Luftbild vom "Lichtermeer" auf der Theresienwiese:Eine Stadt leuchtet

Lesezeit: 3 Min.

Zehntausende Menschen, Zehntausende Lichter: Aus der Luft sind auch die penibel freigehaltenen Rettungswege gut zu erkennen. (Foto: Suleyman Siki)

Am Tag nach der großen Demo sind die Veranstalter und die Rednerin noch immer bewegt davon, wie die Münchnerinnen und Münchner zusammenstanden. Es war ein Abend, der auf eine leise Art laut war.

Von Bernd Kastner und Joachim Mölter

Am Tag danach fasst Düzen Tekkal die Wirkung des Abends so zusammen: "Ich habe das Gefühl, dass es gestern leise laut war. Man muss nicht immer polarisieren." Tekkal - Kurdin, Jesidin, Menschenrechtsaktivistin aus Berlin - stand am Sonntag auf der Bühne, als sich vor ihr das Lichtermeer entwickelte. Immer wieder gab es für ihre Rede Szenenapplaus. Auf der Theresienwiese habe "das Wir gewonnen", sagt sie am Montag, nicht "das Ego". Und vermutlich sei das Miteinander der Demokraten das passende Rezept gegen Rechtsextreme, die schon lange vereint seien.

Innerhalb von drei Wochen war das Lichtermeer die zweite sehr große Versammlung in München für die Demokratie, gegen Rechtsextremismus. Dass jeweils Zehntausende Menschen kamen, ist offensichtlich. Doch die Schätzungen von Polizei und Veranstaltern gehen weit auseinander, auch zum Lichtermeer. 75 000 bis 100 000 schätzt die Polizei, die Veranstalter nennen die Zahl 300 000.

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Die Rechnung der Veranstalter geht so: Im vorderen Bereich habe man 4,5 bis fünf Personen pro Quadratmeter gezählt, im hinteren Bereich deutlich weniger. Also nehme man durchschnittlich 3,3 Personen pro Quadratmeter an. Multipliziert mit einer Fläche von etwa 90 000 Quadratmetern komme man auf rund 300 000.

Seitens der Polizei heißt es, dass selbst aus großer Höhe die Teilnehmer nicht zu zählen gewesen seien und auch nur grob zu schätzen. "Aufgrund der Dunkelheit war das schwer", sagt ein Sprecher. Deswegen bleibe man bei der ursprünglichen Zahl.

Entscheidend für die Wirkung der Demo ist weniger die konkrete Teilnehmerzahl, sondern das Bild: ein Lichtermeer. Entsprechend begeistert sind die Organisatoren von Fridays for Future, von denen wieder die Initiative ausging. "Wahnsinnig gerührt und beeindruckt" sei er, sagt Luca Barakat, der Versammlungsleiter. Er danke allen im Team, die in den vergangenen Tagen sehr viel gearbeitet hätten. Jana Häfner, auch von Fridays for Future, findet, es sei gelungen, Zusammenhalt und Hoffnung zu transportieren: "Ich hatte Gänsehaut." Es seien etwa 15 bis 20 Mitglieder von Fridays for Future an der Organisation beteiligt gewesen, hinzu kamen Aktive von Lichterkette, Bellevue di Monaco, "München ist bunt" und "Morgen".

Es war ein beeindruckendes Bild, das sich am Sonntagabend auf der Theresienwiese entwickelte. (Foto: Leonhard Simon/Getty Images)
Fast alle Besucher brachten ein Licht mit: Kerzen hinter Glas, Lichterketten, Taschenlampen oder Stirnleuchten. (Foto: Leonhard Simon/Getty Images)
Es war eine friedliche Demonstration, gegen Rassismus und für die Demokratie. (Foto: Lukas Barth/AFP)

Demo-Routinier Till Hofmann vom Bellevue di Monaco sagt, der Erfolg sei das Verdienst des ganzen Bündnisses, allen voran der Aktiven von Fridays for Future: "Die können ja auch was." Weil es einen langen Atem brauche im Kampf gegen Rechtsextremismus, müssten die Aktivitäten weitergehen. Wichtig sei, sagt Hofmann, die Demokraten auch auf dem Land zu stärken, gerade im Hinblick auf die Europawahl im Juni.

Das Demo-Bündnis kündigte schon in der vergangenen Woche weitere Veranstaltungen in ganz Bayern an. Konkrete Pläne gebe es noch nicht, sagt Jana Häfner. Man wolle die weiteren Aktionen aber aus dem Bündnis der Siegestor-Demo entwickeln, an dem sich rund 300 Gruppen beteiligt hatten. Dies bedeute aber keine Vorfestlegung auf die politische Ausrichtung, sagt Luca Barakat. Die werde man diskutieren. Die Januar-Demo hatte Kritik nach sich gezogen, weil AfD und Ampel-Koalition in einen Topf geworfen worden waren. Auf der Theresienwiese hingegen zog Rednerin Tekkal eine klare Trennlinie zwischen allen Demokraten und der AfD.

Diese Ausrichtung begrüßt Mona Fuchs, Fraktionschefin der Grünen im Rathaus: Auf der Theresienwiese sei es "besser gelungen, deutlich herauszustellen, um was es geht und was uns verbindet: die Sorge um die Demokratie und um die Bewahrung der Menschenwürde - bei allen Meinungsunterschieden, die es ansonsten geben mag. Denn klar ist, für eine funktionierende Brandmauer brauchen wir alle demokratischen Kräfte!"

Die Linkspartei hingegen hält die Ampelregierung mitverantwortlich für den Rechtsruck. Rathaus-Fraktionschef Stefan Jagel verteidigt die Ausrichtung der Siegestor-Demo, die sich allgemein "gegen rechts" richtete. "Es kann und muss möglich sein", bei einer Versammlung "auch die Ursachen des gesellschaftlichen Rechtsrucks zu diskutieren, die sicherlich nicht nur bei der AfD zu suchen" seien.

Laut Polizei verlief die Versammlung bemerkenswert friedlich, ohne Störungen. Lediglich zwei ungenehmigte Drohnenflüge seien angezeigt worden, nach der Luftverkehrsordnung handelt es sich um Ordnungswidrigkeiten. Generell gilt, dass das Überfliegen von Menschenmassen aus Sicherheitsgründen verboten ist; in der Regel ist ein seitlicher Abstand von wenigstens 100 Metern einzuhalten. Genehmigungen müssen bei der Regierung von Oberbayern eingeholt werden, beim Luftfahrtamt Süd. Privilegien genießt hingegen die Polizei. Wenn Beamte eine Drohne steigen lassen und diese weniger als 25 Kilogramm wiegt, brauchen sie keine Erlaubnis.

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