Die U-Bahn fährt ein, die Türen gehen auf, und dann wird gedrängelt, geschubst, jeder will der erste sein, der ein- oder aussteigt. Besonders an den Knotenpunkten des öffentlichen Nahverkehrs herrscht oft das Recht des Stärkeren. Ein rücksichtsloser Rempler in einer derartigen Situation hat jetzt tragische Folgen gehabt. Das 87 Jahre alte Opfer stürzte, wurde zum Pflegefall und starb knapp ein Vierteljahr nach dem fatalen Gedränge am Marienplatz. Der 36 Jahre alte Rempler sitzt seit November in Untersuchungshaft.
Der 3. Juni ist ein Freitag. Um 13.45 Uhr fährt am Bahnsteig unterm Marienplatz eine U 3 Richtung Moosach ein. Ein Münchner will möglichst schnell einsteigen. Dabei kommt ihm ein 87-jähriger Mann in die Quere, der vor ihm vorbei am Sicherheitsstreifen entlanggeht. Dem Jüngeren dauert alles offenbar zu lange, er rempelt den Mann an, um sich an ihm vorbeizudrängen. Der Rentner fällt und schlägt mit dem Hinterkopf ungebremst auf dem Boden auf. Mehrere Fahrgäste, darunter auch der 36-Jährige, schleppen den Gestürzten zu einer Bank. Als der Rempler wieder in die U-Bahn einsteigen will, halten ihn andere Fahrgäste zurück. Dann treffen auch schon Polizei und Rettungsdienste ein. Der Rentner wird ins Krankenhaus gebracht. Der 36-Jährige muss seine Personalien angeben, er wird sich - so glaubt die Polizei in diesem Augenblick - wegen einfacher Körperverletzung verantworten müssen.
Doch der Zustand des Rentners war viel schlimmer, als zunächst angenommen. Er hatte nicht nur die sichtbare Kopfplatzwunde erlitten, sondern ein Schädelhirntrauma mit Einblutungen. Das Krankenhaus verließ der 87-Jährige als Pflegefall. Er kam in ein Pflegeheim im Landkreis Fürstenfeldbruck, wo er am 25. August starb. An den Folgen des Sturzes, wie ein Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin belegt. Die Mordkommission des Polizeipräsidiums übernahm den Fall, der durch Videoaufnahmen am Bahnsteig gut dokumentiert ist. Wegen Körperverletzung mit Todesfolge erließ ein Ermittlungsrichter auf Antrag der Staatsanwaltschaft München I Haftbefehl gegen den 36-Jährigen. Personenfahnder nahmen den Münchner, der bis dahin nicht durch Gewalttaten aufgefallen war, im November fest.
Die Ermittler gehen von Vorsatz aus. Der ist für Juristen bereits gegeben, wenn der Täter mögliche Folgen seines Tuns billigend in Kauf genommen hat. Für Körperverletzung mit Todesfolge sieht Paragraf 227 des Strafgesetzbuchs in der Regel eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren vor. Minderschwere Fälle können auch mit einer geringeren Freiheitsstrafe geahndet werden. In München hat die Gewaltkriminalität im öffentlichen Nahverkehr 2015 stark zugenommen. Registriert wurden 279 Gewalttaten, der dritthöchste Stand der vergangenen zehn Jahre. Fast drei Viertel der Fälle konnten aufgeklärt werden.