Wenn Daydrinking so etwas wie eine Saison hat, dann ist es jedenfalls nicht der Winter. Das Helle am Badesee, das Sektfrühstück auf dem Balkon und der spätnachmittägliche Aperitif im Außenbereich eines Straßencafés sind wohl die heilige Dreifaltigkeit des Alkoholkonsums bei Tageslicht. Der Dezember bekommt einen gut gemeinten Punkt für den Glühwein auf Weihnachtsmärkten. Aber wie ist es mit Cocktails, tagsüber, im Winter? Die Aperitivo Bar am Bahnhofsvorplatz setzt darauf. Sie schließt jeden Tag bereits um 18 Uhr.
Zuallererst stellt sich natürlich die Frage: Wann besucht man bestenfalls eine Tagesbar? Die Aperitivo Bar selbst wirbt mit den Szenarien Mittagspause und Feierabend. Möglich, aber der Standort der Bar legt doch etwas anderes nahe: Bahnhofplatz 1, Erdgeschoss des 25hours-Hotels. Wer gemütlich schlendert, braucht wenige Minuten vom Gleis zum Tresen.
Als realistisches Szenario gilt: Anschlusszug verpasst, mindestens eine Stunde Aufenthalt am Münchner Hauptbahnhof, in der Tagesbar die eigene Bitterkeit über Verspätungen, witterungsbedingte Zugausfälle und Verzögerungen im Betriebsablauf im Spritz ertränken.
Da gibt es zum Beispiel den Sicilian Sbagliato (10,50 Euro), der nicht so stark spritzt wie man es sich wünschen würde, ansonsten aber allen schmeckt, die es bittersüß mögen. Oder, auf der Monatskarte, den Old-Fashioned Passion (10,50 Euro) mit Pflaumenbitterlikör, so stark wie lecker. Helles, Radler und Weizen gibt's für fünf bis sechs Euro, die Flasche Cremant für 49 bis 96. Alkoholfreie Cocktails stehen auch auf der kleinen, aber soliden Getränkekarte, darunter der Designated Driver, die alkoholfreie Version des Sicilian Spritz (9,50 Euro). Weder die Preise noch die Macbook-Dichte sind weit von einem Aufenthalt in der Bordgastronomie entfernt, aber klar, in der Aperitivo Bar ist es leckerer und gemütlicher.
Wer besonders tagsüber Alkohol trinkt, sollte das Essen als Grundlage lieber nicht vergessen. Die Aperitivo Bar ist nicht nur ein Stockwerk unterhalb der Boilerman Bar, sondern teilt sich auch die Räume mit dem israelischen Restaurant Neni. Als Barsnacks gibt es deshalb levantinische Mezze, darunter Baba Ganoush (8,50 Euro) und Falafel (7 Euro). Die eignen sich hervorragend zum Teilen. Die Bar öffnet in der Woche um halb elf, am Wochenende um halb zwölf. Vormittags gibt es unter anderem Espresso und das Frühstücksgericht Shakshuka.
An der Decke des Raums hängen Grünpflanzen, die an botanische Gärten erinnern sollen. Die Gäste sitzen in gemütlichen Korbsesseln, leise läuft Indie-Pop. An der Wand der Bar steht in Leuchtschrift das vielleicht bekannteste Tolkien-Zitat: "Not all those who wander are lost" ("Nicht jeder, der wandert, ist verloren").
Zugegeben: In der Aperitivo Bar sitzen wahrscheinlich überdurchschnittlich viele verirrte Bahnreisende zwischen den Hotelgästen. Im besten Fall sind sie hier aber zumindest nicht verloren.
Aperitivo Bar , Bahnhofplatz 1, 80335 München, Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 10.30 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag 11.30 bis 18 Uhr.