SZ-Serie: Hinter den Masken:"Es ist noch nicht so viel, was wir erreicht haben"

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Wolfgang Guggemos sieht die Lockerungen in den Corona-Beschränkungen skeptisch. (Foto: Stephan Rumpf)

Wolfgang Guggemos ist Infektiologe und leitet am Schwabinger Krankenhaus die Sonderisolierstation. Seit Januar behandelt er beinahe täglich Covid-19-Patienten. Die Lockerungen betrachtet er mit Sorge.

Von Anna Hoben

Es war am 28. Januar, als das Klinikum Schwabing den ersten Patienten aufnahm; Wolfgang Guggemos erinnert sich noch genau an das Datum. Seit damals, seit dem sogenannten Webasto-Cluster mit den ersten zwölf Infizierten, hat er nahezu täglich mit Covid-19-Patienten zu tun. Ganz am Anfang habe man die Dimension der Erkrankung möglicherweise noch ein bisschen unterschätzt, sagt Guggemos, denn: Die Patienten hatten kaum Symptome. Und so sei der erste Eindruck gewesen: "Da ist zwar eine neue virale Erkrankung, und wir haben keine therapeutischen Möglichkeiten, aber so richtig ernsthaft krank wird man wohl nicht. Da haben wir uns getäuscht. Die gesamte Medizinerwelt hat sich getäuscht."

Wolfgang Guggemos ist leitender Oberarzt in der Infektiologie, er hat in Schwabing die Sonderisolierstation für ganz spezielle Erkrankungen aufgebaut, die er auch leitet - es ist eine von sieben in ganz Deutschland. Unter diese Erkrankungen fällt Covid-19 zwar nicht; aber es zeigt, dass Guggemos sich ein ganzes Berufsleben lang mit gefährlichen und weniger gefährlichen Infektionskrankheiten beschäftigt hat. "Risikogruppe, männlich, 55", sagt er, wenn man ihn nach seinem Alter fragt. Nach den ersten Fällen seien sie sich im Team dann recht schnell einig gewesen, "dass es was Großes werden wird".

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Mittlerweile ist längst klar, dass Covid-19 eine ernsthafte Erkrankung sein kann und keineswegs nur ältere Menschen betrifft. "Wir sehen auch junge und sehr junge Menschen, die schwer und schwerst erkrankt sind." Um die Dinge besser zu verstehen, eben: warum manche Patienten schwer erkranken, während andere das "en passant durchstehen, als wäre fast nichts gewesen", tauscht er sich regelmäßig mit Kollegen aus, national und international. Spannend sei das, "wenngleich wir auf diese Art von Spannung natürlich alle hätten verzichten können". Jedenfalls ist es seit Beginn des Jahres auch ein Lernprozess: "Wir haben mit und an dieser Erkrankung gelernt bis zum heutigen Tag."

Guggemos berät jetzt häufig. Dreimal pro Woche tagt schon um halb acht der erste Krisenstab, die Lenkungsgruppe Medizin. Dann ist er in seiner Abteilung, für Gespräche, Visiten, Besprechungen. Er nimmt an den Telefonkonferenzen mit dem Robert-Koch-Institut teil und gehört dort der Arbeitsgruppe Therapiemöglichkeiten an. Nach einem langen Arbeitstag abzuschalten, fällt ihm nicht so leicht. Irgendwann hat er aufgehört, abends noch Sondersendungen anzuschauen. Er genießt es, dann mit der Familie zusammen zu sein; auch seine Tochter, die in Hamburg studiert, ist seit den Ausgangsbeschränkungen zu Hause in München.

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Die Lockerungen der Beschränkungen im öffentlichen Leben sieht Guggemos zwiespältig. Natürlich lechzten alle danach, wieder ein einigermaßen normales Leben zu führen. Andererseits habe er schon auch "Sorge, dass wir zu früh lockern". Er hofft, dass die Menschen vernünftig sind und das bisher Erreichte nicht aufs Spiel setzen - "es ist noch nicht so viel, was wir erreicht haben".

Auch für einen erfahrenen Infektiologen ist dies eine der herausforderndsten Zeiten seines Berufslebens, "weil die Dimensionen dieser Pandemie so unvorhersehbar groß sind". Wie viele Kollegen spricht er von einem neuen Zusammengehörigkeitsgefühl, unabhängig von Hierarchien und Berufsgruppen. "Jeder ist wichtig, nimmt sich aber nicht so wichtig. Das ist eine Erfahrung, die ich in der Kliniklandschaft so bis dato eigentlich nicht gemacht habe." Er hofft, dass die Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen künftig etwas in den Hintergrund rückt und die Politik sich mehr Gedanken über Daseinsvorsorge und Vorhaltung macht. "Wir haben gesehen, wir sind bei vielem auf Kante genäht. So war das gewollt, auch politisch."

Im Herbst wollte Wolfgang Guggemos ins südliche Afrika reisen, eine Trekkingtour, "ein bisschen Abenteuerreise". Abenteuer hat er jetzt beruflich; die Reise muss er natürlich verschieben. "Vielleicht nächstes Jahr, vielleicht dann doppelt so lang."

© SZ vom 08.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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