Armut in der Corona-Pandemie:"Ein paar kleine Ansprüche habe ich auch noch"

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Teure Pflichtanschaffung: FFP2-Masken strapazieren das knappe Budget von Menschen, die auf jeden Euro achten müssen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Wenn Menschen auf jeden Euro achten müssen, dann werden Mehrausgaben für FFP2-Masken oder eine Home-School-Ausstattung zum Problem. Die Krise trifft armutsgefährdete Menschen besonders hart.

Von Sven Loerzer

Ich habe ein gutes Leben gehabt", sagt der 74-Jährige. Doch die guten Zeiten sind vorbei. Das soll kein Jammern sein, keine Beschwerde über die Beschwerlichkeiten des Alters. Es ist eher eine nüchterne Feststellung. Nein, der 74-Jährige trauert nicht besseren Zeiten hinterher, obwohl das jeder nur zu gut verstehen würde. Früher mal, da hat er gut verdient, ein großes Auto gefahren, das pralle Leben genossen, war selbständig. Doch dann bekam er das Pfeiffersche Drüsenfieber, das ihm sehr lange Zeit Probleme bereitete. Zuvor hatte er als Selbständiger drei Mitarbeiter, "danach war ich erledigt", sagt der Rentner. "Das ist halt das Leben."

Jetzt sieht sein Leben so aus, dass er darauf achten muss, täglich im Schnitt nicht mehr als 15 Euro auszugeben, weil er sonst über seine Verhältnisse leben würde. Rund 300 Euro Rente bezieht er - und weil das zum Leben nicht reicht, bekommt er vom Amt für Soziale Sicherung etwa 700 Euro dazu, vor allem damit er seine Miete für ein WG-Zimmer bezahlen kann. Er ist froh, dass er sich noch etwa 100 Euro im Monat mit Büro- und Außendiensttätigkeiten bei einem Sozialdienst gegen Mehraufwandsentschädigung dazu verdienen kann, zumal er noch ein kostenloses MVV-Monatsticket erhält.

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"Ein paar kleine Ansprüche habe ich auch noch", sagt der Rentner, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Zum Beispiel ab und zu mal essen zu gehen. In den Kantinen, die er gern besuchte, bekam er für sechs Euro ein gutes Mittagessen, aber seit dem Lockdown sind auch sie geschlossen. Für ein Essen "to go", wie es viele Gaststätten bieten, ist oft schon die doppelte Summe fällig, so viel wie im Regelsatz im ganzen Monat für Gaststättenleistungen vom Staat zugestanden werden.

Für Nahrung und alkoholfreie Getränke sind im Regelsatz für einen alleinlebenden Erwachsenen sonst aber nicht viel mehr als fünf Euro im Schnitt vorgesehen - und zwar nicht für eine Mahlzeit, sondern insgesamt für alle Mahlzeiten an einem Tag. Wird dafür mehr ausgegeben, muss an anderen Posten gespart werden. Aber wie, wenn auch für die Gesundheitspflege nur rund 17 Euro monatlich an Ausgaben vorgesehen sind und die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente nicht übernehmen?

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Nicht verzichten kann der Rentner auf FFP2-Masken. Die fünf kostenlos an Bedürftige verteilten Masken halfen ihm kaum: "Ich fahre täglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeitsstelle." Und er trägt auch während der Arbeit eine Maske. Geld zum Kauf von Masken aber habe das Sozialamt nicht bewilligt. Die Masken kauft er in der Apotheke, um möglichst auszuschließen, minderwertige Ware zu erhalten. Am Anfang musste er 5,50 Euro pro Stück bezahlen, inzwischen seien es 2,50 Euro. Bei 30 Masken im Monat ist das keine geringe Summe.

Dazu kommen die Kosten für Desinfektionsmittel, außerdem wäscht er seine Kleidung nun häufiger, auch wenn er dazu in den Waschsalon gehen muss. Alles in allem, so schätzt er, muss er monatlich 150 bis 200 Euro mehr ausgeben. Das zehrt an der kleinen Rücklage, die er sich für dringend nötige Anschaffungen zusammengespart hat. Die 150 Euro einmalige Corona-Hilfe, wie sie der Bund kürzlich für die Grundsicherungsempfänger beschlossen hat, helfen ihm da nur wenig weiter. "Anderen geht es auch nicht besser", sagt er.

"Unsere Lebenshaltungskosten sind seit der Corona-Pandemie gestiegen", berichtet eine Mutter

Mehr als 100 000 Münchner beziehen staatliche Grundsicherungsleistungen wie Sozialhilfe und Hartz IV. Für sie wird der ohnehin enge finanzielle Spielraum durch die Mehraufwendungen für Infektionsschutz noch weiter eingeschränkt, sagt Karin Majewski, Geschäftsführerin des Paritätischen Bezirksverbands Oberbayern. "Mit einer kostenlosen Einmallieferung von Masken und einer Einmalzahlung von 150 Euro ist es da nicht getan."

Gerade für Familien mit Kindern sei es schwierig, die nötige Home-School-Ausstattung zu finanzieren. Nicht alle verfügten über einen Internetzugang. Schon für die Grundschule müsse viel ausgedruckt werden, doch viele Familien verfügten nicht über einen Drucker. Zudem habe das Schulessen für die Kinder das schmale Budget entlastet: "Wenn die Schule nicht mehr läuft, bleiben die Grundsicherungsbezieher auf den Kosten sitzen."

"Unsere Lebenshaltungskosten sind seit der Corona-Pandemie gestiegen", berichtet auch eine Mutter von vier Kindern. Sie arbeitet in der Nähwerkstatt, einem sozialen Betrieb des Vereins Netzwerk Geburt und Familie. Weil das Einkommen der Mutter und das ihres Ehemannes nicht reichen, um Lebensunterhalt und Miete zu decken, wird es vom Jobcenter aufgestockt. Die Suche nach einer Ausbildungsstelle für den ältesten Sohn gestaltet sich wegen Corona schwierig. Die drei jüngeren Kinder, die noch die Schule besuchen, "sitzen seit Langem mit Online-Unterricht zu Hause", sagt die 42-jährige Mutter. Das Tablet der Tochter hat das Jobcenter finanziert, ein Sohn konnte sich eines von der Schule leihen, der Jüngste hat ein Laptop. "Manchmal ist das Internet schwach, wenn alle drei Unterricht haben." Einen Drucker hat die Familie nicht, Ausdrucke lassen die Kinder in einem Geschäft machen, gegen Bezahlung.

Die Wohnung ist mit 72 Quadratmeter nicht gerade groß, da können sich die Kinder nicht aus dem Weg gehen. So kommt es schnell mal zum Streit, wenn sie zu zweit beim Unterricht im Zimmer hocken und sich von der Lautstärke des anderen gestört fühlen. Ihr Verhalten hat sich ohnehin verändert. "Ihnen ist langweilig, da haben sie häufiger Hunger." Früher bekamen sie das Mittagessen in der Schule, was den Einkaufsetat entlastete. "Jetzt sind unsere Ausgaben für Lebensmittel deutlich gestiegen", sagt die Mutter. Zudem habe sie den Eindruck, dass Obst und Gemüse deutlich teurer geworden seien. Früher waren sie auch im Badezimmer morgens schnell fertig, weil sie zur Schule mussten. "Jetzt duschen alle ausgiebig." Es steigen auch die Ausgaben für Strom. "Die Kinder sitzen den ganzen Tag vor dem Bildschirm, die Netzteile für Laptop, Tablet und Handy sind ständig eingesteckt."

Weil es Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, schon vor Corona an Geld für eine ausgewogene, gesunde Ernährung und ein Mindestmaß an sozialer, politischer und kultureller Teilhabe gefehlt habe, fordert der Paritätische Gesamtverband in einem Bündnis mit vielen weiteren Verbänden, wie etwa der Arbeiterwohlfahrt, der Diakonie, dem Kinderschutzbund, dem Sozialverband Deutschland, dem Sozialverband VdK und vielen Gewerkschaften, den Hartz-IV-Regelsatz von derzeit 446 Euro für einen Alleinstehenden auf mindestens 600 Euro monatlich anzuheben. "Während der Corona-Krise sollte außerdem ein Zuschlag von 100 Euro monatlich bezahlt werden", nennt Karin Majewski eine weitere Forderung. Verboten sein sollten in dieser Zeit auch Zwangsräumungen.

Für einen entsprechenden Appell an die Bundespolitik engagieren sich bundesweit inzwischen mehr als 400 Organisationen, darunter auch Münchner Einrichtungen wie das H-Team, die Aids-Hilfe, Condrobs, der Verein für Fraueninteressen und der Verein Kulturraum. Den im Internet veröffentlichten Aufruf (www.der-paritaetische.de/coronahilfe/) unterzeichneten schon fast 140 000 Unterstützer. "Einmalig 150 Euro für die Armen nach einem Jahr Pandemie", das könne so nicht bleiben, sagt Karin Majewski. "Da stimmt etwas nicht in der Verteilung."

Der einmalige Betrag sei "besser als nichts, aber letztendlich nicht das, was wirklich notwendig wäre", betont Peter Peschel, Geschäftsführer des H-Teams, das sich um Menschen in schwierigen Lebenslagen kümmert. Die Maßnahmen gegen die Pandemie dürften nicht auf dem Rücken der Ärmsten ausgetragen werden. Immer häufiger sei dies auch am Zustand der FFP2-Masken zu erkennen, der den Hygieneanforderungen nicht mehr genüge, sagt Peschel. "Aber viele Menschen können es sich nicht leisten, ständig neue Masken zu kaufen."

© SZ vom 24.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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