Verkehrspakt:Schluss mit dem Flickerlteppich

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Bürgermeister und Kreispolitiker setzen große Hoffnungen in den versprochenen Verkehrspakt des Freistaats mit der Region.

Von Bernhard Lohr, Landkreis

Immerhin saß Gabriele Müller am Mittwoch nicht in der S-Bahn fest, bei der wegen einer Störung auf der Stammstrecke längere Zeit gar nichts mehr ging. Ihre Fahrt durch die Stadt erlebte sie dennoch als reine "Katastrophe". Sie verbrachte auf dem Weg zu einer Tagung in Garmisch-Partenkirchen viel Zeit in ihrem Auto im Stau. Und so bekam die Haarer Bürgermeisterin wie viele andere wieder mal zu spüren, wie drängend die Verkehrsprobleme sind. Dass Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nun einen Verkehrspakt des Freistaats mit der Region angekündigt hat, weckt im Landratsamt und in den Rathäusern die Hoffnung, dass wichtige Verkehrsprojekte vorankommen - und der Freistaat vor allem Geld zur Verfügung stellt.

Vieles scheint inzwischen denkbar, um das Stauproblem zu lösen

Die Erkenntnis, dass der Stillstand überwunden werden muss, ist mittlerweile auf allen Ebenen angekommen. Bereits im März legten die Landräte der Landkreise im Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) ein umfassendes Papier vor, das den massiven Ausbau vor allem des Schienenverkehrs propagierte und konkrete Projekte ansprach. Der Landkreis München schob dann weiter an und gab Untersuchungen für mehrere Bahntrassen in Auftrag. Vieles scheint mittlerweile denkbar. Sogar über Seilbahnen wird diskutiert.

Mit Herrmanns Ankündigung, dass der Freistaat sich in einem "Verkehrspakt Großraum München" auch in die Pflicht nehmen lässt, wächst die Zuversicht, dass über Planungen und Untersuchungen hinaus etwas vorangeht. Der Pakt soll die Zusammenarbeit von Freistaat und den jeweiligen Gemeinden bei großen Verkehrsprojekten verbessern. Ministerien, MVV und das Bundesverkehrsministerium sollen an einem Strang ziehen.

So wie Bürgermeisterin Müller, die sagt, es müsse etwas "vorwärts gehen" und einen Masterplan geben, der auch konkrete Zeiträume festlege, in denen wichtige Verkehrsprojekte umgesetzt würden, verknüpft Landrat Christoph Göbel (CSU) große Erwartungen mit dem Vorstoß. Er hoffe auf "Rückenwind", sagt er. Der Landkreis verfolge den Ausbau "tangentialer Verbindungen, die das bislang hauptsächlich zentral auf die Landeshauptstadt ausgerichtete öffentliche Verkehrsnetz ergänzen und damit vor allem auch den Straßenverkehr entlasten sollen".

Besonders freue er sich über die Aussage Herrmanns, "den Ausbau von Radschnellwegen zu fördern", sagt Göbel. Der Landkreis habe erst unlängst die Umsetzung eines Pilotkorridors von der Stadtgrenze nach Garching und Unterschleißheim beschlossen und zusätzlich Machbarkeitsstudien für drei weitere Korridore auf den Weg gebracht. Die Kosten für solche Radlautobahnen seien erheblich. Ein finanzielles Engagement durch den Staat könne wesentlich helfen, noch mehr solcher Projekte entstehen zu lassen.

Jeder Bürgermeister hat seine persönlichen Prioritäten

Die Bürgermeister setzen je nach Betroffenheit andere Prioritäten. Während Müller in Haar etwa hofft, bei der aus ihrer Sicht unverzichtbaren Autobahnparallele von Feldkirchen bis Putzbrunn über unverbindliche Gespräche hinaus zu kommen, dringt Unterschleißheims Bürgermeister Christoph Böck (SPD) auf die Stadtbahn-Verbindung Garching-Unterschleißheim-Oberschleißheim, am besten "in Verbindung mit einer weiteren Anbindung an die U 2 in Feldmoching" und auch eine Neuplanung und Finanzierung der Autobahnanschlussstelle Unterschleißheim an der A 92.

Kirchheims Bürgermeister Maximilian Böltl (CSU), der mit umliegender Gemeinden auch aus den Landkreisen Ebersberg und Erding seit längerem über einem Konzept brütet, das nicht den Straßenverkehr von einer Kommune in die andere umleitet, erwartet nun eine "kraftvolle Gesamtlösung". Es könne nicht mehr jeder an seinem Flickerlteppich weben, sagt er. Der Schwerpunkt müsse der ÖPNV bilden, und dem Fahrrad gehöre die Zukunft.

Da ist er sich einig mit Haars, Unterschleißheims und Oberhachings Bürgermeister Stefan Schelle (CSU). Schelle hofft auf eine Initialzündung auf vielen Ebenen: dass auch auf die Deutsche Bahn der Druck erhöht wird, und dass etwa Vorschriften fallen, die für ein ökologisch sinnvolles Vorhaben wie einen asphaltierten Radweg Ausgleichsfächen vorschreibt. Schelle sagt über den Pakt: "Ich freue mich richtig." Es gehe etwas voran.

Die CSU habe den ÖPNV jahrelang vernachlässigt, kritisieren die Grünen

Der Grünen-Bezirksvorsitzende Markus Büchler aus Oberschleißheim freilich bemängelt, dass die CSU in ihrer Verantwortung in Bund und Land lange nichts bewegt habe. Der Staatsregierung sei der Ausbau des ÖPNV in der Region 20 Jahre lang "herzlich egal" gewesen. Nun stehe sie zu Recht "in der Pflicht". Büchler fordert deutlich mehr Geld vom Freistaat. Er hofft, dass die aktuelle Umtriebigkeit nicht nur den anstehenden Wahlen geschuldet ist. Auch Unterschleißheims Bürgermeister Böck fordert, dass die Staatsregierung nach den Wahlen nicht alles "wieder in der Schublade verschwinden" lässt. Den offiziellen Auftakt für den "Verkehrspakt" kündigt Herrmann für den Herbst unter Federführung von Ministerpräsident Horst Seehofer an.

© SZ vom 03.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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