Street Art:Ein Mural für die Eisenbahnfreunde

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Letzter Schliff: Street-Art-Künstlerin Melike Kerpel sprüht und malt noch bis Freitag ein Mural ans Haus der Eisenbahnfreunde in Unterföhring. (Foto: Robert Haas/)

Die Street-Art-Künstlerin Melike Kerpel liebt die Freiheit und stellt normalerweise Menschen, Tiere und Pflanzen dar. Ihr jüngster Auftrag in Unterföhring ist deshalb eine besondere Herausforderung.

Von Laura Geigenberger, Unterföhring

Die Dampflok rast durch Raum und Zeit, die vorbeiziehende Landschaft gleicht nur noch einem Wirbel aus bunten Farben. Aus dem Schornstein steigt blauer Rauch und stieben feurige Funken; man kann die alte Eisenbahn förmlich rattern, pfeifen und ächzen hören. "Ich wollte sie unbedingt in Bewegung abbilden", sagt Melike Kerpel, die Schöpferin dieses Wandbildes. Seit Anfang April malt und sprüht sie es an die zwölf Meter hohe Fassade des Hauses an der Föhringer Allee in Unterföhring. "Denn das ist es ja, was Züge tun und was sie so anziehend macht: Sie bewegen sich ständig - von einem Ort zum nächsten."

Die Liebe zu Eisenbahnen auszudrücken, das sei der Anspruch für ihr neuestes Werk, sagt die 35-jährige Street-Art-Künstlerin. Schließlich sei das die einzige Voraussetzung für ihre Teilnahme am Wettbewerb gewesen, in welchem die Gemeinde Unterföhring im November die Gestaltung der Fassade an der Föhringer Allee 5 ausgeschrieben hatte. Dort beheimatet ist der Verein "Modelleisenbahnfreunde Unterföhring" mit 40 Mitgliedern; die Räumlichkeiten gleichen einem Museum für Modelleisenbahn-Sammlerstücke. Aus zehn Bewerbungen wählte die Wettbewerbsjury laut Rathaus "mit deutlicher Mehrheit" Melike Kerpels Vision eines "geometrisch-abstrakten Kunstwerks" aus, das "auf die Faszination der Modelleisenbahnen anspielt".

Seit Anfang April arbeitet die Künstlerin nun schon an ihrem "Mural", wie die Wandgemälde in der Street-Art-Szene auch genannt werden. Die Einweihung ist für diesen Mittwoch geplant. Bis zu sechs Stunden verbringt Kerpel bei gutem Wetter täglich auf der flaschengrünen Hebebühne, mit der sie an dem Gebäude bis unters Dach fahren kann, gekleidet in einen mit Farbklecksen besprenkelten Arbeitsoverall, das dunkle Haar zu einem Zopf geflochten. Kerpel macht alles selbst, von der Steuerung des Steigers bis zu den filigranen Pinselstrichen, mit denen sie die Konturen ihres Werkes nachzieht. Warum sie gerade Wandbilder als Kunstform gewählt hat? "Oh, ich liebe es einfach!", ruft Kerpel und lacht. "Zum einen, weil Murals öffentlich sind - jeder kann sie sehen, ohne dafür bezahlen zu müssen. Das ist fantastisch, finde ich. Außerdem sind sie etwas Dauerhaftes: An jedem Ort, den ich besucht habe, habe ich eine Spur hinterlassen. Es gibt mir das Gefühl, dass ich existiere, dass ich einen positiven Einfluss auf die Welt habe."

All das erzählt die 35-Jährige auf Englisch - ursprünglich stammt sie nämlich aus Izmir an der türkischen Ägäis-Küste. Vor rund sechs Jahren habe sie sich hauptberuflich der Wandmalerei und Straßenkunst verschrieben, erzählt Kerpel, außerdem in der Türkei und Italien Grafik und Design studiert und gearbeitet. In München lebt sie erst seit einem halben Jahr. Zuvor bereiste sie in einer Art "Nomadenleben" fünf Jahre lang die Welt, um ihre Kunst zu entwickeln und sich inspirieren zu lassen. Ihr erstes Mural entstand 2018 im isländischen Fischerdörfchen Hellissandur; es folgten viele weitere Stationen in Südostasien, Afrika, Europa, Mittelamerika sowie in 15 Staaten der USA.

"Arbeit zu finden braucht Zeit, man muss ein Portfolio aufbauen und sich ein gutes Netzwerk schaffen. Ich verbringe viele Stunden mit der Suche nach Projekten wie dem Wettbewerb in Unterföhring", erzählt Kerpel. Auch das habe zu ihrem Entschluss beigetragen, ihre Weltreise zu beenden und "sesshaft" werden zu wollen. Nun ist also München ihr "Stützpunkt" - die Stadt, in der die deutsche Graffiti-Bewegung Anfang der Achtzigerjahre ihren Anfang nahm. "München ist ein guter Ort für Künstler", findet sie. "Es gibt hier eine große Street-Art-Community und viel Unterstützung vonseiten der Stadtverwaltung für öffentliche Kunst."

"Freiheit ist ein wichtiges Motiv für mich - die Freiheit von Natur, Tieren und zunehmend auch von Frauen"

Neben In- und Outdoorwänden verziert Kerpel auch Sneaker, Skateboards und Surfbretter, stellt aus und tourt zu internationalen Street-Art-Festivals und Märkten. Ihr Stil: leuchtende Farben, harmonische Linien und eine Mischung aus abstrakten und figurativen Bildern, die meist Menschen als Teil der Natur oder mit animalischen Zügen zeigen. "Freiheit ist ein wichtiges Motiv für mich - die Freiheit von Natur, Tieren und zunehmend auch von Frauen", sagt Kerpel.

Entsprechend sei das Eisenbahn-Motiv eine "interessante Challenge" für sie. "Normalerweise zeichne ich organische Formen und keine Technik", erzählt die Malerin. Inspiration fand sie schließlich im Gespräch mit einigen Mitgliedern der Unterföhringer Modelleisenbahnfreunde. "Ich habe sie gefragt, wie sie einen Zugliebhaber definieren würden und welche Art von Zügen sie besonders mögen." Die häufigste Antwort habe "klassische, alte Dampfeisenbahnen" gelautet. "Also habe ich recherchiert. Und dann habe ich nach einem Weg gesucht, diese technische Form mit meinem Stil zu kombinieren."

Das Mural in Unterföhring wird ihr bislang größtes, darüber freut sich Melike Kerpel sichtlich. "Der ganze Prozess macht mir wirklich Freude", sagt sie. Einzig das Aprilwetter der vergangenen Tage habe ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht - ob sie bis zur Einweihung am Mittwoch fertig wird, kann sie nicht sagen. Wobei: "Was bedeutet schon fertig"?, scherzt Kerpel. "Wenn ich unbegrenzt Zeit hätte, würde ich wohl nie ein Projekt abschließen. Als Künstler sieht man ja immer nur das, was noch nicht perfekt ist. Außerdem habe ich daran einfach zu viel Spaß."

Alle Kunstwerke von Melike Kerpel können auf www.melikekerpel.com angesehen werden.

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