München:Ultramoderne Modelleisenbahn kommt ins Deutsche Museum

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Die riesige Modelleisenbahn können Besucher des Deutschen Museums bald wieder besichtigen. (Foto: Robert Haas)

Im Mai 2022 soll das Publikum die Anlage zu sehen bekommen. Auf 44 Quadratmetern drehen dann 36 Zug-Garnituren auf 750 Metern Gleis ihre Runden - alles per Computer berechnet. Der Kurator bezeichnet sein Werk als ein "Infrastruktur-Monster".

Von Thomas Becker

Das Feuerwehrauto fährt schon mal, die Züge dagegen stehen noch still, aber immerhin bereits auf den Schienen, auch der viereinhalb Meter lange Güterzug. Warum noch nichts fährt? "An die Weichen müssen wir nochmal ran", sagt Lukas Breitwieser, "Satelliten einmessen, Laser justieren: Da ist noch viel Feintuning nötig." Wer sich von dem studierten Technikhistoriker die neue, digitale, hoch komplexe Modellbahnanlage des Deutschen Museums erklären lässt, bekommt als Laie eher den Eindruck, dass die ganze Anlage nur aus Feintuning besteht. Mit der klassischen Modelleisenbahn, die in früheren Jahrzehnten öfter mal unterm Weihnachtsbaum lag, hat das jedenfalls nichts mehr gemein. Kurator Breitwieser bezeichnet sein Werk als ein "Infrastruktur-Monster". Kein Widerspruch, nirgends.

Kurator Lukas Breitwieser nennt die Anlage ein "Infrastruktur-Monster". (Foto: Robert Haas)

Seit Oktober 2015 werden die Ausstellungen auf der Museumsinsel aktualisiert und neu gestaltet. Auch das Gebäude wird auf den neuesten technischen Stand gebracht, in zwei Abschnitten, sodass das Museum geöffnet bleibt. Sobald Teil eins fertig ist, werden die ersten neuen Ausstellungen wieder eröffnet, und die Baustelle "wechselt" auf die andere Seite des Gebäudes. 2028, zum 125. Gründungsjubiläum des Deutschen Museums, soll das Haus komplett in neuem Glanz erstrahlen.

Drei Vorführungen pro Tag sind geplant

So lange müssen Modelleisenbahn-Fans nicht warten. Im März wollen Breitwieser & Co. fertig sein, im Mai soll Eröffnung gefeiert werden - wenn nicht Corona ihnen einen Strich durch die Rechnung macht. Auf 44 Quadratmetern drehen dann im Maßstab 1:87 insgesamt 36 Zug-Garnituren auf 750 Metern Gleis ihre per Computer berechneten Runden. Drei Vorführungen pro Tag soll es geben, jeweils 20 Minuten. Dabei werden nicht bloß ein paar Züge hin und her fahren, man hat sich da schon mehr überlegt in der Abteilung Verkehr, Mobilität, Transport: "Die Idee ist die Simulation eines Tagesablaufs", erklärt Breitwieser, "von vier in der Früh bis Mitternacht. Wir stauchen die Zeit: Eine Minute entspricht einer Stunde. Der Raum wird verdunkelt, morgens herrscht reger Pendlerbetrieb, mittags ist weniger los. Eltern und Kinder sollen einen realistischen Verkehrsbetrieb erleben."

Die Autos fahren schon, die Züge stehen noch. Denn an den Weichen müssen die Modellbauer noch arbeiten. (Foto: Robert Haas)

Um das zu erreichen, wurde mit einer Tradition gebrochen: Statt umgeben von bunten, verschnörkelten Häuschen liegt die Schienenlandschaft ganz in neutralem Weiß da. "Nein, es hat nicht geschneit, es hat auch nichts mit Weihnachten zu tun", erläutert der Kurator, "mit dieser Abstraktheit rücken wir die Landschaft und alle Dinge, die nicht zum Verkehr gehören, optisch in den Hintergrund. Alles was uns bewegt - Züge, Straßenverkehr, Tram, Fahrräder -, ist dagegen bunt. Wir wollten nicht diese verspielten, oft kitschigen Details traditioneller Modelleisenbahn-Anlagen wie zum Beispiel im 'Miniatur Wunderland' in Hamburg." Sondern eine möglichst wirklichkeitsgetreue Darstellung von Physik, Technik und Infrastruktur und des dazugehörenden Fahrbetriebs. Alles andere lenke nur ab.

Ein Gleisplaner der Bahn hat an der Anlage mitgearbeitet

In der sicherlich mutigen Gestaltung sieht Breitwieser ein Alleinstellungsmerkmal. Besonderheit Nummer zwei: die extrem realistische Gleisführung. Der Entwurf der Anlage ist in Zusammenarbeit mit einem Gleisplaner der Deutschen Bahn entstanden, kommt sozusagen vom Original. "Wir sind so nah am Vorbild, wie das mit Spielzeug umzusetzen ist", sagt der Kurator, "so wurden zum Beispiel viele Bogenweichen verbaut - die können ganz andere Radien fahren. Dazu gibt es Überhöhungen im Gleis, was zu einer realistischen Fahr-Physik führt."

Für die Fahrzeuge ist Andreas Reinbold zuständig. (Foto: Robert Haas)

Abgebildet wird nicht die Gegenwart, sondern die Zeit von Mitte bis etwa Ende der 90er-Jahre. Für die Züge auf der Schiene bedeutet das: Neigetechnik: ja, die ICE-Modelle 1 bis 3: ja, der ICE 4: nein. Ein Stück Hochgeschwindigkeitsstrecke ist zu sehen, aber auch alte Strukturen wie ein Regionalbahnhof mit kleinem Stellwerk. Nebenan: Ein Hafen samt Kran, sodass dank eines sogenannten Car-Systems, das Feuerwehr, Busse, Kehrmaschinen und Lkws fahren lässt, auch Lade-Vorgänge am Hafenkran dargestellt werden können. Auch eine Zahnradbahn gibt es, die hinauf zu einer Burg klettert. Es wurde keine Stadt 1:1 nachgebildet, aber angelehnt ist die Anlage an das unterfränkische Städtchen Gemünden am Main - was zu Breitwiesers großem Erstaunen eine Kollegin auf den ersten Blick erkannt hatte. Wenn es im Frühjahr zu den ersten Vorführungen kommt, wird in den Audio-Informationen von einer Stadt namens Wernmünden die Rede sein. Gar nicht erst googeln, ist fiktiv.

Der sichtbare Bereich macht nur ein Viertel der Gleisfläche aus

Ganz real sind dagegen die aktuellen Herausforderungen, zum Beispiel die Programmierung der Anlage. Als es im Zuge der Zukunftsinitiative des Deutschen Museums hieß, "wir wollen eine neue Bahn!", war das Ende der alten Anlage besiegelt, die zigtausend große und kleine Münchner im Westflügel über die Jahre bestaunt hatten. Da die alte Bahn nicht transportabel gebaut war, wurde nun von der Dresdner Firma Designprojekt eine neue in Modulbauweise gefertigt. Kostenpunkt: rund eine halbe Million Euro. Vor einem Monat rückte ein halbes Dutzend Modellbauer an und schuf aus Holz, Styrodur und Fasergips einen der neuen Hingucker des Museums. "Jetzt muss noch einer lernen, die Anlage zu bedienen", sagt Breitwieser, "Stichwort Fehlerbehebung!" Schließlich mache der sichtbare Bereich nur ein Viertel der Gleisfläche aus.

In dem von der Seite einsehbaren Schattenbereich, einem großen Park- und Rangierplatz unter der Anlage, verlaufen Schienen über mehrere Stockwerke: spiralförmige Gleiswendel, über die die Züge von einer Ebene in die andere kommen. Breitwieser erklärt: "Wenn wir den ICE drei Sekunden durchs Bild fahren lassen, ist der schon fünf bis zehn Minuten unterwegs. Das ist alles schwer zu koordinieren, ein krasser Programmieraufwand." Die Steuerung erfolgt über die Software Train Controller sowie über Laser und Ultraschall - schöne neue Welt. Der Kurator sagt: "Ich finde den Zusammenprall von alten und neuen Strukturen spannend. Es gibt auch eine Museumsfahrt mit der guten, alten Dampflok."

Die Vorführungen werden den Ablauf eines Tages simulieren, vom Pendlerbetrieb am Morgen bis in die ruhigen Nachtstunden. (Foto: Robert Haas)

Die Bahn. Breitwieser glaubt an sie, sitzt jeden Tag drin, pendelt mit der Regionalbahn in die Stadt: "Ich glaube, dass die Schiene immer wichtiger wird, wenn wir mobil bleiben wollen. Mit dem Individualverkehr stoßen wir jetzt schon an Grenzen, die wir auch mit automatisiertem Individualverkehr nicht verschieben können. Die Schiene wird auch in Zukunft ein Hauptträger des Massen- und Gütertransports sein. Wir zeigen hier die Eisenbahntechnik nicht romantisch verklärt, sondern als elementar wichtiges Verkehrsmittel, nicht nur in den Neunzigern, sondern auch heute und erst recht in der Zukunft." Aber jetzt muss er erst noch ein paar Weichen stellen.

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