Feuerwehr-Übung:Rettung aus Münchens tiefster Baustelle

Lesezeit: 3 min

Feuerwehrübung im Tunnelbau am Marienhof. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Feuerwehr simuliert einen Einsatz hinter dem Rathaus im Schacht für die zweite S-Bahn-Stammstrecke. Einen Verletzten 42 Meter unter der Erdoberfläche zu bergen, das ist selbst für erfahrene Einsatzkräfte eine Herausforderung.

Von Joachim Mölter

Sirenen und Blaulicht haben am frühen Freitagnachmittag die Menschen in der Münchner Innenstadt aufgeschreckt: Fast ein Dutzend Feuerwehr-Fahrzeuge düsten durch die Straßen und sammelten sich hinter dem Rathaus am Marienhof. Es gab freilich keinen Grund zur Sorge: Bei einer Einsatzübung simulierten die Rettungskräfte den Ernstfall auf der Tunnelbaustelle für die zweite S-Bahn-Stammstrecke. Dabei sollte zum einen die Zusammenarbeit zwischen den Einsatzkräften und den beteiligten Baufirmen geprobt werden. Zum anderen ging es darum, die Abläufe durchzuspielen an einem Ort, der selbst die Profis der hiesigen Berufsfeuerwehr vor neue Herausforderungen stellt.

Am Marienhof wird gerade der Platz ausgebaggert für eine neue S-Bahn-Station, rund 42 Meter unter der Erdoberfläche gelegen, wird sie Münchens künftiger Tiefpunkt sein. Dort unten, so das entworfene Szenario für die Feuerwehrleute, sei ein Arbeiter unter einem 18 Tonnen schweren Bagger eingeklemmt. Die Aufgabe der Rettungskräfte: den Mann befreien, erstversorgen und nach oben transportieren.

Alarmiert wurde die Feuerwehr wegen des vermeintlichen Betriebsunfalls unter Tage um kurz nach 14 Uhr, ein paar Minuten später waren die ersten Sirenen zu hören, dann näherte sich auch schon eine Kolonne von Fahrzeugen durch die Dienerstraße. Normalerweise gehören auch Rettungswagen und Notarzteinsatzfahrzeuge zum Tross, in diesem Fall wurden aber keine zum Einsatz beordert, um den realen Rettungsdienst nicht unnötig zu belasten. Ein halbes Dutzend Feuerwehrautos fuhr schließlich durch das geöffnete Tor, der Rest wartete draußen für den Fall, dass sie gebraucht werden.

Feuerwehrwagen fahren durch das Tor auf die Baustelle. (Foto: Stephan Rumpf)
Einigen Einsatzkräften bleibt nur die Zuschauerrolle. (Foto: Stephan Rumpf)

Bereits beim Eintreffen am Einsatzort konnten die ersten Punkte abgehakt werden: Stimmt die Beschilderung an den Baustellenzugängen? Wurden die Rettungskräfte korrekt eingewiesen? Sind alle Vorgaben für einen Notfall umgesetzt? Die Feuerwehrleute müssen ja im Ernstfall nicht nur den schnellsten Weg zur Unglücksstelle finden - für einen Einsatz unter Tage müssen sie sich auch besonders sichern: Sie werden registriert und mit Ortungs-Tags sowie Sauerstoffselbstrettungsgeräten ausgestattet.

Im Inneren des von einer vier Meter hohen Lärmschutzwand geschützten Geländes gab es an einer Sammelstelle zunächst eine kurze Lagebesprechung, dann verschwanden die ersten Trupps mit ihrer Ausrüstung über eine Treppe in der Tiefe eines Schachts. Gleichzeitig wurde ein mannshoher Gitterkäfig mittels einer Kette an einem Kran befestigt und durch einen anderen Schacht auf den Grund der Baustelle hinuntergelassen - ein spezieller Rettungskorb, der extra für Notfälle auf der Baustelle vorgehalten wird. Damit wurde beispielsweise getestet, inwieweit die Feuerwehr Mittel nutzen kann, die bereits auf dem Gelände vorhanden sind, und ob die Kommunikation zwischen Einsatzkräften und Baustellenbeschäftigten funktioniert. Auch die Funkverbindung der Feuerwehrleute untereinander wurde getestet.

Ein spezieller Rettungskorb wurde in die Tiefe hinabgelassen. (Foto: Stephan Rumpf)

Ob sich die Erkenntnisse der Baustellen-Übung übertragen lassen, wenn die Stammstrecke in Betrieb genommen wird, ist allerdings fraglich. Zum einen werden die ersten S-Bahnen frühestens in 15 Jahren durch die neuen Röhren fahren - bis dahin kann sich noch viel ändern. Zum anderen hat die Bahn das Sicherheitskonzept für die zweite Stammstrecke vor dreieinhalb Jahren komplett überarbeitet: Damals wurden vier Rettungsschächte ersatzlos gestrichen, die für die Evakuierung von Fahrgästen bei einem Zwischenfall im Tunnel geplant waren.

Wie der Projektleiter Markus Kretschmer damals, im Juli 2019, bei der Präsentation der neuen Pläne erklärte, ermögliche eine neue EU-Richtlinie ein Verfahren, vom bis dahin vorgesehenen Rettungskonzept abzuweichen. Bis dahin waren auf der Strecke zwischen Leuchtenbergring und Laim lediglich zwei separate Tunnelröhren für die S-Bahnen vorgesehen gewesen; nun konnte eine dritte Röhre installiert werden, die zwischen den S-Bahn-Tunneln liegen und als Flucht- sowie Rettungsweg dienen soll.

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Bei der Neuplanung musste an der unterirdischen Trassenführung für die S-Bahn nicht einmal etwas geändert werden. Die neue, etwa vier Meter breite Röhre wurde einfach dazwischen eingepasst. In weniger als 350 Metern Abstand ist dann jeweils ein Durchlass zwischen S-Bahn-Tunnel und Rettungsröhre geplant; durch den sollen die Passagiere bei einem Unfall oder einem Brand flüchten und bis in den nächsten S-Bahnhof laufen können. An den Notausgängen sollen Schleusenkammern gewährleisten, dass die Rettungswege rauchfrei bleiben. Die damals verworfenen Rettungsschächte waren bis zu 600 Meter voneinander entfernt, und dann hätten die Fahrgäste auch noch über Treppen mehr als 40 Meter an die Oberfläche steigen müssen.

Der künftige Flucht- und Rettungstunnel soll auch für Wartungsarbeiten genutzt werden können, für den unterirdischen Einsatz von Rettungsfahrzeugen sei er jedoch nicht geeignet, hieß es seinerzeit. Angesichts dessen, dass sich die Einsatzkräfte im Ernstfall mitsamt ihrer Ausrüstung also zu Fuß auf den Weg in die Röhren machen müssen, war die Übung vom Freitag wohl zumindest ein kleiner Hinweis, was zu erwarten oder zu verbessern ist.

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