Theater in München:"Für viele Menschen, die noch nie in der Oper waren, ist die Hemmschwelle recht hoch"

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Catherine Leiter will für die Staatsoper den Stadtrand erobern. Wegen Corona kann sie gerade wenige Menschen treffen. "Das ist schade, da gerade der persönliche Kontakt ein großer Teil meiner Arbeit ist", sagt sie. (Foto: Robert Haas)

An der Bayerischen Staatsoper plant Catherine Leiter als Kulturvermittlerin neue Projekte, die mehr Menschen für Oper und Ballett begeistern sollen. Dafür zieht es sie künftig an Münchens äußersten Rand.

Von Lea Kramer

Neu in München anzukommen, ist alles andere als einfach, während draußen eine Pandemie grassiert. Vor allem dann nicht, wenn die Jobbeschreibung lautet, den Kontakt mit möglichst vielen Menschen zu suchen. Catherine Leiter sitzt in ihrem Büro am Max-Joseph-Platz neben einem Stapel Papieren. Gerade tüftelt sie dort an ihrem Schreibtisch an der Jahresvorschau, schließt Kooperationen und schreibt an Rollen.

Ihr Arbeitsplatz ist an einer prestigeträchtigen Adresse. Vor dem Seiteneingang ist roter Teppich ausgelegt. Ungeachtet dessen wäre Leiter lieber weniger drinnen im Nationaltheater, sondern häufiger überall in der Stadt unterwegs. "Ich bin von Corona gebremst und kann gerade weniger Menschen direkt treffen. Das ist schade, da gerade der persönliche Kontakt ein großer Teil meiner Arbeit ist", sagt sie.

Seit der neuen Spielzeit ist die Südtirolerin als künstlerische Leiterin der Musiktheatervermittlung (Kind & Co/Schule & Co/Offstage) an der Bayerischen Staatsoper engagiert. Dort kümmert sie sich darum, dass künftig mehr Münchnerinnen und Münchner mit Oper und Ballett in Berührung kommen. Dafür arbeitet sie zum einen mit Schulen, Lehrkräften und anderen Bildungseinrichtungen zusammen. Zum anderen wird es neue partizipative Projekte mit Künstlerinnen und Künstlern, Münchner Kulturinstitutionen sowie Veranstaltern geben. "Von der Bühne zum Alltag der Münchner Bevölkerung und wieder zurück, das verstehen wir als unseren Wirkungsbereich in der Abteilung und im Bereich Offstage", sagt Leiter.

Es ist das erklärte Ziel des neuen Intendanten Serge Dorny, die Bayerische Staatsoper mehr zur Stadt hin zu öffnen. Jeder Mensch ist ein König, so lautet das Motto der Spielzeit, die im Herbst 2021 gestartet ist. Dorny will vor allem Musiktheater des 20. Jahrhunderts auf die Bühne bringen, im Mai ist ein Festival mit zeitgenössischer Opernmusik geplant. Musiktheatervermittlerin Catherine Leiter hingegen kümmert sich hauptsächlich darum, was abseits des Opernhauses und seiner anderen Spielstätten passiert. Konkret: Sie will mit ihrem Programm hin zu den Menschen und nicht darauf warten, dass sie die Treppen des klassizistischen Bauwerks erklimmen.

"Für viele Menschen, die noch nie in der Oper waren, ist die Hemmschwelle recht hoch", sagt Leiter. Es sei leichter, wenn man sich zunächst einmal kennenlerne. Was aber nicht heiße, dass sie mit ihren Mitarbeitenden irgendwo hinkomme und erkläre, wie die Staatsoper sei. Im Gegenteil: "Wir wollen uns austauschen und gemeinsam etwas entwickeln", sagt sie.

Ein Ort, an dem die Staatsoper die Kulturszene aufmischen will, ist Freiham. Durch die Entwicklung des neuen Gebiets werden dort bis im Jahr 2040 knapp 30 000 neue Bewohnerinnen und Bewohner erwartet. Anfang 2024 soll das sich derzeit im Bau befindliche Kulturzentrum eröffnet werden. Das Stadtteilkulturzentrum Ubo 9 in Aubing übernimmt momentan noch die kulturelle Bespielung seines neuen Nachbarn am Westrand der Stadt. Im Quartier selbst werden die Kulturnetzwerke gerade erst gesponnen. "Wir sind schon da und beginnen, alles kennenzulernen", sagt Leiter. So gebe es zum Beispiel eine neue Partnerschaft Theater und Schule mit der Grundschule und dem Gymnasium am Bildungscampus Freiham.

Im Freiluftgarten habe im Oktober ein Konzert mit jungen Sängerinnen und Sängern aus dem Opernstudio der Bayerischen Staatsoper stattgefunden. Das ist aber erst der Anfang, im kommenden Jahr soll es in Freiham ein großes Projekt geben, bei dem die Viertelbewohner unkompliziert mitmachen können - Kinder, Jugendliche und Erwachsene. "Ich finde es spannend zu sehen, wie dort ein neuer Stadtteil entsteht", sagt sie. Die Staatsoper wolle aktiv mit Kultur dazu beitragen, dass die berühmte Münchner Mischung entstehen könne.

Was dort genau passieren wird, darf die Kulturvermittlerin der Staatsoper noch nicht verraten. Wie man junge Menschen motiviert, gemeinsam etwas auf die Bühne zu bringen, hat sie aber in den vergangenen 15 Jahren an unterschiedlichen Stellen in der Kulturszene ausprobiert. Zuletzt hat Catherine Leiter am Theater an der Wien erfolgreich das Konzept "Jugendoper" entwickelt. Dort waren Jugendliche und junge Menschen in alle künstlerischen Bereiche des Entstehungsprozesses einer Oper eingebunden. 2020 wurden dort zum Beispiel zum Thema Beethoven Texte, Briefwechsel und andere Literatur rund um den Komponisten gelesen. Im Anschluss daran entstand die Oper "Neun x Leben", die mit dem Junge-Ohren-Preis ausgezeichnet worden ist. Bei dieser kontinuierlichen Arbeit mit einer Gruppe, die sich schließlich für das große Ganze verantwortlich fühlt, spüre man dann auch als Publikum die hohe Begeisterung der Teilnehmenden. "Mir schreiben jetzt noch Menschen, die vor zehn Jahren an der Jugendoper teilgenommen haben, wie positiv das Projekt ihre persönliche Entwicklung beeinflusst hat", sagt sie.

In Freiham arbeitet Catherine Leiter mit dem Stadtteilmanagement zusammen. Sie hat aber auch schon Kontakt zu Münchner Sozialeinrichtungen wie dem Kreisjugendring oder dem Zusammenschluss von Münchner Migrantenorganisationen Morgen e. V. gesucht, um gemeinsam Ideen zu entwickeln. Bei allem, was noch kommt, sind weder Libretto noch Spitzenschuh zwingend gesetzt. Elektronische Musik, Poetry Slam, Rap oder ganz andere Kunstformen sollen künftig ebenso weiterverfolgt werden wie Neuinterpretationen klassischer Opern-Sujets. "Es soll nicht jede und jeder als Künstlerin oder Künstler rausgehen, manchmal schaffen wir nur eine positive Assoziation zu Musiktheater", sagt sie, "und öffnen Menschen die Tür, die sonst nie ins Theater gehen würden."

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