Pandemie in München:Das Ersparte ist bei vielen verbraucht

Pandemie in München: Ein Weg aus der Schuldenfalle: "Ich kann nur an jeden appellieren, sich frühzeitig Hilfe zu suchen, denn wir können immer helfen", sagt Koordinatorin Katja Dörig.

Ein Weg aus der Schuldenfalle: "Ich kann nur an jeden appellieren, sich frühzeitig Hilfe zu suchen, denn wir können immer helfen", sagt Koordinatorin Katja Dörig.

(Foto: Jochen Lübke/dpa)

Die Schuldnerberatung der Arbeiterwohlfahrt am Ostbahnhof erlebt gerade eine steigende Nachfrage. Manche Klienten melden sich erst, wenn nichts mehr geht.

Von Julius Baumeister

Seit gut zwei Monaten bietet neben der Caritas auch die Arbeiterwohlfahrt (Awo) eine Schuldner- und Insolvenzberatung für den Landkreis München an. Seitdem steigt die Nachfrage in der neu geschaffenen Beratungsstelle am Ostbahnhof von Tag zu Tag. Denn in den vergangenen Wochen gerieten auch im Landkreis München immer mehr Menschen in finanzielle Schwierigkeiten, und das Bedürfnis nach professioneller Beratung steige, sagt die zuständige Koordinatorin Katja Dörig. Dabei sei vor allem auffällig, dass einige ihrer Klienten noch vor Monaten kaum verschuldet waren. Durch die Pandemie habe sich das geändert.

Vor allem die hohen Mieten im Speckgürtel von München sind eine immer stärker werdende Last für in Not geratene Menschen. Besonders deutlich werde dies bei Klienten, die aufgrund der Pandemie gekündigt worden sind oder Kurzarbeitergeld beziehen. Letzteres, so sagt Dörig, reiche vorne und hinten nicht. "Viele Arbeitnehmer in der Gastronomie oder auch Friseure leben neben ihren sicheren Einkünften auch vom Trinkgeld."

Während die Zahlungen von Kurzarbeitergeld zwar eine gewisse Sicherheit bieten, entfällt das Trinkgeld als Einnahmequelle gänzlich. "Für eine Friseurin, die aufgrund ihres Berufs in München oder dem Landkreis wohnt, ist das ein riesiges Problem." Eine zusätzliche staatliche Unterstützung sei deshalb teilweise unausweichlich.

Und doch sei das Bedürfnis nach Beratung bislang nur die Spitze des Eisbergs, da ist sich Dörig sicher: "Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Betreuungsbedürftigen in den kommenden Wochen stark steigen wird." Ihre Klienten hätten sich über die letzten Wochen mit Ersparnissen und Rücklagen vor einer zunehmenden Verschuldung gerettet. Doch diese Rücklagen scheinen nun erschöpft zu sein, meint Dörig und bestätigt damit Eindrücke einer aus dem Oktober stammenden Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Der Studie zufolge mussten bis zum Oktober 2020 etwa 31 Prozent der Befragten im Laufe der Pandemie auf Ersparnisse zurückgreifen, um ihre finanziellen Nöte auszugleichen. Und fast 40 Prozent der Befragten gaben an, ihre finanziellen Rücklagen bereits weitgehend aufgebraucht zu haben.

"Über Schulden spricht man nicht"

"Genau diese Leute kommen nun allmählich bei uns an," sagt Dörig. Und dennoch erlebt man auch bei der Awo an der Balanstraße, dass der Gang zur Beratung von den Schuldnern nur als letzter und häufig mit großer Scham behafteter Weg in Erwägung gezogen wird. Gerade bei denen, die sich nie zuvor in solch schwierigen finanziellen Situationen befunden hätten, sei diese Scham enorm groß.

"Viele konnten ihr ganzes Leben für sich selbst sorgen, nun auch staatliche Gelder beziehen zu müssen, ist für viele ein Drama." Das führe auch dazu, dass Menschen erst dann kämen, wenn es "lichterloh brennt", sagt Awo-Fachbereichsleiterin Stefanie Sonntag. Dann etwa, wenn die EC-Karte an der Kasse des Supermarkts nicht mehr akzeptiert wird oder aber eine Ankündigung über den Besuch des Gerichtsvollziehers im Briefkasten liegt.

Doch bis dahin verstreicht aus Sicht der Schuldnerberaterinnen oftmals ganz entscheidende Zeit. "Über Schulden spricht man nicht, und die Leute versuchen, sich so lange irgendwie heraus zu wursteln", sagt Dörig, doch irgendwann gehe auch das nicht mehr. Das sei verständlich, oft aber der falsche Weg. Denn je früher die Betroffenen kämen, desto leichter sei es, ihre finanziellen Schwierigkeiten gemeinsam zu lösen. Nur etwa zehn Prozent der Schuldner suchen nach Erkenntnissen der Friedrich-Ebert-Stiftung tatsächlich auch eine Beratungsstelle auf, was auch Dörig mit großer Sorge sieht.

"Ich kann nur an jeden appellieren, sich frühzeitig Hilfe zu suchen, denn wir können immer helfen." Dazu beitragen wird zukünftig auch die im Oktober vergangenen Jahres eingeführte Verkürzung des Insolvenzverfahren von sechs auf drei Jahre. Die Verkürzung bietet Betroffenen einen zeitlich absehbaren Weg aus der Überschuldung.

Die Schuldner- und Insolvenzberatung der Awo an der Balanstraße 55 in München ist unter der Telefonnummer 089/672 08 71 76 sowie per Mail ansib@awo-kvmucl.de zu erreichen. Mittwochs von 16 bis 18 Uhr gibt es eine Telefonsprechstunde.

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