Müllersches Volksbad:Badegäste können Mittellosen eine Dusche schenken

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Das Müller'sches Volksbad ist das schönste Hallenbad in München. (Foto: Stephan Rumpf)
  • In einer Zeit, in der nicht alle Münchner Wohnungen mit eigenen WCs und Duschen ausgestattet waren, war das Müllersche Volksbad Teil der städtischen Daseinsfürsorge.
  • Das Bad hat diesen Wohlfahrtscharakter nie aufgegeben - und weitet nun sein Hygiene-Engagement aus.
  • Badegäste können nun eine zusätzliche Dusch- oder Wannenkarte kaufen, die dann bedürftige Bürger für ein Bad eintauschen können.

Von Fabian Huber, Au

Karl Müller war ein vermögender Münchner mit einer großmütigen Idee: Weil er mit 73 Jahren kinderlos geblieben war, stiftete der Bauingenieur 1894 Immobilien im Wert von 1,5 Millionen Mark an die Stadt. Die Kommune sollte die Häuser verkaufen und aus dem Erlös ein Bad für die Bürger, vor allem für Mittellose, bauen. Müller bekam dafür eine Leibrente von 32 000 Mark jährlich (heute 215 000 Euro) - und München das zur damaligen Zeit angeblich größte Schwimmbad der Welt, direkt am Isarufer, mit 86 Wannen- und 22 Brausebädern, das Müllersche Volksbad. Es war Teil der städtischen Daseinsfürsorge: Nur die Hälfte der Münchner Wohnungen war mit einem eigenen WC ausgestattet. Wer sich waschen wollte, packte also Seife und Handtuch und besuchte eine der neun im Stadtgebiet verteilten "Tröpferlbäder", wie die Badeanstalten genannt wurden.

Heutzutage gibt es allerhand Spaßtempel mit Rutschenparadies und Wellness-Wohlfühl-Welt; und ein eigenes Bad mit Wanne oder Dusche, gerne beides, ist privater Standard. Die Zeit der öffentlichen Badeanstalten erscheint weit weg - doch das Müllersche Volksbad hat seinen Wohlfahrtscharakter nie aufgegeben. Und das soziale Hygiene-Engagement wird nun sogar noch ausgeweitet.

In dem prächtigen Barock- und Jugendstilbau an der Ludwigsbrücke gibt es den Waschtrakt noch. Wer keine eigenen Sanitäranlagen zur Verfügung hat, kann sich auch heute gegen kleines Geld dreißig Minuten unter die Dusche stellen (2,20 Euro) oder für eine Dreiviertelstunde ein Bad einlassen (3,50 Euro). Wer sich auch das nicht leisten kann, muss dafür nun gar nichts mehr bezahlen.

Seit Anfang Mai können Badegäste eine zusätzliche Dusch- oder Wannenkarte kaufen, die bedürftige Bürger dann einlösen: Wanderarbeiter, Obdachlose, Ältere, die sich zu Hause nicht mehr alleine in die Wanne trauen. Seitdem warten an der Kasse immer wieder Besucher mit verstohlenen Gesichtern, bis sich die Schlange ihren Weg ins Innere gebahnt hat und fragen nach einem überzähligen Ticket. "Frische geschenkt" heißt die Aktion, entstanden aus der "Historie des Bades", wie Betriebsorganisationsleiter Christian Knott stolz sagt.

Anschreiben lassen für den guten Zweck - diese Idee entstand etwa zur gleichen Zeit wie das Müllersche Volksbad. Vorbild ist der Caffè sospeso (italienisch für: aufgeschobener Kaffee) aus Neapel. Der Barbesucher bezahlt einen Espresso extra, den der Barista notiert und auf Nachfrage einem Mittellosen gibt. In Istanbul hängte man früher Brot im Beutel an Haken, für die Armen. Heute sind es Kassenbons, die im Rahmen des Projekts "Brot am Haken" an mehr als 60 Brettern in Münchner Bäckereien, Bars und Cafés auf ihre Spendenempfänger warten. "Frische geschenkt" dürfte das erste vergleichbare Projekt in einem Schwimmbad sein.

Ein sonniger Vormittag im Biergarten des Volksbads. Edith Wölfls Lippen sind rot geschminkt, die Ponyfrisur akkurat geschnitten. Körperpflege ist der 69-Jährigen wichtig, weshalb sie auch sagt: "Man möchte nicht glauben, wie viele Menschen es gibt, die kein Bad haben." Für solche gibt es etwa die Obdachlosenhilfe im Haneberghaus im Kloster St. Bonifaz. Oder eben das Müllersche Volksbad.

Edith Wölfl ist Stammkundin im Müllerschen Volksbad. Mit vier Jahren hat sie hier Schwimmen gelernt, seit ihrem Ruhestand vor fünf Jahren kommt die ehemalige Schulleiterin eines Förderzentrums im Münchner Norden morgens täglich für eine Stunde. Sie grüßt jeden Mitarbeiter mit einem Winken, kann über Karl Müller referieren, über die imposante Architektur - und wenn Wölfl ihr Monatsticket erneuert, zahlt sie jetzt immer ein Brause- oder Wannenbad extra. Oder beides. "So schön zu baden ist ein Geschenk", sagt sie. Ein Geschenk, das sie auch anderen machen will.

Tatsächlich lässt es sich nirgends in München in derart opulenter Kulisse abtauchen, wie in dem prunkvoll ausgestatteten Bauwerk. Die beiden getrennten Hallen - ein Herren- und ein Damenbecken, die freilich mittlerweile beidgeschlechtlich genutzt werden dürfen - sind von einem Tonnengewölbe und einer Flachkuppel überspannt. Stuck, Fresken, Wasserspeier. Eine Treppe führt in den großen Waschbereich im Keller. Heute wird nur noch ein Gang mit zehn Duschen und vier Wannen genutzt. Schlichte, aber geräumige Einzelkabinen, blau-weiß gefliest.

"Viele haben ein großes Bedürfnis, etwas Gutes zu tun gegen die missliche Stimmung, die so herrscht", sagt Wölfl. "Aber in diesem Fall ist es so leicht und so direkt. Ohne Hindernis. Weil man weiß, wo das Geld hingeht." An der Kasse hängt eine Liste mit den ungelösten Tickets aus, sie zeigt 63 Brausen und 22 Wannen. So können Spender sich immer über den aktuellen Stand informieren und eingreifen, wenn das Angebot mal knapp wird.

Eine Bedürftigkeitsprüfung gibt es nicht. "Wir vertrauen grundsätzlich auf den Menschenverstand", sagt Christian Knott. Die Scham sei zwar groß, doch die Nachfrage steigt. Der "begrenzte, kleine Kreis", der das Angebot bereits vor der Spendenaktion nutzte, ist angewachsen. Im Mai waren die Brausen und Wannen in etwa dreimal so oft besetzt wie sonst, weswegen das Pilotprojekt wohl auch dauerhaft bestehen bleibt. "Wir wollen Bäder nachhaltiger und sozial verträglicher aufstellen", sagt Knott. Karl Müller ist schon lange tot, doch die Idee seines Volksbads lebt weiter.

© SZ vom 15.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Einmal die Woche sind Frauen im Münchner Müllerschen Volksbad unter sich. Die meisten haben Migrationshintergrund. Viele erzählen, wie sehr das Wasser ihnen helfe, runterzukommen und abzuschalten.

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