenstadl machen"

Jan-Christoph Gockel inszeniert an den Münchner Kammerspielen den Theaterklassiker "Der Sturm", indem er ihn mit Werner Herzogs "Das Dämmern der Welt" zusammenbringt. Ein Gespräch darüber, warum Shakespeare pur heute kein Weg mehr ist.

Interview von Yvonne Poppek

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: