Ernährungswende:Eine Bio-Quote, die niemand kontrolliert

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Aus welcher Erzeugung stammen die Lebensmittel, die in den Einrichtungen der Stadt auf den Tisch kommen? Nicht immer ist das klar. (Foto: Florian Peljak)

Seit mehr als 15 Jahren will München eine biologische Vorzeigestadt sein. Dafür aber gibt es noch viel zu tun. Woran es hapert.

Von Joachim Mölter

Seit 2006 rühmt sich München, "Biostadt" zu sein. Damals brachte der Stadtrat ein gleichnamiges Projekt auf den Weg, dem sich mittlerweile bundesweit 27 Kommunen angeschlossen haben. Die ÖDP-Politikerin Nicola Holtmann, die seit 2020 im Kommunalparlament sitzt, hat anhand dieses Projekts eine prägnante Erfahrung gemacht: "Wir fassen immer ganz tolle Beschlüsse im Stadtrat, aber bei der Umsetzung hapert es dann." Beim Vorhaben Biostadt sei bislang jedenfalls wenig Konkretes herausgekommen, findet sie.

Der Münchner Stadtrat hat sich zuletzt vor zwei Jahren mit dem Thema beschäftigt: Am 28. Juli 2021 beschloss er eine Quote für Bio-Lebensmittel in Einrichtungen der Stadt und ihrer Tochterunternehmen. Um die beabsichtigte Ernährungswende voranzutreiben, müssen Kantinen und Mensen von Verwaltungen, Kulturbetrieben, Schulen, Kitas, Kliniken und Senioren-Einrichtungen aktuell 60 Prozent ihrer Lebensmittel aus biologischem Anbau beziehen, bevorzugt von Erzeugern aus der Region. Besser gesagt: Sie müssten. Kontrolliert wird es nicht.

Die Fraktion von ÖDP und München-Liste hat deshalb ein dreiteiliges Antragspaket geschnürt, damit der Beschluss nicht nur eine gut gemeinte Absichtserklärung bleibt. Im ersten Antrag fordern Holtmann und Co. die Stadtverwaltung auf, Ausschreibungen für Nahrungsmittel künftig nach Bio-Lebensmitteln und konventionellen Lebensmitteln zu trennen und unabhängig voneinander zu vergeben, in separaten Losen, wie sie im Fachjargon heißen. Im zweiten Antrag regen sie an, die Einhaltung der Quote wenigstens stichpunktartig zu kontrollieren. Im dritten geht es schließlich darum, ein referatsübergreifendes, einheitliches Ausschreibungsverfahren zu entwickeln.

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Die Anträge gehen zurück auf Gespräche der ÖDP-Stadträte mit Beteiligten aus der Bio-Branche, darunter Hermann Oswald, dem Geschäftsführer des Lebensmittelhändlers Epos Bio-Partner aus Kirchheim. In einem Schreiben an die Grünen-Bürgermeisterin Katrin Habenschaden und die Stadtratsparteien hatte Oswald auf Schwächen des Systems hingewiesen. Seinen Impuls will er ausdrücklich "als konstruktive Kritik verstanden wissen".

So moniert Oswald, dass "gemischte Lose ausgeschrieben werden", dass also Bio-Lebensmittel quasi in einen Topf geworfen werden mit herkömmlichen Nahrungsprodukten. "Wenn man alles anbieten muss, ist der Bio-Händler draußen aus dem Geschäft", erklärt Oswald: "Als Bio-Händler kauft man keine konventionellen Lebensmittel dazu."

Umgekehrt hätten konventionelle Großhändler keine Probleme, Bio-Sachen für ihr Sortiment dazu zu erwerben. Grundsätzlich hat auch Oswald kein Problem damit: Sein Unternehmen beliefert ja nicht nur städtische Einrichtungen direkt, sondern auch herkömmliche Caterer oder Händler, die einen Zuschlag erhalten haben. Aber man müsste halt kontrollieren, ob die dann auch wirklich regionale Produkte im geforderten Umfang anbieten, findet Oswald. In dieser Hinsicht wundert er sich über die Stadt: "Es gibt kein Nachweis-Tool, um die Quote zu messen."

Der Vorteil von getrennten Losen liege auf der Hand, begründet die ÖDP/München-Liste ihren Antrag: Sie ermöglichen eine vereinfachte Übersicht über die Einhaltung der Bio-Quote. Das aktuelle Ausschreibungsverfahren, so Nicola Holtmann, "benachteiligt kleinere sowie regionale Anbieter und Händler". Oswald findet, "es konterkariert die guten Absichten". Die Politikerin und der Geschäftsmann sind sich einig: Wenn mehr Wettbewerber einen einfacheren Zugang zum Münchner Markt bekämen, führe das auch zu günstigeren Preisen beim Einkauf.

Seit fünf Monaten keine Antwort auf eine einfache Frage

Ein einheitliches Ausschreibungsverfahren, wie es die ÖDP in ihrem dritten Antrag begehrt, fände auch Oswald gut. Er hat einen "gewissen Bürokratie-Dschungel" festgestellt, der "für Außenstehende nicht immer leicht zu durchschauen" sei. Selbst Eingeweihte tun sich schwer, räumt Holtmann ein: "Wir wissen selber nicht genau, welche Zuständigkeiten bestehen."

Im Grunde ist das Thema Biostadt im Referat für Klima- und Umweltschutz (RKU) verankert, für die Versorgung von Kitas und Schulen ist aber das Referat für Bildung und Schule (RBS) zuständig, und manchmal kommen wieder andere Stellen ins Spiel, zum Beispiel bei der Verköstigung in Kultureinrichtungen. Im Januar hat die ÖDP die Stadtverwaltung schriftlich gebeten, die Zuständigkeiten mal aufzudröseln. Die Antwort steht noch aus.

Immerhin weiß Holtmann, dass es noch vor kurzem Ausschreibungen gegeben hat, die den geforderten Anteil von Bio-Lebensmitteln überhaupt nicht berücksichtigt haben, beim Volkstheater zum Beispiel oder beim Kulturzentrum HP8. "Eine Bio-Quote von null auf der Speisekarte - wie kann das sein?", fragt Herrmann Oswald. In der ÖDP-Fraktion spricht man von "handwerklichen Fehlern". Die Ernährungswende sei ein "recht komplexes Thema", hat Nicola Holtmann in ihrer Tätigkeit im Stadtrat auch gelernt: "Man muss an vielen Schrauben drehen, um etwas zu ändern."

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