Das Ticket für die Reise ins All kostete seinerzeit 20 Pfennig. Das war einerseits kein Schnäppchen, wenn man - wie Hermann Wilhelm anno 1958 - mit 50 Pfennig Taschengeld auskommen musste. Andererseits wollte der damals neunjährige Bub keinesfalls eine der Abenteuerreisen von Nick, der Weltraumfahrer verpassen. Und so zog es ihn regelmäßig von der elterlichen Wohnung am Max-Weber-Platz hinüber zum Zigarettengeschäft, wo er die Comichefte seines Helden erstand - auch wenn diese damals als "Schundheftchen" galten, erinnert sich der heute 73-jährige Heimatforscher und Gründer des Haidhausen-Museums.
Jene Bildergeschichten, die er als Kind verschlang, - erst Nick, der Weltraumfahrer, später Tarzan und Prinz Eisenherz - hätten bei ihm tiefgreifende Spuren hinterlassen, sagt Hermann Wilhelm. "Mir ist erst viel später klar geworden, wie prägend diese Comics, aber auch die Kinofilme dieser Zeit für mich waren." Einen Einblick in jene "Bilderwelten einer Haidhauser Kindheit" will der Künstler und Autor in der gleichnamigen Ausstellung geben, die am Donnerstag im Kulturzentrum Einstein eröffnet wird. Ihr Titel lautet "Sputnik explodiert" - eine Reminiszenz an das allererste Heft von Nick, der Weltraumfahrer.
Newsletter abonnieren:München heute
Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.
In der Ausstellung sind gut 50 Aquarelle und Gouachen zu sehen, in denen Hermann Wilhelm prägende Eindrücke seiner Kindheit wiedergibt. Unter anderem zeigen sie die im Krieg zerbombten Ruinen in Haidhausen, die für ihn "nichts Negatives hatten, sondern der spannendste Kinderspielplatz waren". Auf weiteren Bildern geht es um persönliche Erinnerungen ans Kicken auf der "Fischerwiesn", an die Heinerle-Wundertüte und an Trix-Baukästen.
Zugleich spiegeln die Werke aber auch kulturelle Weichenstellungen jener Zeit wider - vom aufkommenden Rock 'n' Roll eines Elvis Presley und Chuck Berry bis zu den Western- und Gangsterfilmen, die trotz lauter Kritik von offiziellen Stellen in den Kinos rauf- und runterliefen. Bei alledem liegt der Fokus der Ausstellung stets auf Wilhelms Heimat Haidhausen, damals noch ein Glasscherbenviertel. "Das war eine verrufene Gegend, da ist niemand hergezogen", erinnert sich der Kurator. "Haidhausen war ein dunkler und düstrer Stadtteil - nicht hell und in Pastellfarben wie heute."
Ergänzt werden die Aquarelle in der Ausstellung durch einen Zeitstrahl mit mehr als 100 Fotos, Plakaten und anderen Dokumenten aus den Jahren 1946 bis 1964. Thematisch geht es dort um die Werbung der Nachkriegszeit, um Musik und Filme, um Spielzeug und Sammelbilder sowie um das Alltagsleben in Haidhausen zu jener Zeit. Unter anderem tauchen dabei Schauspieler Rudolf Fernau und Harry Graf auf, der "Freddie Quinn von München-Ost".
Dazwischen sieht man aber auch den sechsjährigen Hermann Wilhelm, stolz die Schultüte reckend, oder die enge Küche einer befreundeten Familie in einem der Herbergshäuschen in der Preysingstraße. "Die Ausstellung ist meine bislang persönlichste", sagt der 73-Jährige, der Zeit seines Lebens am Max-Weber-Platz gewohnt hat. Seine Kindheit, sagt er, verbinde er mit einem Gefühl der Freiheit, der Unabhängigkeit und der Selbstbestimmtheit. Ein wenig also wie Nick, der Weltraumfahrer - nur dass der junge Hermann nicht die Weiten unserer Galaxie erkundete, sondern das Haidhausen der 1950er- und 1960er-Jahre.
Die Ausstellung "Sputnik explodiert - Bilderwelten einer Haidhauser Kindheit" wird am 13. Oktober um 19 Uhr im Kulturzentrum Einstein eröffnet. Sie ist bei freiem Eintritt bis 19. November donnerstags bis samstags von 19 bis 21 Uhr sowie am Sonntag von 15 bis 19 Uhr zu sehen. Anlass ist der zehnte Geburtstag des Kulturzentrums. Dessen Jubiläumsprogramm von 13. bis 16. Oktober umfasst unter anderem Konzerte von Frau Contrabass und dem Chris-Gall-Trio, eine Kinderlesung von Benedict Mirow und die Theateraufführung "Traumfrau verzweifelt gesucht".